Einmal rund um München:Sinfonie der Vorstadt

In unserer Serie "Hart an der Grenze" erkunden SZ-Autoren den Verlauf der Münchner Stadtgrenze. In Folge 3 geht es zum Container-Bahnhof zwischen Riem und Feldkirchen.

Von Martin Mühlfenzl

Hoch ragen die Bäume und Sträucher zu beiden Seiten des asphaltierten Radwegs westlich der Staatsstraße 2082 auf. Nur vereinzelt verirren sich ein paar Sonnenstrahlen durch das dichte Gestrüpp und Geäst. Es ist dunkel an diesem eigentlich so sonnigen Wandertag am äußersten Nordwestzipfel der Gemeinde Feldkirchen - mitten im Niemandsland.

So einsam einem dieser etwas verwunschene Ort erscheinen mag, ein treuer Begleiter ist immer mit dabei auf der kurzen Reise Richtung Süden entlang der Grenze der Gemeinde Feldkirchen zur Landeshauptstadt: ein ständiges Dröhnen und Brummen, in unregelmäßigen Abschnitten ergänzt durch ein helles Quietschen oder tiefes Rattern. An die Geräuschkulisse aber gewöhnt sich der Spaziergänger schnell - sie gehört zum Münchner Osten wie der süße Senf zur Weißwurst.

Bevor es von der Westseite der Staatsstraße 2082 eigentlich nach links Richtung Feldkirchen geht, lohnt gleich zu Beginn ein kurzer Abstecher auf Münchner Flur - wenige Meter nach Süden und dann rechts in Richtung Umschlagbahnhof in die Hofbräuallee. In eine eigene kleine Stadt, gebaut aus riesigen, bunten Containern, die meterhoch in den Himmel aufragen. Riesige Kräne bewegen die tonnenschweren Boxen mühelos durch die Luft und bauen neue, kleine Viertel in den unterschiedlichsten Farben. Doch Vorsicht, einen Gehweg gibt es in der Hofbräuallee nicht und die Lastwagen, die neue Container anliefern oder abtransportieren, haben es eilig. Hier wird auch viel Geld umgeschlagen.

Der Weg auf Feldkirchner Gemeindegebiet führt vom Umschlagbahnhof aus etwas nördlich unter der Staatsstraße hindurch. Direkt nach der Unterführung schwillt der Lärmpegel noch einmal an - und beim Blick nach rechts wird jedem sofort klar, warum das so ist. Dem Wanderer eröffnet sich die Sicht auf eine grandiose Mondlandschaft. Staub wirbelt zwischen den steinernen Hügeln auf. Aus dem wenig ansehnlichen, mit Wellblech ummantelten Industriebau ragt ein Förderband heraus. Seit Jahrzehnten baut hier die Firma Ludwig Obermayer Kies ab - ein mittlerweile kostbarer Rohstoff, der den Feldkirchnern nicht immer Freude bereitet. Denn auch diese Industrieanlage steht noch auf Münchner Flur. Steht der Wind aber ungünstig, bläst es den Staub nach Osten in den Landkreis und die kleine Gemeinde an der Grenze - die Gewerbesteuereinnahmen fliegen freilich nicht mit.

Das Kieswerk aber hat seinen Anteil daran, dass sich die Landschaft hier am Übergang von München nach Feldkirchen in den vergangenen Jahren verändert hat und weiter verändern wird. Kurz nach der Unterführung versperrt eine Schranke den Weg hinunter zu einer Abzweigung. Auf den Blumen direkt an der Barriere sitzen hellblaue Schmetterlinge, als seien sie die Wächter in eine andere Welt: Direkt neben dem Kieswerk ist hier ein Biotop angelegt worden, in dem sich Echsen und Frösche tummeln.

