In Dänemark rudert man zurück, zumindest bei den Schulen. Dort soll wieder mehr analog unterrichtet werden. Deutschland indes hat noch einigen Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Zwar hat der zuständige Minister Volker Wissing dem Thema einen hohen Stellenwert eingeräumt, seine Digitalstrategie wurde bereits 2022 von der Ampel-Regierung verabschiedet.
Ein solches Konzept gibt es zum ersten Mal. „Die Digitalstrategie ist eine konkrete Zukunftsvision mit greif- und messbaren Zielen für den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Transformationsprozess“, wird der mittlerweile parteilose ehemalige FDP-Politiker auf der Website des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr zitiert.
Die Bundesregierung verpflichtete sich, diese bis zum Ende der Legislaturperiode auch umzusetzen. Doch zwischen dem, was bis 2025 erreicht sein sollte, und dem, was tatsächlich passiert ist, klafft eine Lücke. Insbesondere bei den Schulen, beim Glasfaserausbau und bei den Verwaltungen. Experten erklären an Beispielen aus dem Münchner Umland, warum Deutschland bei der Digitalisierung zum Teil nur schleppend vorankommt und was sie nun von den Parteien, die zur Bundestagswahl antreten, erwarten.
Schulen
Die Corona-Pandemie hat auch an den deutschen Schulen einen Digitalisierungsschub gebracht. Im Heimunterricht per digitalem Endgerät ist man nun geübt. Auch in der Schule kommen immer öfter Tablets zum Einsatz. Im Dezember haben Bund und Länder den Digitalpakt 2.0 beschlossen, wie es die Digitalstrategie vorsieht. Er soll unter anderem die digitale Infrastruktur an den Schulen weiter verbessern. Dennoch sieht Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, einige Baustellen. „Wir haben überall einen Reformstau“, sagt die ehemalige Poinger Schulleiterin.
Ihr missfällt, wenn etwas auf Bundesebene angesagt wird, wegen des Föderalismus aber in Bayern umgesetzt werden muss und dann die Finanzierung nicht klar geregelt ist. In den Schulen habe man das Gefühl, hinten dran zu sein – sei es, weil die Endgeräte fehlten oder der Datenschutz nicht geregelt sei. „Der Lehrerin in der 7c ist das egal, wer es finanziert“, sagt Fleischmann. Sie wolle den Satz des Pythagoras und das Lesenlernen nicht nur mit dem Schulbuch, sondern mit den neuesten Medien vermitteln.

Zudem sei es so, dass Bayern beim Digitalpakt lange nicht viel von den Bundesgeldern abgerufen habe. Auch einige Kommunen, die Sachaufwandsträger der Schulen, riefen nicht viel ab, weil sie zögerlich seien und nachhaltig mit ihren Geldern umgehen wollten. „Dann kommt es nicht in der 7c an“, sagt sie. Fleischmann hat daher klare Forderungen an die Parteien: Es brauche verbindliche Bundesziele und eine „Finanzierung bis zu den kommunalen Spitzenverbänden“, die auf Langfristigkeit angelegt sei. „Ein Vorhaben auf Bundesebene ist nur so gut, wie es in der 7c in die Realität umgesetzt werden kann“, sagt die Präsidentin.
Glasfaserausbau
Auch beim schnellen Internet ist Deutschland hinten dran. Nach der Digitalstrategie sollte bis 2025 die Hälfte der Haushalte und Unternehmen mit Glasfaseranschlüssen versorgt sein. Laut einer Pressemitteilung des Digitalministeriums vom vorigen Oktober hat aber erst jeder dritte Haushalt die Möglichkeit, sich ans Glasfasernetz anzuschließen. „Mit der jetzigen Politik werden die Gigabit-Ziele 2030 deutlich verfehlt“, erklärt eine Sprecherin des Unternehmens Deutsche Glasfaser. Dieses versorgt insbesondere den suburbanen und ländlichen Raum mit Glasfasernetzen bis ins Haus und ist auch im Landkreis München mit 13 Projekten vertreten. Das Netz in Brunnthal etwa ist bereits aktiv, in Sauerlach kann es ebenso schon genutzt werden, in den Außenbereichen laufen noch Bauarbeiten.
Um den Ausbau zu beschleunigen, brauche es „mehr politischen Gestaltungswillen“ und „faire Rahmenbedingungen für den Ausbauwettbewerb“, heißt es von der Pressestelle. Als Grund für das Hinterherhinken sieht das Unternehmen unter anderem den Doppelausbau von Glasfasernetzen, also dass mehrere Unternehmen parallel Kabel verlegen. „Der Doppelausbau schadet dem Wettbewerb und ist volks- und betriebswirtschaftlicher Unsinn“, heißt es von der Pressestelle. Es handle sich um eine überflüssige Baumaßnahme, die Anwohner und Kommunalverwaltungen unnötig belaste und dazu führe, dass andere Orte länger auf den Ausbau warten müssten.
Bei dem Projekt in Sauerlach sei es beispielsweise zu einem Doppelausbau durch die Telekom gekommen. Als weiteren Grund für das schleppende Vorankommen sieht die Deutsche Glasfaser die „überbordende Bürokratie“. Kein anderer EU-Mitgliedstaat verlange „so viele behördliche Genehmigungen“ und gebe so viele „Pflichten zur Datenlieferung oder Datenspeicherung“ vor. Bei Projekten brauche es teilweise bis zu 20 unterschiedliche Genehmigungen.
Daher erwartet das Unternehmen von den Parteien, eine „wettbewerbsbasierte Wirtschaftspolitik zu verfolgen“, die möglichst günstige Rahmenbedingungen für Investitionen in den Glasfaser-Ausbau zum Ziel hat. Konkret fordert die Firma eine Regulierungsbehörde, die ihrer Aufgabe als Wettbewerbshüter nachkommt. Sie wünscht sich zudem eine Vereinheitlichung von Genehmigungsprozessen, eine Begrenzung staatlicher Fördermittel auf ein notwendiges Minimum und im Telekommunikationsgesetz eine Definition des Ausbaus von Glasfaser als „überragendes öffentliches Interesse“.
Verwaltung
Auch zur möglichst papierlosen Verwaltung ist noch ein weiter Weg. Die Digitalstrategie sieht vor, dass bis 2025 Bund, Länder und Kommunen die Voraussetzung geschaffen haben, dass Antragsteller ihre Nachweise nur einmal einreichen müssen. Zudem sollten die Dienstleistungen von Verwaltungen flächendeckend online möglich sein. Wie Florian Eckert, Referent für Digitalisierung beim Bayerischen Gemeindetag, erläutert, hat sich dabei in den vergangenen Jahren schon einiges getan, gerade bei den Online-Services. Ein kurzer Blick in Kommunen im Landkreis München bestätigt das: In Neubiberg etwa kann man schon seit einigen Jahren über das Bürgerserviceportal online die Meldebescheinigung beantragen oder das Kind für den Kitaplatz anmelden. Laut Eckert arbeiten auf bayerischer Ebene die Staatsregierung und die kommunalen Spitzenverbände gerade in der Zukunftskommission „Digitales Bayern 5.0“ gut zusammen, um Bayerns Kommunalverwaltung zukunftsfähig, schneller und einheitlicher zu gestalten.

