Digitaler Umbruch:"Der Mensch muss nicht neu gedacht werden"

Digitaler Umbruch: Die Digitalisierung verändert die Berufswelt und das Privatleben.

Die Digitalisierung verändert die Berufswelt und das Privatleben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Freude an Technologie oder Angst vor zu viel Veränderung: Jeder hat sein eigenes "Digitales Mindset", sagt Stephan Kaiser von Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Ein Gespräch über Effizienz und Überforderung in der Digitalisierung.

Interview von Daniela Bode, Neubiberg

Für die einen ist es eine Qual, für die anderen ein Segen: In allen Bereichen des Lebens schreitet die Digitalisierung voran. Sei es am Arbeitsplatz, sei es im Privaten. An der Universität der Bundeswehr in Neubiberg läuft derzeit eine öffentliche Ringvorlesung zum Thema "Digital Mindset". Organisiert wird sie von Stephan Kaiser, Professor für Personalmanagement und Organisation, Pädagogikprofessor Bernhard Ertl sowie einer interdisziplinären Forschungsinitiative, an diesem Mittwoch ist die Abschlussdiskussion geplant. Im Interview erklärt Kaiser, welche Chancen die Digitalisierung bereithält und ob der Mensch neu gedacht werden muss.

SZ: Was versteht man unter "Digital Mindset"?

Stephan Kaiser: Das digitale Mindset ist die Einstellung einer Person zur Digitalisierung. Sie kommt durch zwei Elemente zustande. Durch die Überzeugung darüber, wie ich selbst mit der Digitalisierung umgehen kann, und über die Einschätzung dazu, was die Digitalisierung mit mir und meinem Umfeld macht. Wissenschaftlich betrachtet, kann das Mindset hinderlich, neutral, aber auch förderlich für die Digitalisierung sein. Wenn in der Praxis von digitalem Mindset die Rede ist, ist aber das positiv konnotiert gemeint.

Warum haben Sie und Ihre Kollegen die öffentlich zugängliche Ringvorlesung zu dem Thema organisiert?

Weil wir glauben, dass digitales Mindset ein wichtiges Thema in Verbindung mit Digitalisierung ist. Es geht nicht nur um technologische Lösungen, sondern um darüber hinaus gehende Fragen. Daher haben wir entschieden, das Thema mit diversen Facetten öffentlich zu behandeln. Wir betrachten es vor allem vom sozial- und geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus. Außerdem wollen wir das, woran wir forschen, gerne weitergeben. Wir erwarten uns auch, dass Fragen an uns herangetragen werden, an die wir möglicherweise nicht denken.

Digitaler Umbruch: Stephan Kaiser ist Professor für Personalmanagement und Organisation an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg.

Stephan Kaiser ist Professor für Personalmanagement und Organisation an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg.

(Foto: Thomas Benz/just imagine)

Welche Chancen birgt die Digitalisierung für den Einzelnen und Organisationen?

Effizienzgewinne. Für Organisationen beispielsweise, dass sie Prozesse beschleunigen oder sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Für mich als Einzelnen, dass ich mich selbst optimieren kann. Kompetenzgewinne, weil man jederzeit auf Wissen zugreifen kann. Digitalisierung kann auch eine stärkere Selbstbestimmung mit sich bringen. Auf organisatorischer Ebene etwa, weil jeder Mitarbeiter intelligente Systeme nutzen kann, die ihn bei einer Entscheidung unterstützen.

Auf der anderen Seite stehen aber auch Herausforderungen.

Ja. Die Risiken der Effizienzgewinne sind Überforderung und Arbeitsverdichtung. Die Kehrseite der Kompetenzgewinne ist, dass man viel Wissen nicht mehr selbst besitzt. Die Herausforderungen bei der stärkeren Selbstbestimmung ist, dass man nicht mehr selbst entscheidet, sondern ein intelligentes System. Daher ist es so wichtig, nicht nur die technischen Möglichkeiten zu sehen, sondern umfassend abzuwägen. Es gibt Menschen, die die Digitalisierung im Home-Office für sich nutzen können durch die Flexibilisierung des Arbeitsorts. Andere können das nicht. Es geht auch um Gerechtigkeit.

Es gibt Menschen, die Berührungsängste vor allem Digitalen haben, andere können sich ein Leben ohne Smartphone und Online-Überweisung nicht mehr vorstellen. Hat die Ringvorlesung für diese Diskrepanz eine Erklärung oder gar Lösung parat?

Professor Bernhard Ertl ist Bildungsforscher. Er hat mit Kollegen eine große Umfrage zu Digitalisierungskompetenzen gemacht, über die er bei der Vorlesung referierte. Er hat festgestellt, dass die digitalen Fähigkeiten nicht so sehr am Alter liegen, sondern mit anderen klassischen Kompetenzen korrelieren wie Lese- und Sprachkompetenz. Wir laufen Gefahr, dass Menschen bei der Digitalisierung nicht mitgenommen werden, weil sie etwa sprachlich Nachteile haben. Es besteht also Handlungsbedarf und ein erster Lösungsvorschlag ist, auch die digitalen Kompetenzen zu schulen.

Beim Vortrag von Theologie-Professor Friedrich Lohmann ging es um die Frage, ob der Mensch nun neu gedacht werden müsse. Muss er das?

Der Vortrag setzte sich kritisch mit dem digitalen Mindset auseinander. Es ging darum, dass es nicht nur darum gehen dürfe, ob man effizienter werde. Es gebe auch andere ethische Maßstäbe wie die Selbstbestimmung. Vor dem Hintergrund sage ich: Nein, der Mensch muss nicht neu gedacht werden, jeder muss Mensch bleiben mit seinen Rechten. Denkt man das weiter, sieht man allerdings, dass es wegen der technischen Verflechtung zu Veränderungen kommt. Ich kann mich beispielsweise mit Hilfe des Google-Translators finnisch mit jemandem unterhalten, obwohl ich nicht finnisch spreche. Ich werde zum hybriden Akteur, der das nur gemeinsam mit der intelligenten Software kann. Dadurch entstehen auch Abhängigkeiten.

Was waren die spannendsten Erkenntnisse der Vorlesung?

Es gab sehr viele. Ich fand ein paar Aspekte aus einem Vortrag zu E-Sports sehr interessant. Es ging auch um Suchtgefahr von digitalen Spielen klassischer Sportarten. Der Referent sprach unter anderem darüber, dass es von den eigenen Persönlichkeitsmerkmalen abhängt, ob sich bei jemandem ein problematisches Suchtverhalten entwickelt, wenn er fünf Stunden am Tag spielt. Beim einen kann das ein Anzeichen sein. Der andere ist so sozialverträglich und gut vernetzt, dass es unproblematisch ist. Das ist spannend, denn es betrifft ja jeden selbst, wenn man sein Handynutzungsverhalten betrachtet.

Man sieht, das Thema hat viele Facetten. Worum wird es in der Abschlussdiskussion gehen?

Wir wollen alles noch einmal zusammenfassen und sehen, was die Themen für die Zukunft sind. Es werden diverse Kollegen der Ringvorlesung und der Forschungsinitiative am virtuellen Podium teilnehmen beziehungsweise nach und nach zugeschaltet, also Human- und Sozialwissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler. Wir wollen einen Ausblick geben, wie sich die Digitalisierung weiterentwickelt. Ein Thema könnte das Metaversum sein, in dem wir mit digitalen Avataren in virtuellen Welten leben.

Die Abschlussdiskussion am Mittwoch, 16. März, dauert von 11.30 bis 12.30 Uhr, die Anmeldung ist über Webex unter Indor-auftakt@unibw.de möglich.

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