Einmal rund um München:Abstandsgrün und Sumpfgebiet

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In unserer Serie "Hart an der Grenze" erkunden SZ-Autoren den Verlauf der Münchner Stadtgrenze. In Folge 11 bei Gräfelfing. Anders als München legt die Gemeinde noch großen Wert auf ihren Gartenstadt-Charakter mit frei stehenden Häusern auf großen Grundstücken.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Am Startpunkt dieser etwa sieben Kilometer langen Etappe tost der Verkehr. Vor einem liegt die vierspurige Würmtalstraße, rechter Hand die Fakultät für Chemie und Pharmazie der Ludwig-Maximilians-Universität, Butenandtstraße 5. Die Adresse markiert ziemlich genau den Grenzpfosten, der die Stadt von der Gemeinde Gräfelfing trennt. Die Landeshauptstadt hat sich an dieser Stelle bis an das ihr zustehende Maximum ausgedehnt. Gleich zu Beginn dieser Etappe lohnt es sich, vom direkten Grenzweg abzuweichen. Etwa 100 Meter weiter links geht es über die Würmtalstraße direkt in der Verlängerung der Straße "Am Klopferspitz" in den Wald.

Wie lange der Bannwald noch besteht, wird sich zeigen

Ruhig ist es hier trotzdem nicht. Am Ende das Weges sind vorüberflitzende Autos auf der Autobahn optisch und akustisch auszumachen. Das Waldstück, der Lochhamer Schlag, ist ein Markstein: Hier beginnt der regionale Grünzug, der sich über die Würmtalstraße hinaus bis nach Starnberg zieht. Gleichzeitig handelt es sich um Bannwald - einen Schutzwald, der als Ganzes erhalten bleiben soll. Und das ist ernst gemeint: In der Vergangenheit hat die Gemeinde versucht, ihren im Westen an den Wald angrenzenden Bauhof zu erweitern und scheiterte damit. Ob der Bannwald auch in Zukunft so unangetastet bleibt, wird sich zeigen. Die Gräfelfinger diskutieren über eine neue Straße, die östlich entlang des Gewerbegebietes verlaufen würde. Je nach Streckenverlauf wäre mehr oder weniger Wald zu opfern.

Am Ende des Waldweges geht es ein Stück rechts entlang der Autobahn, dann durch den Tunnel unter ihr hindurch und weiter auf dem sogenannten Schlagweg exakt an der Stadt-Landgrenze entlang. An der dritten Abzweigung geht es nach links und dann im leichten Zickzack weiter durch den Wald, bis der Weg schließlich auf dem Acker endet. Vor einem liegt das Pasinger Feld auf Gräfelfinger Flur. Auf der einen Seite reichen die Gärten der letzten Pasinger Häuserreihe direkt an die Stadtgrenze heran. Dann kommt freies Feld; auf der anderen Seite liegt die Heitmeiersiedlung direkt an der Autobahn, der letzte Siedlungszipfel der Landkreisgemeinde, die sich in diesem Ortsteil Lochham nennt.

Die Bürgermeisterin Uta Wüst (Interessengemeinschaft Gartenstadt Gräfelfing) und ihr Gemeinderat wollen diesen letzten Rest der historischen Abgrenzung des Ortes zur Stadt hin sichtbar lassen. Andererseits ist Wohnraum knapp. So wird immer wieder die Idee laut, die Heitmeiersiedlung zu erweitern. Maximal 100 Meter Ausdehnung in Richtung Pasing kann sich die Bürgermeisterin vorstellen. Dann würde die grüne Zäsur zwischen Stadt und Land deutlich schrumpfen, man käme sich ganz nah, Lochhamer und Pasinger könnten sich aus ihren Gärten über Zurufe verständigen.

Auf einem Trampelpfad an der letzten Pasinger Häuserreihe entlang, gelangt man schließlich über die Planegger Straße und die Würmbrücke rechts vom Wasserwerk, Hausnummer 150, in den Paul-Diehl-Park. Das 32 Hektar große Areal, in dessen Norden die Stadtgrenze verläuft, schließt sich direkt an den Pasinger Stadtpark an. Er liegt auf Gräfelfinger Flur, wird aber von der Stadt München verwaltet. Sein Namensgeber war Filmproduzent und -regisseur und von 1948 bis 1960 Bürgermeister von Gräfelfing. In dem verwunschenen Park, der durchzogen ist von Spazierwegen, die über weite Wiesen und an der Würm entlang führen, lösen sich Grenzen auf: Stadt und Land gehen fließend ineinander über. Den Badenden, Fußballspielenden, Kinderwagenschiebenden und Hundegassigehern ist es einerlei, ob sie sich in der Stadt oder im Vorort bewegen - die Würm, die den Park durchzieht und stellenweise wie Amazonas-Sumpfgebiet anmutet, gehört allen.

Der einstige Bürgermeister und Filmregisseur Paul Diehl ist Namenspate des Parks

Im Norden, entlang der Kleingartensiedlung, verlässt man den Park und quert die Maria-Eich-Straße, setzt den Weg über die Wiese fort und folgt in einer Spitzkehre der Straße, die durch den Eisenbahntunnel führt, in den nördlichsten Teil Lochhams. Dort, wo Paosostraße, Gstaller Weg und Voglerstraße zusammentreffen, gehen Landeshauptstadt und Gemeinde auf Tuchfühlung, was im Grenzgebiet zu kuriosen Zuständigkeitsfragen führt: Die Voglerstraße gehört zu München, die Gärten der Häuser liegen aber zum Teil auf Gräfelfinger Gebiet, was bei einer Anwohnerin die Frage aufkommen ließ, wo sie ihre Gartenabfälle entsorgen darf. Die Gräfelfinger entschieden großmütig: gerne bei ihnen. Bei anderen Anfragen zeigt sich die Gemeinde weniger großzügig, etwa wenn Bewohner auf Münchner Seite am nördlichen Ende der Sämannstraße ihre Kinder nach Lochham in den Kindergarten schicken wollen. Da werden unsichtbare Grenzen unüberwindbar.

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Der aufmerksame Betrachter bemerkt dennoch einen feinen Unterschied zwischen Stadt und Gemeinde. Gräfelfing rühmt sich, Gartenstadt zu sein und zurrt diesen Charakterzug - frei stehende Häuser in großen Gärten mit altem Baumbestand - über ihre Bebauungspläne fest. Wer sich ein paar Schritte von der Stadtgrenze entfernt und in Münchner Seitenstraßen blickt, entdeckt das Gegenteil. Wo auch immer Neubauten entstehen, sind die Gärten auf Handtuchgröße geschrumpft. Dieser optische Bruch ist den Lochhamern bewusst. Sie fürchten, dass er sich noch auswächst, wird das Aubinger Dorniergelände bebaut wie geplant.

Um das letzte Stück dieser Etappe zurückzulegen, muss man sich von der Stadtgrenze entfernen - die Autobahn ist im Weg. Also geht es von der Sämann- nach rechts ab in die Josef-Schöfer-Straße, die nach ein paar Metern zum Waldweg wird. Würde man nach der Autobahnbrücke wieder rechts abbiegen, um sich exakt an der Stadt-Landgrenze entlangzuschlängeln, würde man eine Sehenswürdigkeit versäumen: Das ehemalige Bäckererholungsheim. Im Jahr 1914 ließ der Obermeister der Bäcker-Innung, Josef Schöfer, das heute denkmalgeschützte Heim, das man rechts vom Weg hinter einem Zaun sieht, bauen. Dort verbrachten die Kinder der Münchner Bäcker ihre Ferien, mit Unterbrechungen bis 1979.

Wo früher Bäckerskinder spielten, wird heute Suchtkranken geholfen

Heute ist das imposante Bauwerk die Adresse der Würmtalklinik, in der Suchterkrankte behandelt werden. Die Bäcker sind in der Nähe geblieben: Auf dem Nachbargrundstück entsteht gerade ein Anbau der Akademie des Bayerischen Bäckerhandwerks. Auch die kleine sogenannte Bäckerkapelle aus dem Jahr 1920 auf der linken Wegseite gehört zu dem historischen Ensemble. Dort konnten die Bäckerkinder auch in den Ferien den Gottesdienst besuchen. Mit der Kapelle wurde außerdem der im Krieg gefallenen Bäcker-Kollegen gedacht. Am Ende der Josef-Schöfer-Straße geht es mit einem Rechtsschwung in die Freihamer Straße auf die Zielgerade der Etappe - mitten in den Wald, der sich vor gut 100 Jahren in einem fast vollständigen Ring um Lochham gelegt hat.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

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Von Thomas Kronewiter
© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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