Einmal rund um München:Vom Auwald ins Stauland

In unserer Serie "Hart an der Grenze" erkunden SZ-Autoren den Verlauf der Münchner Stadtgrenze. Los geht es an der Isar bei Unterföhring.

Von Sabine Wejsada

Ganz im Norden von Unterföhring geht sie los, die grüne Grenze zu München. Sie verläuft westlich der Isar, die dort ihrem alten Namen "Die Reißende" immerhin ein kleines bisschen Ehre macht. Zumindest wenn man in Richtung Ismaning schaut: Das Wasser fließt über Steine, staut sich hie und da etwas auf, um sich dann gurgelnd ein Stückchen weiter in den nach der Steinschwelle ruhigen, langen Fluss zu ergießen. Dort an der Mollbrücke, die es zu überqueren gilt, um sich der Landeshauptstadt zu nähern, hat das Münchner Wasserwirtschaftsamt vor sieben Jahren 11 000 Tonnen Steine verbauen lassen. So ist die Isar an dieser Stelle für Fische und andere wandernde Kleinlebewesen überwindbar geworden.

Für Menschen allerdings birgt auch die neue Rampe enorme Risiken: Es können sich Strudel bilden, gerade wenn die Isar mehr Wasser führt. Die Stelle an der Mollbrücke war schon immer gefährlich; am alten Betonwehr fiel das Wasser abrupt zwei Meter in die Tiefe - eine Gefahr für Leib und Leben. Ostern 2009 ertranken dort zwei junge Männer, in den Siebzigern kam ein Feuerwehrmann beim Versuch ums Leben, einen im Fluss treibenden Mann aus der aufgewühlten Isar zu retten. Wie reißend und ungebändigt der Fluss einst gewesen sein muss, davon kündet ein Gedenkstein, der ein paar Meter weiter südlich im Auwald versteckt steht: Zwölf Arbeiter starben am 18. Juni 1924 bei einem Fährunglück, als der Isardüker gebaut wurde.

Fähren auf der Isar - heutzutage undenkbar - fahren an der Isar, das schon. Wer in der Grenzregion zwischen Unterföhring und München wandert und nicht mit dem Radl durchjagt, so wie es die meisten tun, erblickt die Schönheit des Ortes. Josef Trundt, Sprecher der lokalen Agenda in Unterföhring, kann sich an diesem Vormittag gar nicht satt sehen an dem, was die Natur dort am Isarufer zu bieten hat. Der Auwald ist undurchdringlich, alte Bäume stehen dicht an dicht, Sträucher und Stauden bilden einen grünen Teppich in Schulterhöhe. Ab und zu quert eine Maus den Pfad.

Der Weg, der Stadt und Land gebietsmäßig trennt, führt zunächst von der Isar weg. Nur ganz leise ist im satten Grün das Rauschen des Flusses zu vernehmen, die Vögel singen dafür umso lauter ihr Lied, im Wind wiegen sich ganz leicht die Kronen der Weiden, Eschen und Buchen. Blätterrauschen im Schatten der Großstadt. Und selbst der "Stinkerkanal", wie die Unterföhringer den zwischen dem Klärwerk Großlappen in Freimann und der Isar schnurstracks angelegten Überlaufkanal nennen, ist nur eins: grün. Eine kleine Brücke führt über die Vertiefung, weiter geht es auf verschlungenen Wegen in Richtung Süden, vorbei an den Gärtnereien in Freimann und dem Gelände des Bayerischen Rundfunks auf Stadtseite und intimen Buchten zum Ausruhen an der Isar. Dort, wo sich auf der anderen Seite der Isar der barocke Zwiebelturm der Unterföhringer Kirche St. Valentin nur schemenhaft durch die dicht belaubten Bäume abzeichnet, ist das Isarwasser fast türkis und erinnert an den gleichnamigen Drink aus den Achtzigern.

