Einmal rund um München:Adria an der Autobahn

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In unserer Serie "Hart an der Grenze" erkunden SZ-Autoren den Verlauf der Münchner Stadtgrenze. In Folge 14 über viele Brücken zwischen Bergkirchen und Langwied, wo die Thuja-Hecken rekordverdächtig hoch sind und das Wasser der Seen türkis leuchtet.

Von Sonja Niesmann, Karlsfeld

Da baumelt eine Schlinge vom Galgen. Daneben weht schlapp die alte US-Südstaaten-Fahne. Ein Indianer wacht über den Eingang. "Doc Holliday" lümmelt in einer Kutsche, eine Flasche Jack Daniels im Arm. Die Rezeption ist eingerahmt von Pferden, die in Trompe-l'oeil-Manier aus ihren Boxen zu spähen scheinen. Das Stüberl - ein Saloon. Viel Holz, Lederriemen, Kakteen. Auf dem Campingplatz am Langwieder See, einem von dreien auf Münchner Stadtgebiet, 100 Stellplätze für Wohnwagen und Zelte plus 30 Dauerstellplätze auf 8000 Quadratmeter Grund, hat ganz offensichtlich ein Mensch seinen Wildwest-Spleen ausgelebt. "Ja", lacht Platzwart Roland Pechmann, "das stammt alles noch vom Vorbesitzer. Der mag das, macht auch selber Country- und Westernmusik." Und weil's die Gäste - 85 Prozent Dauercamper, der Rest Touristen, vor allem Durchreisende - auch zu mögen scheinen, "wollen wir das Western-Flair erhalten."

Das flaschengrüne Wasser des Langwieder Sees lockt zum Bad

Bis man auf den Galgen stößt, hat man schon Umwege hinter sich, die länger sind als die ganze Etappe dieses Grenzgangs. Denn am Startpunkt müsste man erst einmal waten. Ab der "Russenbrücke" Am Zillerhof verläuft die Stadtgrenze 1,1 Kilometer lang genau auf dem Gröbenbach. Und links wie rechts kein Uferweg. Querfeldein braucht man es, einen Autobahn-Riegel vor der Nase, gar nicht erst zu probieren. Also ein Schlenker nordwärts, auf der Eschenrieder Straße durch ein Zipfelchen von Olching/Landkreis Fürstenfeldbruck, über die Eschenrieder Spange drüber. Geradeaus ginge es zu den weitläufigen, mitten im Dachauer Moos gelegenen Plätzen des Eschenrieder Golfclubs mit ihrem laut Eigenwerbung so weichen, gelenkschonenden Moorboden.

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(Foto: Florian Peljak)

Zwischen einem bis ins Detail geplanten Erholungsgelände und vielen schnurgeraden Ackerfurchen im Zwickel dreier Autobahnen gibt es Orte, wo die Fantasie walten darf: die Stadtgrenze zwischen Bergkirchen und Langwied.

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(Foto: Florian Peljak)

Der Galgen verleiht dem Campingplatz Wildwest-Flair.

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(Foto: Florian Peljak)

Und auch an die Kutsche wurde gedacht.

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(Foto: Florian Peljak)

Ungewöhnlich und sehr versteckt: eine wunderbare Kapelle aus Alteisen.

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(Foto: Florian Peljak)

Der Moospfarrerweg liegt noch in Langwied.

Stattdessen biegt man scharf rechts ab, von jetzt an Gemeinde Bergkirchen/Landkreis Dachau, durch die Unterführung mit dem bunten Graffiti-Tag "RAST" - danke, hier lieber nicht - wieder auf die andere Autobahnseite und zum Moospfarrerweg, an den sich die Grenze nun für eine ganze Weile schmiegt. Alternativ kann man sich im Süden, auf Stadtgebiet, durchschlagen, muss aber hinunter bis zur Anschlussstelle Langwied, um einen anderen Riegel, die Stuttgarter Autobahn, zu überwinden und, vorbei am Camping, den Moospfarrerweg zu erreichen. Seit einigen Jahren erst können hier auch Fußgänger und Radfahrer geschützt queren, auf einer separaten Spur.

Schon oben auf der Brücke ein verlockender Anblick: das flaschengrüne Wasser des Langwieder Sees. Ihn gibt es seit den 1930er-Jahren, er entstand durch Kiesaushub für den Autobahnbau. In den Jahren 1997 bis 2004 wurde dann ein weitläufiges Erholungsgebiet angelegt, mit einem weiteren, ebenso großen aber tieferen See, dem türkis leuchtenden Lußsee mit einem Kiesstrand am flachem Nordufer für die allerkleinsten Planscher, mit Liegewiesen, zwei Beachvolleyballplätzen und Grillzonen.

