Einsatz in der Wüste:"Man besinnt sich aufs Wesentliche"

Einsatz in der Wüste: Tarnanzug statt Talar: Militärseelsorger Michael Gmelch.

Tarnanzug statt Talar: Militärseelsorger Michael Gmelch.

(Foto: Privat)

Michael Gmelch verbringt den Advent und Weihnachten in einer Luftwaffenbasis in Jordanien. Der Militärseelsorger von der Bundeswehr-Uni in Neubiberg weiß, was für die Soldaten zu dieser Zeit wichtig ist.

Interview von Angela Boschert

Michael Gmelch hat schon viel erlebt in seiner Zeit als Militärseelsorger: Der 62-Jährige ist bei Einsätzen auf Schiffen der Bundeswehr mitgefahren und seit zehn Jahren veranstaltet er spirituelle Touren durch die tunesische Wüste. Doch sein jetziger Auftrag nötigt selbst dem erfahrenen, zweifach promovierten Theologen und Pastoralpsychologen Respekt ab. Das katholische Militärbischofsamt schickt den Dekan zur Luftwaffenbasis nach Al-Asrak in Jordanien, einhundert Kilometer östlich von Amman. Von dort unterstützt die Bundeswehr noch bis mindestens 2022 die Mission Counter Daesh, wie der internationale Militäreinsatz gegen den Islamischen Staat genannt wird. Vor seinem Abflug diese Woche sprach die SZ mit dem Seelsorger in Uniform.

SZ: Sie sind seit Januar 2018 Militärdekan an der Universität der Bundeswehr München in Neubiberg und müssen jetzt nach Al-Asrak in Jordanien. Kennen Sie die Wüste dort?

Michael Gmelch: Nein, ich war bislang nur im Sinai und in der tunesischen Wüste. Auf den Luftbildern im Internet sieht man bei Al-Asrak nichts außer Geröll, Gebäude und die Start- und Landebahn der Airbase. Die meisten Leute sitzen da monatelang im Nichts, bei Tagestemperaturen von 18 Grad in den Wintermonaten bis weit über 40 Grad Celsius im Sommer.

Luftaufklärung der Bundeswehr über Syrien und dem Irak

Warten auf den Einsatz: Deutsche Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Asrak in der jordanischen Wüste.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das klingt nicht verlockend. Was bringen Sie den Soldaten mit?

Ich bin für die Seelsorge da. In meiner Zeit als Militärpfarrer in Flensburg bin ich auf der Gorch Fock und auf Kriegsschiffen mitgefahren. Unterwegs, auf engstem Raum zusammen, da potenzieren sich die Probleme. Die nimmt man von zuhause in den Einsatz mit: Probleme mit der Partnerschaft, mit der Sexualität, Beendigung von Beziehungen via Social Media. Manch einer stellt sich die Frage nach dem Sinn seines Soldatenseins. Trotz der Kameradschaft vor Ort macht dem einen oder anderen die Einsamkeit zu schaffen. Und die Bedrohung durch das Coronavirus - vor allem für die Angehörigen zuhause, um die man sich sorgt - macht alles nicht einfacher.

Was können Sie da tun?

Zu unseren Standards gehören vertrauliche Einzelgespräche, pastoralpsychologische Beratungen, Lebenshilfen, Kriseninterventionen, aber auch das Teilen des gemeinsamen Lebens unter den dort vorhandenen Lagebedingungen. Darüber hinaus gilt es - je nach Jahreszeit - besondere Zeiten zu gestalten. Jetzt beginnt ja gerade die Adventszeit, und die Soldaten verbringen die gesamte Weihnachtszeit im Militärlager. Auch Silvester und Neujahr sind im Niemandsland der Wüste zu feiern. Nicht wie traditionell daheim. Ich habe aber schon Adventskränze, Nikoläuse und Weihnachtsdekoration bestellt, um dort etwas Weihnachten zu feiern mit denen, die wollen. Ich habe Adventsgeschichten dabei, es wird Andachten geben. Vielleicht mache ich eine Fackelwanderung mit Stationen. Je nachdem, was gewünscht wird und möglich ist.

Einsatz in der Wüste: Tarnanzug statt Talar: Militärseelsorger Michael Gmelch.

Tarnanzug statt Talar: Militärseelsorger Michael Gmelch.

(Foto: Privat)

Ihre Vorbereitungen und Gedanken verraten, dass Sie solche Situationen kennen.

Ich war schon einmal über Weihnachten in einem Einsatz. Damals kamen mehr Soldaten zum Gottesdienst als gewöhnlich. Eine meiner Herausforderungen ist, den Soldaten niederschwellige Angebote zu machen, um auch jenen die Türe zu öffnen, die sonst nicht so kirchlich sind. Man muss sehr kreativ sein. Im Einsatz ist Weihnachten sehr schnell vorbei. Es ist ja nicht wie hier bei uns schon vorher alles weihnachtlich dekoriert. Dafür kann man sich auf das Wesentliche besinnen. In Al-Asrak ist man den heiligen Stätten in Israel relativ nah, doch wir dürfen das Lager nicht verlassen.

