Diskussion in Haar:Autokratie wird salonfähig

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Norbert Göttler, Gert Heidenreich, Bascha Mika und Stefan Wurster (von links) erörtern im Theatercafé den gefährdete Zustand der Demokratie. (Foto: Claus Schunk)

Eine hochkarätige Runde geht im Kleinen Theater in Haar der Frage nach, ob die demokratische Staatsform in Gefahr ist

Von Udo Watter, Haar

Platon war kein großer Freund der Demokratie. Ihm schwebte als idealer Staatenlenker der (oder die) Philosophenherrscher vor: weise Führer, erhoben über die Ignoranz und die Launen des Volkes. Bei der hochkarätigen Gesprächsrunde, die am Sonntag im Kleinen Theater Haar in der vom Bezirk Oberbayern organisierten Reihe "Salon Zukunft Heimat" über die Frage "Demokratie in Gefahr?" diskutierten, war eine solche Auffassung nicht sonderlich salonfähig. Bei allen Schwächen, die Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, der Schriftsteller und Radiosprecher Gert Heidenreich, Stefan Wurster, Professor für Policy Analysis an der Hochschule für Politik München, und Moderator Norbert Göttler, Bezirksheimatpfleger Oberbayern, der Demokratie gerade auch in ihrem aktuellen Zustand attestierten - sie ließen keine Zweifel an ihrer großen Wertschätzung.

Dass diese Herrschaftsform, die in den Neunzigern scheinbar unbeirrbar auf die Siegesstraße der globalen Geschichte eingebogen war, in jüngeren Zeiten ein Imageproblem hat, wurde an diesem Sonntagvormittag im stimmungsvollen Jugendstilambiente des Theatercafés auch deutlich. "Vor ein paar Jahren hätten wir so eine Frage wahrscheinlich gar nicht als Diskussionsthema gestellt", erklärte Göttler.

Die Verächtlichmachung der Demokratie beschränke sich nicht mehr nur auf die extremen politischen Ränder, sondern habe die Mitte der Gesellschaft erreicht. Dieser These stimmten alle drei Diskutanten zu. "Unser kollektives Gedächtnis ist seit 1945 zwar so gestählt, dass wir nicht mehr auf einen 'Führer' hereinfallen würden, aber es gibt eine schleichende Entdemokratisierung", erklärte Mika. Für Heidenreich, den man als Alt-68er bezeichnen darf, gehört das Gefährdetsein "zum Wesen der Demokratie", weil sie kein Zustand, sondern ein Prozess sei. Problematisch sei etwa ihre moralische Entwertung, befeuert durch das verurteilenswerte Verhalten von Politikern, Automanagern oder Fußballfunktionären - von wegen Vorbildfunktion. "Man braucht nicht glauben, dass das keine Auswirkungen auf die Grundeinstellung der Menschen hat." Bildung sei der Schlüssel für eine gute demokratische Gesellschaft, was heute allerdings oft praktiziert werde, sei eine "Konditionierung der jungen Leute". Die wohl schwierigste Herausforderung sieht Heidenreich im Umgang demokratischer Gesellschaften mit der technischen Revolution - Algorithmen und Künstlicher Intelligenz. Wahrscheinlich komme eine autokratische Staatsform damit besser zurecht.

Auch Wurster sieht die Demokratie "weltweit in der Krise" und eine Autokratisierungswelle. Das liege unter anderem daran, dass die Demokratie ihre Versprechen, allgemeinen Wohlstand und Gerechtigkeit zu generieren, nicht mehr so einlösen könne. Und gerade, was den Wohlstand angehe, eine freie Marktwirtschaft auch in anderen Systemen erfolgreich sei, wie in China. Ein weiteres Problem der Demokratie: "Sie ist sehr kurzfristig angelegt." Legislaturperioden bestimmen Denken und Handeln, Nachhaltigkeit bleibt da oft auf der Strecke, ganz zu schweigen vom Einfluss der Lobbyisten. Ein großer Vorzug der Demokratie: In ihr besteht die Möglichkeit, Fehler zu korrigieren, etwa die Regierungspartei abwählen.

In vielen Punkten herrschte prinzipielle Einigkeit unter den Diskutanten: Die zunehmende ökonomische Spaltung wurde kritisiert oder die Vernachlässigung der in prekären Verhältnissen Lebenden. Wurster betonte, dass in elementaren Bereichen zunehmend erfolgreich Zweifel (gerne von der AfD) gesät würden: dass etwa die Medien "Fake News" verbreiteten. Das Publikum im gut besuchten Café ging bei dieser diskursiven Matinee leidenschaftlich mit. Die Fragen, die gestellt, die Analysen, die präsentiert wurden, offenbarten gut informierte, gebildete und engagierte Zuhörer - vom Professor über die ehemalige Gemeinderätin bis zum jüngeren Besucher, der früher bei den Grünen war. Gesprochen wurde darüber, ob parlamentarische Demokratie in ihrer jetzigen Form für die junge Generation noch interessant sei, über Vor- und Nachteile der direkten Demokratie respektive des Parteiensystems, welche Auswirkungen globale ökologische Veränderungen haben, die Verkürzung des politischen Diskurses durch die digitale Form, die Mühen der Kommunalpolitik, oder den Niedergang der Debattenkultur bei jüngeren Studentengenerationen.

Viel Stoff also, und klar waren die Anwesenden ein eher homogenes, älteres, intellektuelles Publikum mit stabiler Demokratiesympathie und weit und breit kein Agent Provocateur vom politischen Rand. Aber kultiviert zu diskutieren, muss ja nicht Schlechtes sein. Bildung gilt vielen als der entscheidende Schlüssel für eine funktionierende Demokratie und dass im Gegensatz dazu kluge Köpfe auch immer wieder zu antidemokratischen Ressentiments neigen - ob der Professor, der AfD wählt, oder in der Vergangenheit der Philosoph, der die Nazis unterstützte - widerspricht dem laut Heidenreich nicht: "Diese Leute verraten ihre Bildung." Wie sagte Wurster: "Die Demokratie hat Probleme. Aber Autokratie ist keine Lösung."

© SZ vom 16.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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