Süddeutsche Zeitung

Effnerplatz:Mae West, eiskalt

Rost und Frost: Nach 24 Stunden Arbeit musste der Aufbau der Großskulptur Mae West zunächst unterbrochen werden. Ist die Vereinigung der beiden Bauteile am Sonntagabend gelungen?

Marco Völklein

Der Abbruch kam am Sonntagmorgen kurz nach sechs. Eigentlich wollte das Baureferat da die Großskulptur "Mae West" am Effnerplatz schon seit ein paar Stunden zusammengesetzt haben. Ein Großkran sollte das Oberteil auf den Sockel des Kunstwerks setzen - die 52 Meter hohe Skulptur aus Karbonrohren wäre endlich fertig gewesen. Doch dann machte der Frost den Ingenieuren zu schaffen. Das Protokoll zweier langer (und sehr kalten) Nächte:

Samstag, 18.33 Uhr

Erste Schaulustige finden sich am Effnerplatz ein. Kameras werden gezückt, Fotos geschossen. Bereits seit Freitag können die Autofahrer nicht mehr über den nördlichen Kreisel des Effnerplatzes fahren. Lange Staus hatten sich gebildet.

Sonntag, 1.30 Uhr

Es geht los. In einem weißen Zelt nördlich des Effnerplatzes informiert das Baureferat die Presse. Die Künstlerin Rita McBride ist da, Erfinderin von "Mae West", auch Radio- und TV-Sender. Auf einem Klapptisch steht eine Torte, heiße Getränke werden gereicht, ein Heizstrahler sorgt für etwas Wärme im Zelt. Draußen hat es zehn Grad minus.

Sonntag, 1.37 Uhr

Die Schranken vor dem Effnertunnel gehen runter, die Polizei sperrt die Röhre und den Richard-Strauss-Tunnel in südlicher Richtung; die Autos werden an der Ifflandstraße abgeleitet. In nördlicher Richtung machen die Ordnungskräfte die Röhren eine Stunde später dicht. Eigentlich waren die Sperrungen erst viel später geplant, aber: "Schaulustige queren südlich des Effnertunnels die Fahrbahn des Mittleren Rings", sagt ein Polizist. "Das ist zu gefährlich."

Sonntag, 1.52 Uhr

Die TV-Sender machen Interviews. Rita McBride, die Künstlerin, sagt, es freue sie, dass über die Skulptur diskutiert wird - "Hauptsache, es wird diskutiert". Projektleiter Johann Wittmann vom Baureferat spricht mit stoischer Ruhe immer wieder dieselben Zahlen in die Mikrophone: 72 Tonnen schwer ist Mae West; das Tragegerüst, an dem die Skulptur später hängen und herumgeschwenkt werden soll, wiegt 23 Tonnen.

Sonntag, 2.16 Uhr

Normalerweise macht die Pizzeria Il Galeone am Effnerplatz gegen 23 Uhr zu - nur heute nicht. Das Restaurant ist gut gefüllt. "Viele Stammgäste haben gefragt, ob wir heute länger aufmachen", erzählt Kellner Bahri Hajdari. 100 Plätze bietet der Gastraum. Sie sind fast alle besetzt.

Sonntag, 3.10 Uhr

An der Trambahnwendeschleife stehen zwei Notfallmanager der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Dem Zeitplan nach hätten sie vor zehn Minuten den Strom in der Oberleitung abschalten sollen - "aus Sicherheitsgründen", hatte Projektleiter Wittmann erklärt. Doch es tut sich nichts. "Verschoben auf vier Uhr", sagt einer der MVGler, und Wittmann erklärt am Pressezelt die Verzögerung: Einzelne Schrauben waren festgerostet und mussten erst gelöst werden.

Sonntag, 3.21 Uhr

Ein junger Mann informiert die Gäste in der Pizzeria Il Galeone: "Es tut sich was." Auf dem kleinen Platz vor dem Restaurant sammeln sich die Zuschauer. Tatsächlich hebt der Riesenkran einen Teil der Hilfskonstruktion aus dem Inneren der Skulptur. An dem Stahlgerüst hatten die Arbeiter in den vergangenen Wochen die einzelnen Karbonrohre angelehnt und zusammengefügt.