Der westlich verlaufende Isarradweg hat an diesem herrlichen Vormittag mitten im Sommer etwas von einem Panoptikum: In einer Lichtung, wo die Stromtrasse mit ihren hohen Masten durchführt, steht an diesem Morgen eine Frau und sammelt Kräuter. Weiter unten in Isarnähe schaut eine andere angestrengt in den Himmel, die Hand an einem mächtigen Buchenstamm gedrückt, völlig entrückt und offenbar vollkommen eins mit der Natur. Und zwischendrin ist eine elegant gekleidete Frau gemächlich auf einem Hollandrad unterwegs, auf dem Kopf einen Strohhut mit breiter Krempe, um die Schultern ein fließend fallendes Seidentuch. Die Münchnerin fährt die Strecke an der Isar zwischen Ober- und Unterföhring jeden Tag. Das sei so wie der Morgenkaffee, ohne den der Mensch nicht in die Gänge komme, erzählt sie und winkt. Sie muss weiter. Ja, München ist grün und schön, Unterföhring auch. Zumindest in diesem Beritt.

Um diesen Grenzabschnitt, der Stadt und Land auf einer Länge von immerhin 10,6 Kilometern teilt, weiter zu bereisen, heißt es jedoch Abschied nehmen vom grün-glänzenden Isargold. Jetzt kommt der graue Abschnitt. Schon die Unterführung unter der Güterbahnstrecke hat so gar nichts Einladendes, sie ist dunkel und feucht. An ihr aber führt kein Weg vorbei, um nach oben an die Straße zu kommen, an die Stadtgrenze. Verkehrslärm und Abgase, in Sichtweite der viel befahrene Föhringer Ring. Leinthaler- und Herzog-Heinrich-Brücke queren Isar und Isarkanal, das, was Unterföhring von München teilt, liegt dort irgendwo unter dem Asphalt.

Das Heizkraftwerk München-Nord thront drohend östlich davon auf Unterföhringer Flur. Siedlungsbrei und Blechlawinen, lautes Hupen und schimpfende Kampfradler begleiten den Grenzgänger. Und dann kommt das gelbe Ortsschild. Landeshauptstadt München. Es steht zwischen zwei Mehrfamilienhäusern. Die Isar ist weit und auch deren wohltuende Beschaulichkeit. Trambahnen wenden an der Endhaltestelle St. Emmeram, es quietscht, eine Vielzahl von Fahrgästen hetzt zwischen Bussen und Straßenbahn hin und her.

Um die Grenze zwischen der Stadt und Unterföhring wieder zu erreichen, braucht es vor allem eins: Geduld. Rum um die Tram, einen Tennisklub passiert und rauf auf die Brücke über die Staufalle Föhringer Ring. Erst am Wolfgang-Borchert-Weg tut sich ein Pfad auf. Wie passend. Borcherts bekanntestes Drama heißt "Draußen vor der Tür". Und der nach dem Schriftsteller benannte Weg führt in der Tat wieder raus aus der Stadt, nach Unterföhring, obwohl der Ortskern ganz schön weit ist und Johanneskirchen ganz nah.

Vorbei an einem Studentenheim, mehreren Bürokomplexen, Europas größtem Bowlingcenter und der Feuerwache für das nahe Heizkraftwerk, geht es an der Kreisstraße M 3 weiter, die im Südosten Unterföhrings teilweise genau auf der Stadtgrenze verläuft. Bäume und Buschwerk schlucken das Rauschen des Verkehrs ein wenig. Kurz nach der Kreuzung von Etz- und Gleißachweg lässt sich die viel befahrene M 3 tunneln. Bleibt man auf der Südseite, ist es nicht weit zur idyllisch gelegenen Münchner Siedlung Am Hierlbach mit ihren 34 Anwesen, auf der Nordseite geht es in Richtung Unterföhringer Gewerbegebiet, wo mehr als 22 000 Menschen ihrem Broterwerb nachgehen. Verkehrte Welt? Ruhe in der Stadt, Rushhour auf dem Dorf. Doch auf dem Etzweg, der von der M 3 hinein ins Moos Richtung Feringasee führt, dürfen keine Autos fahren, nur Traktoren und Mähdrescher sind hier unterwegs. Zu hören ist die nahe Straße dennoch. Der Lärm legt sich über Felder und Äcker.

Die Hitze an diesem Sommertag nimmt einem fast den Atem, weit und breit kein bisschen Schatten, die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Auch auf dem Oberen Aschheimer Weg, den es zu nehmen gilt, um wieder zur Stadtgrenze zu kommen, kein Lüftchen. Gut, dass das "Dreiländereck" nah ist. Dort, wo sich Unterföhring, München und Aschheim treffen, direkt an der M 3 beim Kieswerk, flimmert die Luft. Kaum zu glauben, dass die Großstadt nur einen Steinwurf entfernt ist.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: