Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:Ihr Vögelein kommet

Von Freitag bis Sonntag zählen Interessierte im Garten, am Balkon oder im Park wieder eine Stunde lang, wie viele Amseln, Blaumeisen und Elstern sich blicken lassen. Die Mitmachaktion gibt es seit 16 Jahren.

Von Angela Boschert, Ottobrunn

Von diesem Freitag bis zum Sonntag werden auch im Landkreis München wieder Vögel gezählt. Dabei ist die Kernfrage: Überwintern mehr Zugvögel in Bayern? Bei der Mitmachaktion "Stunde der Wintervögel" sollen möglichst viele Interessierte eine Stunde lang zählen, welche und wie viele der gefiederten Gäste sie im Garten, am Balkon oder im Park sehen. Zur Teilnahme braucht es nichts weiter als die Freude an der Natur. Diese hat auch Kristine Ibscher und macht mit.

Die Ottobrunnerin interessiert sich schon von Kindesbeinen an für Vögel, widmet sich aber erst wegen Corona der wirklichen Vogelbeobachtung. Weil sie in Kurzarbeit war, saß sie oft auf ihrem Balkon und sah Vögeln in den umstehenden Bäumen zu. Dabei entdeckte sie einen kleinen braunen Vogel, den sie nicht kannte und forschte nach. Mit der App "Vogelwelt" vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) fand sie heraus, dass es sich um den Fitis handelte. Auch konnte sie feststellen, dass das charakteristische Rufen, das sie häufig vernahm, zum Zilpzalp gehört, "der so klingt, wie er heißt: Ziiilp, Ziaalp", so Ibscher.

Die 45-Jährige schaut seitdem noch aufmerksamer nach Vögeln und trägt in der App ein, wann und wo sie gefiederte Gesellen gesehen hat und falls sie bei der Bestimmung unsicher ist. Bei Radausflügen im südlichen Landkreis hat sie Bachstelzen entdeckt. Auch erregten ein Buchfink mit seinem leuchtend roten Bauch, ein fast taubengroßer Eichelhäher und eine am Feldrand sitzende Feldlerche die Aufmerksamkeit von ihr und ihrer 14 Jahre alten Tochter. Zu lauschen und anzuhalten, gehören seitdem unterwegs dazu. Und Vögel sind als Motiv bei ihrem Hobby Malen und Zeichnen hinzugekommen. Auch ihr Mann teilt das Vogelinteresse, hatte aber eine eher erschreckende Begegnung mit einem Mäusebussard. Als er bei einem Waldlauf unbeabsichtigt dicht an dessen Gelege vorbeilief, hob der Bussard ab und "flog bedrohlich dicht über den Kopf meines Mannes hinweg", erzählt Ibscher. "Das war als Warnung zu verstehen." Seitdem hat sie vor diesem Vogel noch mehr Respekt.

Ihr großer Wunsch ist, einen Raben in offener Natur zu sehen, nicht nur im Tierpark Hellabrunn, "der schon fast sprechen kann". Sie bedauert, dass viele Menschen Raben für unheimlich halten oder sogar Angst vor den schwarzen Vögeln hätten, weil sie durch Otfried Preußlers Buch "Krabat" und den Hitchcock-Film "Die Vögel" so negativ belegt seien.

Zum Zählen setzt sich Ibscher für eine Stunde mit Fernglas und Notizzettel ausgestattet ans Fenster und wartet besonders darauf, wie viele Blaumeisen auftauchen werden. "Diese hatten eine Krankheit im Frühjahr und sind von den Ästen gefallen", sagt sie. Schuld war das Bakterium Suttonella ornithocola, das bei den Meisen eine tödliche Lungenentzündung auslöst.

Wer bei der Vogelzählung mitmachen möchte, kann sich unter www.stunde-der-wintervoegel.de ein dreiminütiges Video ansehen, an einem 45-minütigen Onlinekurs teilnehmen und weitere Informationen zu den Vogelarten bekommen und dazu, wie man sie zählt. Es sei nicht schwer und mache viel Spaß, sagt die Ottobrunnerin. Aus den Datenmengen lassen sich laut LBV Trends für die häufigen Vogelarten im Siedlungsraum ableiten, die etwas über Bestandsentwicklung, Anpassung an die kalte und futterarme Jahreszeit oder mögliche Auswirkungen des Klimawandels verraten. Diese Zählaktion wurde vor 16 Jahren vom damaligen LBV-Geschäftsführer Heinz Sedlmeier ins Leben gerufen. Fand sie zunächst am Dreikönigstag nur in München und im Landkreis statt, veranstalten sie inzwischen LBV und NABU in ganz Deutschland, Österreich und Tschechien.

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SZ vom 08.01.2021/hilb
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