Süddeutsche Zeitung

Digitales Rathaus:Es hat noch nicht überall klick gemacht

Lesezeit: 6 min

Bisher lassen sich noch wenige Behördengänge online erledigen. Mit einem Förderprogramm will der Freistaat Bayern das ändern.

Von Daniela Bode, Iris Hilberth, Bernhard Lohr und Martin Mühlfenzl

Dass die Dänen laut World-Happiness-Report Jahr für Jahr zu den glücklichsten Menschen zählen, liegt möglicherweise auch an ihrer unkompliziert und flott funktionierenden öffentlichen Verwaltung, deren Dienste die Bürger längst weitgehend online nutzen und die ihnen viel Frust und schlechte Laune erspart. Lange Schlangen, Wartezeiten und umständliche Behördenschreiben im Briefkasten gibt es dort nicht mehr. Die Dänen schreiben von zu Hause aus ihre Kinder für den Kindergarten ein, bestellen ihre Pässe online, melden ihren Wohnsitz um, erledigen Schulangelegenheiten und Gewerbeanmeldungen. In Deutschland hingegen gelten meist noch Öffnungszeiten, die selten mit den eigenen Arbeitszeiten kompatibel sind.

Auch im Landkreis München ist das digitale Rathaus bisher allenfalls in Ansätzen erkennbar, etwa wenn Unterschleißheim ein digitales Beschwerdemanagement eingeführt hat und Hohenbrunn die Bürger einlädt, per Mausklick durchs Rathaus zu wandern. Das ist es oft auch schon. Doch jetzt will die Bayerische Staatsregierung etwas in Gang setzen: Laut der neuen Förderrichtlinie zum Aufbau digitaler Dienste in den Rathäusern können Kommunen seit 1. Oktober und noch bis zum Jahr 2023 Zuschüsse für neue Online-Dienste beantragen. Mitarbeiter sollen zu "Digital-Lotsen" weitergebildet werden.

Der Bayerische Gemeindetag warnt jedoch, dass der Vorstoß verpuffe, weil der Höchstförderbetrag von 20 000 Euro pro Kommune nicht reiche. "Kleine Gemeinden können damit sicher genug Software einkaufen, um künftig digitale Anwendungen anzubieten", sagt Gemeindetagssprecher Wilfried Schober. Für größere Städte aber sei der Betrag nur "ein Tropfen auf den heißen Stein". Das Entscheidende sei aber, dass viele Anwendungen - etwa bei der Ausstellung von Ausweisen - rechtlich oder tatsächlich noch gar nicht möglich seien, solange der Bund keine Pass-/Ausweisbeantragung von daheim aus ermögliche, sondern verlange, dass man ins Rathaus gehen muss, um den Antrag abzugeben und ihn auch persönlich im Rathaus abzuholen. Der Bund müsse in vielen Bereichen noch Gesetze ändern, um E-Government zu ermöglichen.

Virtuell durch Hohenbrunn

Hohenbrunn bietet seinen Bürgern einen besonderen Service. Hier kann man auch mitten in der Nacht ins Rathaus gehen, Informationen einholen und Behördengänge online erledigen. Ein paar Klicks und man steht am Empfang, mit einem weiteren Klick auf einen Pfeil geht man die Treppe ins erste Obergeschoss und findet sich bei der Finanzverwaltung wieder. In der Gemeinde kann man sich virtuell mit Hilfe der Computermaus durch die verschiedenen Abteilungen der Verwaltung bewegen. Der Besucher erhält dann den Namen des Mitarbeiters sowie dessen Telefonnummer und kann zu verschiedenen Themen nachlesen, etwa in der virtuellen Bauverwaltung die Bebauungspläne ansehen. Wer sich trauen lassen will, kann schon einmal das Trauzimmer betrachten und gleich online einen Termin für die Zeremonie reservieren. Wer das alles doch lieber im persönlichen Gespräch tut, kann ja beim virtuellen Spaziergang durchs Rathaus die Öffnungszeiten abrufen.

