Süddeutsche Zeitung

Diskussionsrunde in Unterhaching:Steckenpferd Drahtesel

Fehlende Radwege, zu wenig Stellplätze: Der ADFC diskutiert mit Vertretern der Parteien, wie sich die Infrastruktur für Radfahrer im Großraum München verbessern lässt. Nützt ein Rad-Gesetz? Oder braucht es vor allem mehr Geld?

Von Iris Hilberth, Unterhaching

Wer aus dem Landkreis München zur Arbeit in die Stadt fährt, nimmt meist das Auto. 70 Prozent, so der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), stellt sich lieber in der Stau als etwa das Rad zu nutzen. Dabei sei die Hälfte aller Pendlerwege auf dem Land kürzer als zehn Kilometer und damit schnell, kostengünstig und umweltfreundliche mit dem Fahrrad zu bewältigen. Der Grund, warum das viele trotzdem nicht tun, liegt für den ADFC auf der Hand: Die Infrastruktur ist für Radfahrer einfach viel zu unattraktiv. Es fehlen Radwege, vor allem schnelle Verbindungen und Abstellplätze.

Auch die Fahrradmitnahme in überfüllten Bahnen oder gar in Bussen funktioniert nicht wirklich. Für eine systematische Radverkehrsförderung fordert der Klub daher ein Rad-Gesetz für Bayern. "Manche Gemeinden sind sehr aktiv, bei anderen klappt es nicht. Das sieht man oft an den Gemeindegrenzen", sagte Martin Glas, Vorsitzender des ADFC-Kreisverbands München, am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion in Unterhaching. Der Fahrradklub hatte Politiker verschiedener Parteien ins Kubiz geladen, um vor der Landtagswahl herauszufinden, welche Rolle der Fahrradverkehr in ihren Mobilitätskonzepten für die Region München spielt.

"Gemeinden müssen auf gemeinsame Standards gebracht werden."

Die Zuhörer, die trotz starken Regens überwiegend mit dem Fahrrad gekommen waren, konnten eine engagierte Diskussion verfolgen, in der zwar deutlich wurde, dass Grüne und SPD sich klar für ein einheitliches Rad-Gesetz für Bayern aussprechen, während die CSU es weiterhin den Kommunen selbst überlassen will, ob und wie der Radverkehr gefördert wird. Allerdings waren alle Podiumsteilnehmer, darunter auch Vertreter von FDP und Freien Wählern, sichtlich bemüht, gemeinsam Lösungen für eine Verbesserung der Radinfrastruktur zu entwickeln.

Ganz klare Vorstellungen, was auf diesem Gebiet passieren muss, hat Markus Büchler, Bezirksvorsitzender der Grünen und Landtagskandidat für den südlichen Landkreis München. Er sagt: "Es fehlt an Grundsätzlichem. Gemeinden müssen auf gemeinsame Standards gebracht werden." Dazu brauche man klare Regeln, die in einem Radgesetz dargestellt würden. "Wir können nicht darauf warten, dass die 2000 Kommunen in Bayern etwas machen." Bisher fehle die politische Unterstützung, die bereitgestellten Mittel für den Radverkehr seien homöopathische Dosen im Vergleich zu den Investitionen in den Straßenbau. "Wir brauchen einen Quantensprung", sagte er und forderte, dass der Freistaat - wie das Land Nordrhein-Westfalen - die Baulastträgerschaft für Radschnellwege übernimmt.

Auch in der Gemeinde Unterhaching sieht man das so. Dritte Bürgermeisterin Christine Helming (Grüne), die das Grußwort des kurzfristig verhinderten Bürgermeisters Wolfgang Panzer (SPD) vortrug, sagte: "Radgesetz: ja! Wir brauchen klare Regeln für die Infrastruktur. Es muss einen ganzheitlichen Ansatz geben."

Schreyer wünscht sich besseres gegenseitige Verständnis

Die CSU-Landtagsabgeordnete und bayerische Sozialministerin Kerstin Schreyer hingegen findet, es sei in der Vergangenheit schon viel für die Radverkehr gemacht worden, räumte aber ein: "Ja, wir können besser werden." Ein neues Gesetz hält sie jedoch nicht für notwendig. "Das wird die Sache nicht weiterbringen", meint sie, und es sei doch entscheidend, was hinten herauskomme. Je höher die Ebene, desto länger dauere es, ist sie überzeugt und plädiert daher dafür, den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur weiterhin bei den Kommunen zu belassen. "Es gibt sehr viele Kommunen, die sich sehr engagieren", so Schreyer. Sie wünscht sich vor allem ein besseres gegenseitiges Verständnis aller Verkehrsteilnehmer und sprach sich als Familienministerin auch dafür aus, die Schulung der Kinder zu intensivieren und es nicht allein bei der Fahrradprüfung in der Grundschule zu belassen.

Annette Ganssmüller-Maluche, stellvertretende Landrätin und SPD-Kandidatin für den Landtag, beklagte vor allem, dass die Umsetzung von Beschlüssen für eine Verbesserung der Infrastruktur so lange dauere. "Nordrhein-Westfalen hat 50 Prozent mehr Radwege entlang der Staats- und Kreisstraßen. Da hinken wir sehr nach", sagt sie. Im Landkreis München gebe es Forschung für Luft- und Raumfahrt, "aber Studien, wie wir mit dem Radverkehr umgehen fehlen." Den Überblick habe nur der ADFC, so die SPD-Kreisrätin.

Verschiedene Idee für eine Mitnahme von Rädern in der Bahn

Nicht ganz einfach lässt sich wohl auch die ADFC-Forderung nach einer deutlichen Verbesserung der Fahrradmitnahme in Bus und Bahn im Großraum München umsetzen. Das ÖPNV-Netz wurde bei seinem Bau vor bald 50 Jahren für 250 000 Fahrgäste ausgelegt, mittlerweile nutzen es täglich 900 000. Einfach mit dem Rad in die Bahn einsteigen ist daher meist ein Ding der Unmöglichkeit. Dass die Außenäste der S-Bahn ausgebaut werden müssen, darüber waren sich alle auf dem Podium einig. Dass das aber viel zu lange dauert, darüber auch.

Der FDP-Vertreter, Landratsstellvertreter Jörg Scholler, schlug daher vor, die Bahnsteige zu verlängern und Wagen anzuhängen, um die Mitnahmen von Rädern zu ermöglichen. Ilse Ertl, Landtagskandidatin der Freien Wähler, sprach sich für doppelstöckige Züge aus, um auch die Räder unterzubringen. Da diese Bahnen aber nur bis zum Ostbahnhof kämen, weil sie nicht durch den Tunnel passten, plädierte Schreyer für den Ausbau der Mietrad-Variante. "Wir müssen zudem die Queräste hinkriegen", sagte sie. "Es ist es unrealistisch, in die vollen S-Bahnen auch noch Fahrräder reinzubekommen."

Viel Kritik aus dem Publikum gab es insbesondere auch an der Radinfrastruktur in der Stadt München. Dort wird der ADFC am 19. Juli (19 Uhr, Eine-Welt-Haus, Schwanthalerstraße 80) mit verschiedenen Parteien das Thema diskutieren.

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Quelle:
SZ vom 30.06.2018/hilb
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