Geredet und geplant wird seit Langem, jetzt liegt erstmals eine Rechnung auf dem Tisch, was im Landkreis München in den kommenden fünf Jahren passieren muss, um die Klimaschutzziele zu erreichen: Jahr für Jahr müssen demnach 6000 Verbrenner von den Straßen und durch elektrisch oder anderweitig klimafreundlich angetriebene Fahrzeuge ersetzt werden. Auch beim Ausbau der Fernwärme muss viel mehr passieren, obgleich sich der Landkreis mit seinen Geothermie-Kraftwerken auf gutem Weg sieht. Nötig sind allerdings doppelt so viele Anschlüsse. Dazu deutlich mehr Freiflächen-Photovoltaik, Windräder und vor allem Wärmepumpen.
Nach den Zahlen aus dem Landratsamt, die am Donnerstag im Energieausschuss des Kreistags präsentiert wurden, waren im Jahr 2022 im Landkreis München 16 000 Ölkessel in Betrieb, 40 000 Heizungen liefen mit Gas. Seitdem hat sicher mancher auf Geothermie oder Wärmepumpe umgestellt, doch das Tempo reicht bei Weitem nicht aus, um die Ziele zu erreichen, die sich die Kommunalpolitiker für 2030 bis 2045 gesteckt haben.
Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, zeigt der aktuelle Treibhausgasbericht, der auf Basis von Daten des Jahres 2022 erstellt wurde. Nachdem von 2010 an der CO₂-Ausstoß pro Person Schritt für Schritt von 8,8 auf 5,7 Tonnen im Jahr 2020 gesunken war, stieg er nach dem Corona-Knick zuletzt wieder auf 6,1 Tonnen an. Damit ist klar: Eine Kehrtwende muss her, und vor allem muss das Tempo beim Ausstieg aus der fossilen Welt steigen.
Schließlich haben 27 von 29 Kommunen und der Landkreis in ihrem Klimaschutzprozess 29++ beschlossen, bis 2030 den Wert auf 2,9 Tonnen pro Kopf zu drücken und den Landkreis bis 2045 sogar klimaneutral zu machen. Im Ausschuss diese Woche stellte der Projektleiter der 29++-Initiative, Philipp Schramek, zwei Szenarien vor, wie in den drei Bereichen Mobilität, Wärmeversorgung und Elektrizität der Ausstoß auf etwa eine Tonne gebracht werden kann. Statt den Wert jedes Jahr um 0,23 Tonnen zu drücken, will man auf 0,4 kommen – das bedeutet also fast eine Verdoppelung der Klimabemühungen. Und zwar ab sofort.
Allerdings ist das alles zunächst nur Theorie. Denn kein Kreisrat und kein Stadt- oder Gemeinderat kann bestimmen, welche Heizung sich jemand in den Keller einbaut oder wer ein Elektroauto kauft. Dennoch äußerten sich Landrat Christoph Göbel (CSU) und Kreispolitiker wie etwa Brunnthals Bürgermeister Stefan Kern (CSU) im Ausschuss zuversichtlich, einen Tempowechsel zu schaffen: vom Laufschritt in den Sprint. Vieles laufe bereits, etwa bei der Geothermie, und in anderen Bereichen beschleunigten sich die Prozesse. Doch klar ist nach der Rechnung, die Schramek vorgelegt hat, auch: Leicht wird es nicht.
Das zeigt sich gerade bei der Windkraft und bei den in großer Zahl notwendigen Freiflächen-Photovoltaikanlagen. Schramek stellte in den Raum, dass in fünf Jahren 37 Windräder mit einer Nennleistung von fünf bis sechs Megawatt laufen müssten. Das käme einer Verdreifachung dessen gleich, was gerade im Hofoldinger Forst, im Höhenkirchner Forst und im Forstenrieder Park gebaut oder geplant wird. Brunnthals Bürgermeister Kern sagte, er „bezweifle“, dass das angesichts der verbreiteten Skepsis gegenüber der Windkraft zu erreichen sein werde. Auch werde es schwer, die notwendigen Grundstücke für Freiflächen-Photovoltaik zu bekommen. Er erlebe in Gesprächen mit Landwirten große Zurückhaltung, weil mit der Ausweisung von Agrarflächen für Energieerzeugung steuerliche Nachteile einhergingen.
Aktuell sind gerade mal eine Handvoll Freiflächen-PV-Anlagen im Landkreis am Netz, mit 30 Megawatt Leistung. Ein Szenario sieht für 2030 bis zu 370 Megawatt vor - das wäre mehr als eine Verzehnfachung der bisherigen Solarstromproduktion, was einen deutlich größeren Flächenverbrauch zur Folge hätte. Neben Agri-Photovoltaikanlagen setzt man deshalb im Landratsamt auf Anlagen, die bebaute Flächen wie etwa Parkplätze überspannen. Laut Kreisrat Oliver Seth (Grüne) ist ein solches Projekt in Neuried anvisiert.
Die Überlegungen gehen auch dahin, Lücken beim Ausbau der Freiflächen-Solarproduktion durch eine beschleunigte Installation von Modulen auf Dächern im Münchner Umland auszugleichen. Klimaschutz-Manager Schramek setzt jedenfalls darauf, um Solaranlagen neben der Windkraft zum zweiten starken Standbein einer nachhaltigen Versorgung zu entwickeln.
Tausende Öl- und Gaskessel müssen durch Wärmepumpen ersetzt werden
Vergleichsweise optimistisch blickt Schramek auf die Mobilitätswende. Zuletzt seien mehr und mehr Autofahrer auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge umgestiegen. Noch 2022 habe der Anteil an E-Fahrzeugen im Landkreis bei 9,3 Prozent gelegen, Ende 2023 dagegen schon bei 16 Prozent. Im vergangenen Jahr habe sich der Anteil um weitere zwei Prozent auf 18 Prozent erhöht. Bleibe es dabei, kämen Jahr für Jahr 6000 Fahrzeuge dazu. Bis 2030 müsste jedes dritte Fahrzeug einen alternativen, sauberen Antrieb haben, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen – Schramek hält das angesichts der Entwicklung für realistisch.
Ebenfalls schon in fünf Jahren sollen 37 Prozent der Haushalte im Landkreis Fernwärme über eine der vielen bereits bestehenden und im Ausbau befindlichen tiefengeothermischen Anlagen geliefert bekommen; das wäre eine Verdoppelung im Vergleich zum Stand 2022. Wer keine Möglichkeiten für einen Anschluss an ein solches Kraftwerk hat, sollte sich nach der Vorstellung der Klimaschutzplaner bestenfalls eine Wärmepumpe zulegen. Auf dem Gebiet besteht freilich der größte Nachholbedarf. Zehntausenden Brennkesseln für Öl und Gas standen laut Treibhausgasbericht 2022 gerade mal knapp 4000 Wärmepumpen gegenüber. Notwendig wäre eine Verzehnfachung.

