Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:Kreativität bringt's

Lesezeit: 3 min

Wegen der Ausgangsbeschränkungen gehen viele Wirte und Geschäftsleute neue Wege. Die SZ unterstützt sie dabei

Von Christina Hertel, Landkreis

Vieles, was früher selbstverständlich war, geht schon seit ein paar Wochen nicht mehr. In einer Gärtnerei an Blumen riechen, an einem Tresen einen Cocktail schlürfen oder sich von einem Kellner das medium gebratene Steak an den Tisch servieren lassen. Seit gut einem Monat sind Läden, Kneipen und Restaurants geschlossen, damit sich das Coronavirus nicht zu schnell ausbreitet. Doch die Krise macht auch kreativ: Vom Schnitzel bis zur Schnittblume kann man sich vieles nach Hause liefern lassen oder abholen. Um die Angebote sichtbar zu machen, hat die Süddeutsche Zeitung die interaktive Karte geschaffen. Unter sz.de/landkreismuc-bringts sind von der Radlwerkstatt bis zum Geschenkeladen alle Unternehmen in und um München sichtbar, die trotz Schließungen einen Service anbieten: Insgesamt gibt es dort 1550 Einträge. Die zweitmeisten Angebote stammen nach der Stadt aus dem Landkreis München.

Das Schirmchen muss man zwar selbst ans Glas basteln und statt "Sex on the Beach" heißen die Cocktails "Sauf daheim" oder "Homeoffice" - schmecken sollen sie aber so, wie man sie aus der Bar kennt: Wolfgang Linder aus Feldkirchen hat zu Ostern begonnen, Cocktails in Bügelverschlussflaschen auszuliefern. Normalerweise bietet er mit der Firma "Creative Cocktail" Catering und mixt auf Messen und Hochzeiten. Doch weil nun alle Großveranstaltungen bis Ende August abgesagt sind, hätten sie sich ein neues Geschäftsmodell überlegen müssen, erzählt seine Frau Kerstin Linder am Telefon. Die Menschen, glaubt sie, würden während der Corona-Krise vielleicht sogar noch mehr trinken als sonst. Vor ein paar Tagen schmissen sie und ihr Mann deshalb Tausende Flyer mit ihrem Angebot in die Briefkästen in Feldkirchen und registrierten sich bei "München bringt's" auf der Homepage der Süddeutschen Zeitung. Schon jetzt können sie eine positive Bilanz ziehen. "Wir sind motiviert und optimistisch", sagt sie.

Auch Harald Schade, der gemeinsam mit Torsten Noll seit sieben Jahren das Gasthaus Waldpark in Putzbrunn betreibt, ist bei "München bringt's" registriert und froh, dass so zumindest ein bisschen Geschäft geht. 60 bis 70 Essen würden seine Gäste jeden Tag bei ihm im Lokal abholen. Besonders beliebt sei das Mittagsangebot: Für 7,90 Euro gibt es täglich ein anderes bürgerliches Gericht, mal waren es Fleischpflanzerl, mal ein Gemüsecurry. "Es kommen auch Leute, die vorher nicht da waren aus einem Umkreis von bis zu 15 Kilometern", sagt er. Die Hälfte des Umsatzes fehle ihm dennoch und weil die meisten Kosten weiterlaufen, habe er zwei Mitarbeiter entlassen müssen. "Das war hart für uns", sagt Schade.

Sein Personal sei der Grund, warum er seinen Laden noch nicht ganz zugesperrt habe, sagt Andreas Karg. Vor neun Jahren gründete er in Haar das T-Bone-Steakhouse. 13 festangestellte Mitarbeiter und 14 Aushilfen beschäftigte er einst. Einen großen Teil davon schickte er in Kurzarbeit. Doch weil Gastro-Menschen vom Trinkgeld leben und von dem Kurzarbeitergeld kaum jemand seine Miete in München bezahlen könne, lasse er einige seiner Angestellten zumindest für ein paar Stunden arbeiten. "Am Anfang lief das Geschäft spärlich", sagt Karg. Vielleicht zehn Essen bestellten seine Kunden am Tag. Inzwischen seien es fast 80 - hauptsächlich Burger, kaum Steaks. Vielleicht weil die Menschen jetzt mehr aufs Geld schauen und sich kein argentinisches Angus-Rind mehr leisten wollen. Vielleicht, weil sie nicht daran glauben, dass ein Steak aus dem Styropor-Päckchen schmecken könne. "Dabei bekommen wir das richtig gut hin - weil wir den Liefertermin gut abstimmen", sagt Karg.

Dass das Coronavirus Geschäftsmodelle langfristig verändert, erlebt Claudia Wörner gerade. Sie darf zwar ihre Gärtnerei in Oberschleißheim am Montag wieder aufsperren, doch ihre Kunden können auch weiterhin online auf www.kunst-und-lustgaertnerei.de Blumen und Pflanzen bestellen. "Früher gab es dort nur Vasen und Dekoartikel", sagt sie.

Doch mit der Corona-Krise baute sie einen großen Online-Shop auf. Von der Vanilleblume bis zur Bio-Erdbeere fotografiert sie jede Pflanze, schreibt einen kurzen Text dazu und stellt sie online. Ihr Partner Martin Weimar und sie hatten schon lange vor, im Internet eine junge Zielgruppe zu erreichen - Corona habe sie nun gezwungen diese Pläne umzusetzen. "Eigentlich ist das die Zukunft", sagt Wörner. Auch wenn sich die Kunden dann vieles entgehen lassen: Vor dem Bildschirm riecht man nämlich nicht, wie es in ihren Gewächshäusern duftet.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2020
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