Nur der Mensch darf diese schützenswerte Fläche nicht betreten. Der Kontrast zwischen Stadt und Land, Natur und vom Menschen geformter Umgebung offenbart sich deutlich. Der Feldkirchner Westen ist eine Landschaft im ständigen Umbruch; einerseits eine Oase, die Erholungssuchenden Ruhe bieten kann. Andererseits ein pulsierender Industriestandort mit all den Begleiterscheinungen, die einem die Ruhe rauben können: Verkehr, vor allem Schwerlastverkehr, Lärm, Gestank, ununterbrochene Hektik. Der geografische Übergang von der Stadt in die Gemeinde Feldkirchen ist vielleicht so etwas wie der Landkreis München im Kleinen - mit all seinen Facetten.

Vom Eingang des Biotops führt der Weg wenige Meter entlang der Bahngleise nach Osten, um dann scharf nach rechts abzubiegen. Auf dem Feldweg - rechts das Biotop, links der Blick über freies Feld auf den Ort - geht es kerzengerade nach Süden. Radfahrer sind hier unterwegs, Spaziergänger mit Hunden. Plötzlich warnen zwei Schilder davor, den Feldweg zu verlassen und rechter Hand zwei Meter auf einen kleinen Wall zu steigen. Dem zu widerstehen ist freilich schwer. Also rauf auf den Hügel - und staunen: Ein kleiner See mit türkisfarbenem Wasser liegt in der Senke; ein Relikt des Kiesabbaus, das sich in ein Paradies mit karibischem Anstrich verwandelt hat. Nur baden darf hier niemand, zu gefährlich steht auf den Hinweistafeln. Aber in nicht allzu ferner Zukunft dürfte auch aus diesem Baggersee ein Badesee werden - zur Freude der Feldkirchner, die es nicht weit haben.

"Ich mag das hier. Hier rührt sich wenigstens was", sagt der Mann, der an der Straße ein Moped putzt

Wer nun dem eigentlichen Grenzverlauf folgen wollte, würde vom See aus aber noch größere Gefahren auf sich nehmen: Er müsste sich erst durchs Dickicht am See entlang schlagen und dann die A 94 an der Ausfahrt Feldkirchen-West überqueren, um auf die Ottendichler Straße zu kommen. Sicherer ist freilich die Route am neuen Sportplatz vorbei Richtung Ort, dann über die Münchner Straße und ab auf die Brücke über die A 94. Weithin sichtbar ragt am Horizont der Turm der Riemer Messe auf; darunter weisen die riesigen blauen Schilder den Weg gen Landeshauptstadt. Eigentlich ist das hier kein Ort zum Verweilen. Trotzdem hat es sich direkt nach der Brücke ein Mopedfahrer am Straßenrand gemütlich gemacht. Auf dem Boden hat er Zeitungspapier ausgebreitet, darauf seine Lappen und Putzmittel. "Ich mag das hier. Hier rührt sich wenigstens was", sagt er und beißt in seine Semmel, er macht Pause vom Putzen. Schönheit liegt also doch immer im Auge des Betrachters. Und der Lärm mitten an der Autobahn? "Der stört mich nicht. Und da hinten, ein paar Meter weiter wird es dann eh schon wieder ruhig", sagt der Mann und deutet mit dem ausgestreckten Arm auf den Feldkirchner Wald, der südlich der Münchner Straße beginnt.

Wer sich auf einen klassischen Spaziergang begeben will, voller Naturschönheiten und friedvoller Ruhe ist an der südlichen Gemeindegrenze eher nicht richtig. Zumindest nicht, ehe er von der Kreuzung der Münchner mit der Ottendichler Straße am De-Gasperi-Bogen schräg nach links abbiegt - Richtung Frauenwald und Feldkirchner Wald. Es ist ein eher robuster Charme, der die Parklandschaft auszeichnet, steinige Wege, Dornenbüsche und sich selbst überlassene Wiesen. Nahe dem Endpunkt der Wanderung bietet sich noch einmal ein grandioser Blick auf die Reste der ehemaligen Start- und Landebahn des Flughafens Riem. Einer steinerner grauen Platte mitten im Nirgendwo. Einsam kann es hier sein am südlichen Zipfel der Gemeinde Feldkirchen. Wäre da nicht dieses beständige Rauschen.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

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