Einmal rund um München:Dem Wandel auf der Spur

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Von Haar (oben) bis Feldmoching (unten): Wer zwischen München und den Umlandgemeinden unterwegs ist, sieht eine ganze Menge.

(Foto: bard, vox, flop, rob, google)

Wie lebt es sich dort, wo München an die Umlandgemeinden stößt, welche Entwicklungen deuten sich an? In unserer neuen Serie "Hart an der Grenze" sind SZ-Reporter entlang der 119 Kilometer langen Stadtgrenze gewandert - zwischen Idyll, Verhau und stiller Natur.

Von Thomas Kronewiter

Hier, an dieser kleinen Kreuzung der Bienenheim- und der Federseestraße, könnte man sich auch irgendwo weit weg von der Millionenstadt befinden, sagen wir im Ammerseeland. Dort vorn wächst die Gerste heran, ein paar Schritte weiter steht in der Blickachse der Mais so hoch, dass man nicht mehr darüber hinwegschauen kann. Gerade hier soll sich das verschlafene Lochhausen radikal verändern. Auf dem Papier, das die Planer in Baufelder zerschnitten haben, hat das eine perfekte Logik. Da, wo sich jetzt der Mais sanft im Wind wiegt, sollen einmal 300 Menschen wohnen. Das Siedlungsgebiet Spatzenwinkel schließt direkt an die Lochhausener Straße und damit eine West-Ost-Achse an, der S-Bahnhof Lochhausen ist nur ein paar Hundert Meter weg. Kein Problem also.

Kein Problem? Problematisch ist allenfalls, dass der Spatzenwinkel, rund 16 Kilometer vom Marienplatz entfernt, in dieser dörflichen Gegend, die vollwertiger Teil der Landeshauptstadt ist, nicht das einzige neu definierte Wohngebiet ist, das in Kürze am westlichen Stadtrand entstehen soll. Der Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied mit seinen Zuwachsraten von fast 90 Prozent bis zum Jahr 2035 wird sich dramatisch verändern, auch jenseits der Trabantenstadt Freiham.

Nicht alle sind begeistert

Kein Wunder also. Kein Wunder, dass die Menschen, die jetzt samstags in Ruhe ihr Bier im beschaulichen Biergarten der "Deutschen Eiche" trinken, nicht rundum begeistert sind. Kein Wunder, dass manchen Germeringern nicht ganz geheuer ist angesichts ihrer neuen Freihamer Nachbarn, die einmal fast so viele sein werden wie sie selbst. Kein Wunder, dass die Gröbenzeller nicht alle durchweg begeistert sind über die schleichende Annäherung der Landeshauptstadt. Dabei sind die Ortsschilder schon jetzt voneinander nur ein paar Hundert Meter entfernt. Und kein Wunder, dass es auch den Menschen im Osten der Stadt, im Norden und im Süden, innerhalb wie außerhalb der Stadtgrenze, ganz ähnlich geht wie den Lochhausern und den Germeringern: den Feldmochingern, den Truderingern, Daglfingern und ihren Nachbarn aus Aschheim mit den jeweiligen "Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen", den Fürstenriedern, den Hasenberglern und den Schleißheimern mit der Nachverdichtung.

Sticht man einen Zirkel auf einer Karte von Stadt und Großraum München am Marienplatz ein und zieht einen Kreis, mäandert die Stadtgrenze in einem Korridor zwischen circa fünf (Richtung Süden) und 16,5 Kilometern (Richtung Westen) um das Rathaus. Folgt man dieser Linie wie dem Zeiger einer Uhr, finden sich dort, hart an der Stadtgrenze, Äcker, Koppeln, verstädterte, nahtlose Übergänge, krasse Siedlungsränder auf der einen, naturnahe Wiesen auf der anderen Seite, schmucke Vorortsiedlungen, Reihen- und Einfamilienhaus-Quartiere, Gewerbegebiete.

Nicht immer gehört das Industrieviertel dabei zu München und die Schlafstadt zur benachbarten Kreisgemeinde. Mitunter ist es gerade andersherum. Klassisch ist es im Würmtal mit seinen Gartenstadt-Gemeinden. Gräfelfing etwa hat gerade wieder einen Gartenstadt-Preis ausgeschrieben - zur Prämierung "gelungener Beispiele". Darüber wundert sich mancher Anwohner des Freihamer Gewerbegebiets, den Baumarkt Hornbach und das ebenso riesige Möbelhaus Höffner vor der Nase auf der Münchner Seite der Stadtgrenze, optisch nur getrennt durch die Lindauer Autobahn und das Autobahndreieck Südwest. Aber nur wenige Kilometer weiter ist es andersherum, da schaut man von Lochhausens malerischen Pferdekoppeln ins Gröbenzeller Gewerbegebiet, mit dem Autohaus an der Siedlungskante.

Manche haben ihr privates Idyll gefunden

Menschen, die in grünen Wohngebieten entlang dieser Grenze leben, haben oft ihr ganz privates Idyll gefunden. Ganz gleich, ob sie die hohen Mieten weiter drinnen in der Stadt dorthin vertrieben haben oder ob die grünen Auen und die schattigen Haine sie hier haben Wurzeln schlagen lassen. Ihr Idyll wollen sie sich nicht zerstören lassen - egal, ob sie von der einst teuer erkauften feudalen Villa mit Isarblick ein Recht auf das unverbaute Nachbargrundstück ableiten, oder ob sie im zehnten Stock des Wohnturms die Meinung vertreten, nun seien endlich die in der Isar-Hanglage mal dran, die Last der wachsenden Stadtgesellschaft zu tragen.

Und nun also wieder eine Welle Wachstum: im idyllischen Lochhausen im Westen, östlich der Flughafen-S-Bahn-Linie zwischen Daglfing und Johanneskirchen sowie der Messestadt Riem an der Grenze zu Aschheim und Dornach, außerdem nordwestlich von Feldmoching. Und wer weiß? Vielleicht haben die Regierenden im Rathaus, die die Wachstumsdynamik in einen erbarmungslosen Schwitzkasten genommen hat, das nächste Siedlungsgebiet schon ausgeguckt? Schließlich ist die innerstädtische Nachverdichtung auf den Arealen der meisten ehemaligen Kasernen schon reichlich ausgereizt, sieht man von Ausnahmebeispielen wie etwa auf dem Paulaner-Gelände in der Au ab.

Als Grenzgänger unterwegs

Hart an der Grenze - das gilt nicht nur für die Einstellung vieler Münchner zur eingeforderten Solidarität gegenüber Zuzüglern aller Nationen und Einkommensgruppen. "Hart an der Grenze" heißt auch die neue Sommerserie der Stadtviertel- und der Münchner Landkreis-Redaktion. Beginnend in Unterföhring, folgen SZ-Reporter von Montag an der 119 Kilometer langen Grenze zwischen der Landeshauptstadt und den Umlandgemeinden - in Etappen, die sich an den Gemeindegrenzen orientieren. Sie präsentieren Idyll und Verhau, zeigen verborgene Ecken, stoßen an Barrieren, überwinden Hindernisse, erkunden, wo Stadt und Land zusammenwachsen und wo die Verhältnisse sie trennen. Und sie schreiben auf, wie sich die Stadt-Umland-Realität im Sommer 2017 präsentiert, fünf bis 16,5 Kilometer vom Marienplatz entfernt. Hart an der Grenze.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

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