Er fordert aber, dass die landesweiten Bestrebungen auf Bundesebene unterstützt werden müssen. Erst 2024 sei das neue Onlinezugangsgesetz verabschiedet worden, das den Weg zu einer voll digitalen Verwaltung weiter bereiten soll. Das soll unter anderem durch das Once-only-Prinzip geschehen, nach dem Bürger beim Beantragen von Verwaltungsleistungen ihre Daten und Nachweise nur einmal einreichen – wie es auch die Digitalstrategie vorsieht - und bei weiteren Anträgen darauf zurückgegriffen wird. Dafür werde gerade ein-Staatsvertrag auf den Weg gebracht. „Diese Projekte müssen schnell und konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden“, fordert der Referent.
Damit aber eine echte Ende-zu-Ende-Digitalisierung, also vom Antrag über den Bescheid bis zur Akte, stattfindet, fordert er außerdem, dass auf Bundesebene „die lange verschleppte Registermodernisierung“ vorangetrieben wird – technisch wie rechtlich. Nur mit der Möglichkeit, die erforderlichen Daten automatisiert aus verschiedenen Datenbanken auszulesen und zu verarbeiten und mit Register-Datenbanken, die miteinander kommunizieren können, könnten die Prozesse automatisiert und für die Bürger vereinfacht werden. Dann müsse etwa für eine Schulanmeldung nicht mehr die Geburtsurkunde abgeholt werden, sondern sei nur noch die Genehmigung des Registerabrufs und der automatisierte Abruf.

Bundestagswahl im Landkreis München:Digitale Aufholjagd
Die Bundestagskandidaten im Wahlkreis München-Land versprechen allesamt, die Digitalisierung voranzubringen. Wer Unterschiede sucht, muss genau hinsehen.
Bei der Digitalisierung der Verwaltungen hat Eckert noch weitere Erwartungen an die Parteien: Er fordert eine transparente Kommunikation gegenüber der Bevölkerung, einen wirksamen, aber pragmatischen Datenschutz sowie die Förderung und Möglichkeit der Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Zudem hält er den Ausbau der Resilienz gegenüber Cyberattacken für immer wichtiger und wünscht sich eine „enge Zusammenarbeit“.
Welche Themen bewegen die Menschen im Landkreis München vor der Bundestagswahl? Die SZ hat mit Betroffenen und Beteiligten gesprochen, mit Expertinnen und Experten und sie gefragt, was sie sich von der Politik erwarten. Alle Folgen der Serie finden Sie hier.