App nach Taufkirchen

Schlaglöcher, defekte Straßenbeleuchtung, Verbesserungsvorschläge an Spielplätzen oder illegale Müllablagerungen - in Taufkirchen kann man seit drei Jahren solche Beobachtungen im Gemeindegebiet online im Rathaus melden. Unter der Rubrik "Ich hab' da was" können Bürger Ort, Datum und Art des Schadens von A wie Abwasserbeseitigungsanlage bis W wie Winterdienst eingeben sowie ein Bild von der Beobachtung hochladen. Der Service werde gut genutzt, sagt Manuel Messner, persönlicher Referent des Bürgermeisters. So sei die Verwaltung schon rasch auf so manch umgefallenes Schild, klappernden Gullydeckel oder sogar ein altes Auto im Wald aufmerksam gemacht worden. "Der Vorteil ist, dass die Leute sich nicht mehr nach dem richtigen Ansprechpartner im Rathaus durchtelefonieren müssen", sagt Messner. Auch in Taufkirchen kann man verschiedene Behördengänge bereits online abwickeln, das Angebot soll laut Messner nach und nach ausgebaut werden. Zudem gebe es Überlegungen zu einer Taufkirchen-App.

Videos aus Oberhaching

Bis in ein zwei Jahren soll man im Oberhachinger Rathaus alles erledigen können, ohne auch nur einen Fuß in das Gebäude auf dem Kyberg zu setzen. Dass der Weg ins digitale Zeitalter mitunter aber noch etwas mühsam ist und einige Stolperfallen haben könnte, hat sich in diesem Sommer gezeigt: Das komplette Rechnungswesen sollte mit einem neuen Computerprogramm noch moderner und schneller werden. Rechnungen können seitdem digital durchs Haus geschickt werden. Doch irgendwo auf dem Datenhighway ist der Zweck der Zahlungsaufforderung verloren gegangen. So wurde zwar das Geld von den Konten der Bürger abgebucht, doch die wussten erst einmal nicht wofür. "Die Beträge aber stimmten", versicherte Kämmerer Paul Fröhlich, der die Panne im Gemeinderat einräumte.

Derzeit bastelt die Verwaltung in Oberhaching an ihrem digitalen Rathaus. "Wir wollen die Sache rund machen", sagt Alexander Maierhöfer, persönlicher Referent des Bürgermeisters. Zu dem Bürgerservice zählen nicht nur alle Dienstleistungen, sondern auch der Dialog mit dem Bürgermeister. Bis vor einem Vierteljahr beantwortete Stefan Schelle Bürgeranfragen mit einer Videobotschaft. Derzeit ist der Oberhachinger Youtube-Star aus dem Rathaus allerdings nicht auf Sendung. Grund ist die Datenschutz-Grundverordnung. "Wir mussten erst einmal abwarten, wie sich die auswirkt und welche Daten wir veröffentlichen können", sagt Maierhöfer. Bis Ende des Jahres will man aber so weit sein, dass Schelle wieder seine Videos hochladen kann. Er dreht die übrigens selbst.

Probelauf in Haar

Haar kommt dem digitalen Rathaus einen Schritt näher. So sollen Rechnungen in naher Zukunft in digitaler Form an das Rathaus gestellt und dort auch rein digital bearbeitet werden können, wovon man sich Zeitersparnis erwartet. Kämmerer Günther Rudolf startet in Kürze einen Probelauf, um das Ganze im Januar oder Februar umzusetzen. An anderen Stellen ist noch mehr Vorarbeit nötig. So haben sich die Haarer in Unterschleißheim angeschaut, wie ein digitales Beschwerdemanagement aussehen könnte, und sich Gedanken über eine Gemeinde-App gemacht. Doch die Umsetzung wäre, wie Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) sagt, ohne zusätzliches Personal nicht machbar. Schließlich müssten Anfragen, die das Rathaus vermehrt erreichen dürften, auch bearbeitet und den Bürgern beantwortet werden. Außerdem steht Haar vor einem größeren technischen Neuanfang, um Homepage, Facebookauftritt und die Präsenz auf Instagram, die es mittlerweile auch gibt, mit den anderen digitalen Angeboten zusammenzubinden.