Sonntag, 3.42 Uhr

An der Rezeption des Westin-Grand-Hotels fragt ein Pärchen nach einem Zimmer. "Mit Blick auf den Effnerplatz", sagt der Mann. Koffer haben sie keine dabei. "Uns ist es einfach zu kalt da draußen." Seit 20 Uhr etwa, sagt der Hotelportier, fragen Gäste nach Zimmern mit bestem Blick auf Mae West. "Die Übernachtung", sagt er, sei heute "gar nicht so teuer". Aha? "129 Euro ohne Frühstück."

Sonntag, 3.56 Uhr

Kleine Grüppchen von Neugierigen stehen an dem Bauzaun, den Arbeiter rund um den Effnerplatz aufgestellt haben. Gerüchte machen die Runde. "Jetzt heißt es, dass sie mit der Aktion erst um sieben beginnen", sagt eine Frau. Ihr dauert das zu lange. "Wir wohnen gleich ums Eck", sagt sie. "Vielleicht schauen wir vor dem Frühstück noch mal vorbei - wenn wir Semmeln holen."

Sonntag, 4.02 Uhr

Die Arbeiter bräuchten immer wieder "Wärmepausen", sagt Projektleiter Wittmann, anders sei der Aufbau bei der Kälte nicht zu stemmen. Das verzögere den Aufbau zusätzlich zu den festgefrorenen Schrauben an der Hilfskonstruktion, die man erst erhitzen müsse.

Sonntag, 5.34 Uhr

Ein großes Tragegerippe hängt am Kran und baumelt über der Großskulptur; mit zwei kleineren Kränen befestigen Arbeiter Stahlseile an dem Tragegerüst und an Mae West selbst. "Jetzt kann es doch nicht mehr lange dauern", sagt einer der wenigen verbliebenen Zuschauer. Viele sind schon gegangen.

Sonntag, 6.04 Uhr

Projektleiter Wittmann, ein Vertreter der Polizei, der Baufirma, der Kranfirma - sie alle stehen in einem Kreis am Fuße der Skulptur. Es wird diskutiert, gestikuliert. Per Funkgerät kommt die Anweisung an die Arbeiter: Sperre aufheben, Fahrbahnen wieder freigeben - die Aktion wird abgebrochen.

Sonntag, 6.13 Uhr

Wieder wird Wittmann von Kamerateams umringt, wieder bleibt er ruhig. "Die Leute arbeiten seit Samstag um 6 Uhr - mehr als 24 Stunden." Weiterzuarbeiten ohne Pause sei nicht zu verantworten. Am Sonntagabend um 20 Uhr soll die Aktion fortgesetzt werden. Zusätzliche Kosten? "Entstehen uns nicht", antwortet Wittmann. Die Stadt habe einen Pauschalvertrag mit dem Unternehmer, der die Großskulptur errichtet. Das Risiko liegt also bei ihm.

Sonntag, 19.58 Uhr

Rund 500 Schaulustige haben sich an der Baustelle eingefunden. Der Kran hebt das Oberteil der Skulptur leicht an. Die Arbeiter stehen in der Kälte und erledigen letzte vorbereitende Handgriffe.

Sonntag, 20.43 Uhr

Der Kran beginnt das Oberteil der "Mae West" Schritt für Schritt in die richtige Positition zu hieven. Zuvor drängen Polizisten und Ordnungskräfte die Schaulustigen freundlich, aber bestimmt hinter Absperrungen.

Der Verkehr auf dem Mittleren Ring fließt aber noch.

Sonntag, 20.56 Uhr

Das obere Bauteil schwebt mittlerweile in 20 Metern Höhe, der Kran beginnt sich leicht nach Süd einzudrehen und rollt langsam in Richtung Effnerplatz. "Das sieht ja stark aus", sagt ein kleiner Junge.

Sonntag, 21.22 Uhr

Die Arbeiten stocken kurz, plötzlich ist wieder Motorengeräusch zu vernehmen. "Aaaaah", raunt es in der Zuschauermenge. "Jetzt geht's endlich weiter", sagt eine Frau. Der Kran schwenkt nochmal ein Stück ein, kommt aber erneut zu stehen. Zuvor haben Polizisten den Mittleren Ring gesperrt, die Münchner Verkehrsgesellschaft den Strom in der Oberleitung der Trambahn am Effnerplatz abgestellt.

Sonntag, 21.51 Uhr

Der Kran kippt den Ausleger langsam nach vorne und setzt das obere Bauteil auf das untere auf.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2011/cag
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