Aufgeben ist seine Sache nicht. Wenn sich vor Christoph Zenger ein Hindernis auftut, macht er unverdrossen weiter - so lange, bis sich etwas bewegt. Zur Pensionierung, so erzählt er, wollte er sich selbst einen gebrauchten Flügel schenken. Steinway. Der Händler wich zunächst aus. Ließ ihn vorspielen. Hielt ihn hin. Christoph Zenger blieb unbeeindruckt. Er rief von nun an jeden Tag bei dem Händler an. Mit Erfolg: Heute steht ein prächtiger schwarzer Flügel in seinem Wohnzimmer, auf ihm spielt Zenger jeden Tag eine halbe Stunde lang. Wenn er Zeit findet. Denn seine Herzensangelegenheit ist der Verein Donum Vitae, zu deutsch: Geschenk des Lebens.
Dort ist Zenger "Bevollmächtigter" - ein Ehrenamt, das Geschäftsführung und Vertretung nach außen umfasst. Der Verein hat die Rolle der kirchlichen Schwangerschaftsberatung übernommen, als Papst Johannes Paul II. die katholische Kirche 1999 anwies, sich aus der Beratung zurückzuziehen. Die Begründung: Bei der Schwangerenkonfliktberatung kann ein Beratungsschein ausgestellt werden, der unter bestimmten Umständen eine Abtreibung ermöglicht. "Mord", finden konservative katholische Kreise und wettern gegen den Verein. Von "Passierscheinen ins Elend" sprechen Kritiker. "Gegen Dummheit ist nichts zu machen", hält Christoph Zenger dagegen.
Christoph Zenger ist Naturwissenschaftler, gläubiger Katholik und Bevollmächtigter von Donum Vitae.
(Foto: Angelika bardehle)Er sagt, er meine niemanden speziell; er wünsche sich einen Bewusstseinswandel. Man müsse sich viel mehr in die Situation der Frauen versetzen, die in die Beratung kämen. "Abtreibung ist immer eine Notlösung", sagt Zenger, aber die Frau müsse entscheiden können, Autonomie sei wichtig. Viele der betroffenen Frauen hätten ohnehin "Druck von allen Seiten". Zenger versucht sich einzufühlen. Woher das kommt? Er bezeichnet sich selbst als "richtigen Katholen". Aber das reicht als Erklärung nicht. Seine Bindung an die Kirche - "das gäbe es heute kaum noch", sagt er. Kaplan Beck in Meersburg am Bodensee habe ihn als jungen Burschen geprägt. Der habe das Wort Gottes vorgelebt, ob in der Kirche oder bei Zeltlagern. Beck blieb nur zwei Jahre - und hinterließ doch Eindruck für ein ganzes Leben.
Überhaupt das Leben: Zenger selbst nennt sich einen "74-jährigen Greis" - sehr kokett angesichts seines Tatendranges. Dahinter steckt jedoch ein ernstes Anliegen: Donum Vitae in Haar müsse einen Generationswechsel vollziehen, sagt er. Doch die Suche gestalte sich schwierig. Schon 2009 habe Walter Bayerlein, Gründungsmitglied von Donum Vitae in Bayern, ihn gebeten, nach einem Leiter für die Beratungsstelle zu suchen. Doch der fand sich nicht - und Christoph Zenger übernahm den Posten kurzerhand selbst. Ein Visionär wider Willen. Die Gemeinde Haar verlieh ihm daher beim Neujahrsempfang die Goldene Ehrennadel für bürgerschaftliches Engagement.
Anfang März wurde in Haar der Förderverein Donum Vitae Haar gegründet, der die Schwangerschaftsberatungsstelle von Donum Vitae durch Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und das Eintreiben von Spenden unterstützen soll. Erste Vorsitzende des Vereins ist Gertrud Gebert, zu ihrer Stellvertreterin wurde Angelika Seidler gewählt, Schatzmeisterin ist Angelika Denkhaus. Gemäß der Satzung gehört auch Christoph Zenger dem Vorstand an. Als erste Veranstaltung des Vereins wird am 18. April um 20 Uhr im Bürgerhaus in Haar ein Benefizkonzert mit der Vokalgruppe Sixte ajoutée stattfinden. sz
Inzwischen ist die Donum-Vitae-Niederlassung in Haar selbständig, bis 2014 gehörte sie formal zur Freisinger Dependance. Ein Leiter, zwei weitere Beraterinnen und drei Mitarbeiter in der Verwaltung kümmern sich um die Nöte der Frauen. Wenn es sein muss, auch mitten in der Nacht. Ein zwanzigköpfiger Helferkreis übernimmt ehrenamtlich Einsätze - so hat der Verein vermutlich schon Menschenleben gerettet. In sieben Fällen hatte die Beratung bei Donum Vitae eine anonyme Geburt zur Folge. In zwei Fällen lagen die Kinder so, dass die Mutter eine Geburt in der Heimlichkeit womöglich nicht überlebt hätte.
Die anonyme Geburt ist umstritten, dem Gesetz nach ist sie illegal. Dennoch werden Frauen, die ohne Angabe ihres Namens gebären, derzeit nicht strafrechtlich verfolgt. Grund: Das Zeugnisverweigerungsrecht. Es soll jedoch schon Fälle gegeben haben, in denen sich der Leiter eines Krankenhauses weigerte, eine Frau ohne Namensnennung aufzunehmen. Da ist selbst Zenger machtlos, sagt er.
Überhaupt findet er, dass die kirchliche Position oft weit weg ist von der Realität. Er habe als Naturwissenschaftler einen ganz eigenen Blick auf die Wirklichkeit. Zenger war Professor für Informatik an der TU München und forschte in einem Grenzgebiet zur Mathematik. "Naturwissenschaft ist ganz was Freies", sagt er. "Die Realität steht einem da im Weg." Als Wissenschaftler interessiere ihn, wie sich etwas in der Realität äußert. Streng genommen sei es da sogar belanglos, ob es Gott überhaupt gibt: "Die Vorstellung von Gott ändert mein Leben." Er halte es mit Sokrates, sagt Zenger. An der Wirklichkeit gebe es nur einen kleinen Aspekt, den man ändern könne: Sich selbst. Fragen nach seinem Antrieb weicht er aus - er versuche nur, mit sich selbst im Reinen zu sein.
Dennoch, würde Papst Franziskus vor seiner Tür stehen und fragen: Christoph Zenger würde ihm ohne großes Zögern seinen Dienst anbieten. Auf den "geliebten Papst Franz" setzt er große Hoffnungen. Die Katholiken sollten sich endlich mit ihm solidarisieren, sagt er. Glaube ist für ihn ohnehin eine sehr persönliche Sache. Christoph Zenger nimmt eine Klappkarte mit sechs Buben in WM-Trikots in die Hand und sagt: "Der einzige gültige Gottesbeweis ist für mich das hier." Die Buben auf der Karte sind seine Enkel.