Wobei Rathaussprecherin Ute Dechent sagt, dass Behördengänge in Haar ja nicht vergleichbar seien mit Besuchen im Münchner Kreisverwaltungsreferat. Länger als zehn Minuten warte niemand, auch suche man, etwa bei der Kindergartenanmeldung, bewusst das Gespräch mit den Familien, um individuell passende Lösungen zu finden. Der große Wurf scheitere momentan an der fehlenden Regelung in Bayern und Deutschland zur digitalen Unterschrift, sagt Dechent.

Serviceportal für Neubiberg

Papier sparen und digital erledigen, was möglich ist - das ist für die Gemeinde Neubiberg schon in vielerlei Hinsicht die Devise. Seit einer Weile können die Bürger das sogenannte Bürgerserviceportal nutzen und verschiedene Behördengänge online erledigen. Wer beispielsweise eine Meldebescheinigung braucht, muss nicht ins Bürgerbüro kommen. Man kann diese im Internet beantragen, ohne Rücksicht auf die Öffnungszeiten des Rathauses. Ebenso geht das etwa mit der Geburtsurkunde oder mit Briefwahlunterlagen. "Ungefähr ein Drittel wird online erledigt, zwei Drittel beim persönlichen Besuch im Amt", weiß Pressesprecherin Marina Prüller von ihren Kollegen im Bürgerbüro.

Auch verwaltungsintern läuft einiges ohne Papier. Die Finanzverwaltung hat etwa ihr Belegarchiv digitalisiert. Künftig will die Gemeinde noch mehr digital erledigen. Denn Neubiberg hat vor, 2020 einen "Digitallotsen" zu bestellen und dafür auch Geld vom Freistaat zu beantragen. Konkret heißt das: Ein Mitarbeiter der Verwaltung soll dahingehend geschult werden, wo Digitalisierung sinnvoll ist und gegebenenfalls Veränderungen anregen.

Social Media in Kirchheim

Maximilian Böltl ist der Digital-Bürgermeister des Landkreises München. Kein anderer Rathauschef nutzt soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram so professionell wie der Christsoziale aus Kirchheim. Und auch die Homepage der Gemeinde ist längst im digitalen Zeitalter angekommen - zumindest optisch. Der große Sprung in die neue, komfortable Online-Welt steht den Kirchheimern und Heimstettnern aber noch bevor. Die Online-Suche im Fundbüro funktioniert tadellos. Wer sich über Kirchheim 2030 und die Landesgartenschau informieren will, wird auf der Homepage auch schnell fündig. Und auch eine Statusabfrage des eigenen Passes ist auf der Gemeinde-Homepage möglich. Doch der Gang ins Rathaus und ins Bürgerbüro ist in Kirchheim noch die Regel. Auch das gehört ja zu einer Gemeinde, die sich den Slogan gegeben hat: "Einfach lebenswert."

Online in Unterschleißheim

Vieles geht in der Stadt mittlerweile ganz bequem von zu Hause aus - aber noch längst nicht alles. Die Unterschleißheimer können online über den Bürgerhaushalt bestimmen, sich über ehrenamtliche Tätigkeiten informieren, einen Kitaplatz reservieren und einen virtuellen Blick ins Fundbüro werfen. Und die Stadt geht mittlerweile auch mit ihrem sogenannten Bürgerserviceportal neue Wege. Mit der "eID-Funktion" des neuen Personalausweises können Bürger Angebote des Bürgerbüros nutzen, ohne persönlich vorstellig werden zu müssen: etwa die Erteilung einer Aufenthalts- und Meldebestätigung oder eines Wahlscheins. Wer noch im Besitz eines alten Personalausweises ist, kann diese Dienste ebenfalls in Anspruch nehmen, muss aber für die Identifikation den Weg ins Bürgerbüro antreten. Jeder Bürger der Stadt kann im Serviceportal ein eigenes Bürgerkonto einrichten. Das spart Wege und auch Zeit.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2019
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