Das ähnelt der Quarantäne, die Sie vor dem Abflug absolvieren mussten.

Alle Soldaten verbringen die zwei Wochen vor Abflug in einem Hotel in der Nähe des Flughafens. So auch ich. Eine sehr beschränkte Zeit am Tag darf man unter Aufsicht an die frische Luft, sonst verlässt man sein Zimmer nicht und darf auch zu niemandem Kontakt haben. Mir als Theologen ähnelt dies etwas der Lebenssituation eines Mönches in seiner einsamen Mönchszelle. Soldaten sind da schon direkter: Das Wort vom "Edelknast" als Karikierung der sogenannten isolierten Unterbringung macht da schon mal die Runde.

Christliche Ethik contra IS

Michael Gmelch, 62, ist Priester der Diözese Eichstätt und seit 2018 katholischer Militärdekan sowie Dozent für christliche Ethik an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Der promovierte Pastoraltheologe und Pastoralpsychologe war für viele Jahre Klinikseelsorger sowie drei Jahre lang Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Indien und Sri Lanka. Von 2009 bis 2018 leitete er das Katholische Militärpfarramt Flensburg. Sein Lebenstraum ist, "Menschen dabei zu helfen, einen Blick hinter die Dinge zu werfen, damit sie mit dem Leben nicht so banal umgehen", wie er sagt. In seinem jüngsten Buch blickt er kritisch auf die Amtsträger in der katholischen Kirche. Die Bundeswehr unterstützt von Jordanien und Irak aus seit 2015 den Kampf der internationalen Kräfte gegen die Terrororganisation IS. Vom jordanischen Luftwaffenstützpunkt Muwaffaq Salti bei Al-Asrak aus starten Tankflugzeuge zur Unterstützung der Luftraumüberwachung. Ende Oktober hat der Bundestag das Mandat für die Mission "Counter Daesh" in Jordanien bis zum 31. Januar 2022 verlängert. Das Akronym "Daesh" steht für "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" - Mitgliedern der Terrororganisation gilt es als beleidigend. abo

Sind Sie der einzige Militärpfarrer in Al-Asrak?

Ich teile mir den vier Monate währenden Einsatz mit einem katholischen Kollegen aus Neuburg an der Donau. Er ist schon dort und wird mich noch einführen und bekannt machen. Nach uns kommt ein evangelischer Seelsorger zu den Soldaten im Einsatz.

"Im Einsatz" klingt schon militärisch.

Es heißt so, ich bin ja Militärpfarrer. Vor Ort trage ich wie alle anderen den Flecktarn, in gefährlichen Situationen auch die Splitterschutzweste und den Helm, genau wie die Soldaten. Am Kreuz auf meinen Schulterklappen sieht man, dass ich kein Soldat bin. Im Libanon standen Schutzweste und Helm direkt neben meinem Bett.

Was sind Ihre täglichen Aufgaben?

Das wird sich zeigen. Ich nehme an Lage- und Kommandeursbesprechungen teil, habe Verwaltungsaufgaben, ganz wie hier. Ich bin da, wenn jemand einen Gesprächspartner braucht. Da ich der Schweigepflicht unterliege, kann man mir alles sagen, ohne disziplinarische Konsequenzen zu befürchten.

Ist die Seelsorge dort eine andere als hier in Neubiberg?

Jeder Einsatz ist anders. Die Themen sind sicher ähnlich. Bloß dort kennen mich die Soldaten noch nicht. Ich hoffe, dass sich bald ein Vertrauensverhältnis auf allen Dienstgraden einspielt und dass die Soldaten sagen: Zu unserm Pfarrer kannste gehen. Der steht mitten im Leben und weiß, was Sache ist.

Laut Ihrem jüngsten Buch "Schickt die Bischöfe in die Wüste" könnte ein Wüstenaufenthalt der Kirche den Blick für Missstände und notwendige Reformen öffnen. Warum?

Ich bin Mitglied der Priestergemeinschaft Jesus Caritas, die auf Charles de Foucauld zurückgeht, der seine Spiritualität in der Wüste empfing. Bei Exerzitien im Sinai war ich mit der Priestergemeinschaft zum allerersten Mal in der Wüste. Das Übernachten im Freien, das Essen mit den Beduinen, die Landschaft, die Stille und Unendlichkeit haben mich fasziniert und mir tiefe spirituelle Erfahrungen ermöglicht. Jesus selbst hat 40 Tage in der Wüste verbracht. Die Zahl 40 ist psychologisch und die Wüste theologisch bedeutsam. Was Jesus dort lernte - wie er hinterher von Gott sprach, wie er sich um der Menschen willen vielfältige Konflikte mit den Vertretern der damaligen religiösen Institution einhandelte, wie er aus der Stille geborene Worte fand, so anders als die Schriftgelehrten, und wie er innovativ mit den alten Traditionen umgehen konnte - das lernte er in der Schule der Wüste und nicht in einer theologischen Bibliothek. Dies wäre eine meiner Hoffnungen für die bischöflichen Amtsträger in unserer Kirche.

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