Energiewende:Das große Graben

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Noch liefert die Geothermie-Anlage in Kirchstockach vor allem Strom. Das soll sich in den nächsten Jahren ändern. (Foto: Claus Schunk)

Die Stadtwerke München investieren in Geothermie und Fernwärme im Landkreis, weitere Beteiligungen sind geplant. Damit betreiben sie im Ballungsraum nun 45 regenerative Erzeugungsanlagen

Von Bernhard Lohr, Ottobrunn

Die Stadtwerke München (SWM) nehmen als Energieversorger mehr und mehr das Umland in den Blick. Nur wenige Wochen nach der Übernahme der Energieversorgung Ottobrunn (EVO) brachten die Münchner kurz vor Weihnachten den Kauf der Bio-Energie Taufkirchen unter Dach und Fach.

Beide Unternehmen verfügen über Fernwärmenetze, die ausgebaut und mittelfristig zusammengeschlossen werden sollen. Die Biomasse-Anlage der Bio-Energie ergänzt zudem den Kraftwerkspark der SWM, zu dem seit 2014 bereits das Geothermie-Kraftwerk in Sauerlach gehört. Seit 2016 haben die SWM die Geothermie-Anlagen in Kirchstockach und Dürrnhaar in ihrer Hand, mit denen sie einiges vorhaben.

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Mit ihren jüngsten Akquisitionen kommen die SWM ihrem Ziel deutlich näher, die Produktion klimafreundlicher Energie und den Vertrieb von Fernwärme im südöstlichen Landkreis München in eine Hand zu bekommen. Während in Sauerlach außer Strom bereits seit 2013 Fernwärme in ein Leitungsnetz eingespeist wird und mittlerweile 500 Haushalte versorgt werden, produzieren die Anlagen in Kirchstockach und Dürrnhaar bisher praktisch nur Strom.

Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der SWM, begründet das mit der noch bis Ende der Zwanzigerjahre laufenden Vergütung für Ökostrom nach dem Erneuerbaren Energiengesetz (EEG). Sobald diese auslaufe, werde man verstärkt die Wärmeleistung der Kraftwerke nutzen. Und die ist beachtlich.

45 Megawatt thermischer Leistung werden ihnen jeweils zugetraut, was nach Berechnung der unabhängigen Energie-Consulting-Firma Udeee in Haar jeweils einer potenziellen Summenleistung von 20 000 Heizkesseln in typischen Einfamilienhäusern entspricht. Mit beiden Geothermieanlagen ließen sich also rechnerisch 40 000 Einfamilienhäuser versorgen.

Zudem soll in den Fernwärmeverbund, wie es heißt, künftig auch Wärmeenergie aus der Bioabfallvergärungsanlage fließen, die der Landkreis in Kirchstockach betreibt. Von 100 Megawatt Wärmeleistung insgesamt geht man aus. Die von den SWM erworbene Bio-Energie Taufkirchen mit ihrem mit Holz befeuerten Biomasse-Heizkraftwerk im Taufkirchner Ortsteil Potzham ist da nicht eingerechnet.

Dort erzeugt die 1999 gegründete Bio-Energie außer Strom 150 000 Megawattstunden Wärmeenergie. Diese speist sie in ihr 43 Kilometer langes Fernwärmenetz ein, das Bereiche in Taufkirchen, Unterhaching, Hohenbrunn, Brunnthal sowie Neubiberg und im Westen Ottobrunns erschließt. Angebunden sind außer Privathaushalten Großkunden wie Airbus, die IABG,

Großhandelsmärkte und Immobiliengesellschaften wie die Gewofag. Die Gemeinde Taufkirchen ist ebenso Kunde wie die Bundeswehruni, zu der am Haidgraben vor Jahren eine Fernwärmeleitung verlegt wurde. Von dort wäre es für die SWM als neuer Eigentümer ein Katzensprung, um Stadtgebiete zu versorgen.

Unabhängig davon agierte bisher die nun auch zum SWM-Verbund gehörende EVO. Das Unternehmen, das anders, als es der Name vermuten lässt, keine Verbindung zur Gemeinde Ottobrunn hat, gründeten im Jahr 2006 die Stadtwerke Schwäbisch Hall, in der Hoffnung, als Versorger im Raum München Fuß fassen zu können.

Man übernahm das Stromnetz und stieg auch ins Gasgeschäft ein. Fernwärme spielte zunächst keine Rolle. Es fehlte ein leistungsfähiges Kraftwerk. Doch als Privatinvestoren die Geothermie-Anlagen in Kirchstockach und Dürrnhaar aufbauten und zum Laufen brachten, war plötzlich eine Wärmequelle in Sicht. Noch bevor die Stadtwerke München im Jahr 2016 beide Kraftwerke übernahm, vereinbarte die damalige EVO-Führung mit der Süddeutschen Geothermie-Projekte GmbH (SGG) als Inhaberin der Anlagen in Kirchstockach und Dürrnhaar einen Wärmeliefervertrag mit 25-jähriger Laufzeit.

Die Autobahn A 99 wird unterquert

Daraufhin begann der Aufbau eines Fernwärmenetzes, zunächst mit so genannten Insellösungen. Zwei Blockheizkraftwerke wurden für den Übergang installiert und speisen in ein heute etwa zwölf Kilometer langes Fernwärmenetz der EVO Wärmeenergie ein. Die Stadtwerke als neue Inhaber treiben nun den Ausbau des EVO-Netzes voran.

Entscheidende Schritte sollen da kommendes Jahr erfolgen. So ist 2019 geplant, im Notinger Weg die Autobahn A 99 zu unterqueren, womit das fehlende Stück zwischen Ottobrunn und Hohenbrunn geschaffen wird; und der Anschluss an Kirchstockach selbst steht an, den Michael Prigo, Vertriebsleiter der EVO im Herbst 2019 erwartet.

Damit könnte schließlich die seit 2013 im Regelbetrieb laufende Anlage in Kirchstockach erstmals nennenswert als Wärmelieferant eingesetzt werden. SWM-Geschäftsführer Braun kündigt an, die im Umland gewonnene Fernwärme mittelfristig über Leitungen auch auf Münchner Stadtgebiet an Kunden zu bringen.

Insgesamt verfügen die SWM Braun zufolge im gesamten Raum München mittlerweile über 45 "regenerative Erzeugungsanlagen". Weitere werden folgen. Derzeit laufen Erkundungen und Vorarbeiten für ein Geothermiekraftwerk im Raum Pullach, an dem sich die SWM beteiligen würde.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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