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Von Sonja Niesmann

120 Hektar groß ist das Gelände, 40 Hektar davon Wasserfläche. An schönen Hochsommer-Wochenenden zieht es schon einmal 30 000, gar 40 000 Badegäste dorthin. Die Handtuchdichte pro Quadratmeter, zumindest am Kleinkinder-Strand, hält dann locker mit der Adria mit. An einem Werktag im späten August ist erstaunlich wenig los auf den Wiesen, kann man sich ganz alleine auf einem Steg aalen. Mit Seerosenblick. Fast unmerklich wird nach einer Weile das unaufhörliche Rauschen von der Stuttgarter Autobahn verdrängt vom Rascheln des Windes in den Weiden, vom Keifen der Blesshühner.

Eine rekordverdächtig hohe Thuja-Hecke versperrt den Blick über die Grenze

Erfrischt nimmt man den insgesamt 2250 Meter langen Moospfarrerweg in Angriff - und wird über die ganze Strecke hinweg niemals zu Gesicht bekommen, wie es jenseits der Grenze eigentlich ausschaut. An seiner linken Seite eine rekordverdächtig hohe, blickdichte Thuja-Hecke, dann ein Maisfeld, rechts Abdeckfolien auf gezirkelter Ackerfurche, führt der Weg am Rand des Erholungsgebiets Langwieder Seenplatte entlang. Linker Hand, auf Bergkirchener Gebiet, taucht der dritte auf, der Birkensee mit seinen FKK-Buchten. Die hüllenlosen Sonnenanbeter bleiben aber nicht in den ihnen zugewiesenen Reservaten, sie okkupieren das ganze Ufer. Man geniert sich ein bisschen, als angezogener Mensch unter so vielen Nackten, zieht lieber schnell weiter.

Am Ende der gepflegten Wiesen-Landschaft mit den schattenspendenden Bäumen struppt die Goldrute, die ähnlich wuchert und ebenso schwer auszurotten ist wie das Himalaja-Springkraut. An drei parallel liegenden Brücken, eine für den Fußweg, eine für die Güterbahnlinie, eine für die Autobahn, schwenkt die Stadtgrenze im 45-Grad-Winkel ab vom Moospfarrerweg. Dort versperrt eine mächtige Gabionen-Wand, mit Steinen gefülltes Drahtgeflecht zwischen Gleis und Fahrbahnen, die Fernsicht. Noch ein Schlenker, ein letztes Mal über eine Autobahnbrücke, zum Müllerstadelweg, dort beginnt die Gemeinde Karlsfeld.

Auf den Feldern der Großgärtnereien steht der Schnittlauch stramm

Von den drei Brücken ein Stückchen nach Süden liegt versteckt ein Bauwerk, das trotz des verwendeten Materials sehr filigran wirkt: eine Eisen-Kapelle, vom Kunstglaser Sebastian Weiss in siebenjähriger Arbeit zusammengeschweißt aus allerlei Alteisen wie Fahrradreifen, Werkzeugen oder Leuchtern. Um dieses transparente Gebilde herum stehen hohe Tipis, ein Holzhüttchen mit verglasten Bullaugen-Fenstern und Grasdach, an eine Hobbithöhle erinnernd, eine buddhistische Stupa und ein ausrangierter Strandkorb sowie zahllose, bizarre Installationen aus Wurzelholz, Metall und Stein, aus Gerätschaften und Gerümpel. "Gell, das ist ein magischer Ort", lächelt eine junge Frau, die entspannt ein Avocado-Brot isst und den Blick über blühende Blumen und pickende, scharrende Hühner schweifen lässt. Mit der Magie sei es allerdings vorbei, sagt bedrückt Sebastian Weiss, der dieses Fleckchen zusammen mit Freunden von einem Bauern gepachtet und sich einst bewusst gegen eine Umzäunung entschieden hat, wenn an manchen Wochenenden 100 bis 150 Neugierige aufs Gelände drängen. Es ist übrigens, merkt die junge Frau noch an, "genau der geografische Mittelpunkt zwischen den drei Autobahnen".

Und eine fantastisch-ungezügelte Gegenwelt zu diesem eben durchwanderten Zwickel aus Autobahnen, Hochspannungsleitungen und Großgärtnerei-Geländen, wo der Schnittlauch strammsteht.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Wie lebt es sich dort, wo München an die Umlandgemeinden stößt, welche Entwicklungen deuten sich an? In unserer neuen Serie "Hart an der Grenze" sind SZ-Reporter entlang der 119 Kilometer langen Stadtgrenze gewandert - zwischen Idyll, Verhau und stiller Natur.

Von Thomas Kronewiter

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