Städtebau:Ein großer Wums

Städtebau: 50 Prozent des Areals ist für Grünflächen vorgesehen. Visualisierung: Dibag Industriebau AG

50 Prozent des Areals ist für Grünflächen vorgesehen. Visualisierung: Dibag Industriebau AG

(Foto: Visualisierungen: Dibag Industriebau AG)

Die Dibag Industriebau will an der B 304 in Haar ein ökologisches und städtebauliches Vorzeige-Quartier für Arbeiten, Wohnen und Leben errichten. Die Begeisterung im Gemeinderat hält sich gleichwohl in Grenzen.

Von Bernhard Lohr, Haar

Blühende Wiesen, Büsche, Bäume - und Gebäude, die hinter einer Phalanx von weit in die Höhe ragenden Baumstämmen verschwinden: Was die Dibag Industriebau am Dienstag dem Gemeinderat an Bildern präsentiert und verkündet hat, vermittelte den Eindruck, im Haarer Osten könnte eine Art Naturpark Bayerischer Wald entstehen, in dem auch gewohnt und gearbeitet wird. "Man wird jetzt keinen Wolf da ansiedeln", sagte Planer Michael Wimmer vom Büro 03 Architekten. Aber der vom Grundstückseigentümer und Investor am Dienstag erklärte Anspruch ist ein ökologisches und städtebauliches Vorzeige-Quartier. Die Begeisterung hielt sich dennoch in Grenzen. Den Gemeinderäten ist vieles noch viel zu vage.

Die Dibag ist als Unternehmen in Haar seit Jahrzehnten präsent und hat vor Jahren die 19,5 Hektar große Finckwiese südlich der Wasserburger und östlich der Grasbrunner Straße erworben. 2016 rückte diese in den Fokus, als BMW Haar als Standort für ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in die engere Wahl nahm. Damals wurde ein Konzept für ein Gewerbegebiet aus dem Boden gestampft. So eine Planung unter Zeitdruck soll es nicht wieder geben. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) sprach am Dienstagabend im Gemeinderat von einer "Chance", ein "Gebiet für alle" zu schaffen, bei dem die Haarer Leitlinien für ökologisches Bauen Anwendung fänden. Nun liege ein "erster Aufschlag" vor; eine "ziemlich gelungene Diskussionsgrundlage", wie er fand.

Die Dibag möchte direkt an der Wasserburger Straße Gewerbe ansiedeln, weiter südlich ist an ein Mischgebiet gedacht und an Wohnbebauung. Von viergeschossigen Gebäuden und punktuell auch höheren ist die Rede. Die Zufahrt ins Gebiet soll von der Wasserburger Straße ganz im Osten und auf Höhe der ehemaligen Kaserne geschaffen werden. Für Radfahrer und Fußgänger soll sich das Areal wegemäßig nach Westen hin öffnen. Sebastian Kuhlen, Prokurist bei der Dibag AG, bekannte sich zu der Absicht der Gemeinde, die Wirtschaft zu stärken, den Ort weiterzuentwickeln und Nachhaltigkeit hoch zu halten. "Wir verfolgen sehr ähnliche Ziele", sagte er zu Bukowskis Einführung, "Sie haben fast meine Vorrede gehalten."

Finckwiese Haar

Es sind Visionen. Noch wurde nichts geplant: Wie beim neuen Parkhaus des Babynahrungsherstellers Hipp in Pfaffenhofen an der Ilm könnten an Baumstämmen aus nachhaltiger Forstwirtschaft Rankpflanzen zu einer natürlichen Außenhaut heranwachsen und Vögeln und Insekten Lebensraum bieten. Foto: Hipp/Angelika Salomon

Auch ohne Aussicht auf Wölfe in dem Gebiet sollen nach dem Prinzip des "Animal-aided-Design" Lebensbedingungen für die Tierwelt verbessert werden. Gebäude in Holzbauweise sind im Gespräch, recycelte Baustoffe sollen nach dem Kreislaufwirtschaftsprinzip eingesetzt werden. Planer sprachen am Dienstagabend im Haarer Bürgerhaus von zu erhaltenden Biotopstrukturen und viel davon, wie auf den Klimawandel mit Hitze, Trockenheit und Starkregen zu reagieren sei. Es ging um "Regenwassermanagement" mit Zisternen und Retentionsflächen und "Hitzeinseln", die vermieden werden sollten. Oberflächennahe Geothermie und Photovoltaik sollen eine große Rolle spielen und außer ans Heizen soll auch ans Kühlen und Stromspeicher gedacht werden. Beim Mobilitätskonzept reicht die Fantasie bis hin zum autonom fahrenden Kleinbus, der den Haarer Bahnhof mit dem Gebiet und dem Vaterstettener Bahnhof verbindet. 30 Prozent des Geländes seien als natürliche Grünfläche vorgesehen, sagte Kuhlen, 20 Prozent für Gärten, 25 Prozent für Gebäude und 25 Prozent für Straßen und Plätze.

Konkreter wurde das alles aber nicht, was Kuhlen damit begründete, dass das Gelände ja gemeinsam mit der Gemeinde und den Bürgern entwickelt werden solle. Doch an den dünnen Fakten setzte die teilweise scharfe Kritik an. Peter Paul Gantzer (SPD) sprach dem Bauträger nicht den "guten Willen" ab. Aber er warnte, er werde keine "08/15-Dibag-Bauten" akzeptieren, wie sie bei Gewerbeprojekten in der ganzen Republik zu sehen seien. CSU-Fraktionschef Dietrich Keymer bemängelte, dass elementare Kennzahlen nur angedeutet würden oder fehlten, wie etwa zur geplanten Höhe der Gebäude und zur Baudichte. Keymer kritisierte, unpassenderweise seien oberirdische Parkhäuser in dem Viertel geplant. Ulrich Leiner (Grüne) vermisste Informationen zu den Firmen, die angesiedelt werden sollten. Mike Seckinger (Grüne) bemängelte die Zusage als wenig ambitioniert, Gebäude nach EG-55-Standard zu errichten: "Noch ist meine Begeisterung relativ gering."

Peter Siemsen (FDP) forderte konkretere Informationen, bevor man mit dem Projekt in einer öffentlichen Veranstaltung an die Bürgerschaft herantrete. Auch Peter Schießl (SPD) warnte, es käme einer "Desinformation" gleich, wenn man die Öffentlichkeit einbinde, und dann hinterher doch alles anders werde. Letzteres traf einen Punkt, der Bürgermeister Bukowski wichtig war. Er wollte noch im Juli zügig eine Bürgerinformation ansetzen. "Die Bürger haben das Recht, auf den gleichen Informationsstand gehoben zu werden." Doch jetzt wollen sich die Gemeinderäteselbst erst einmal noch schlau machen und informieren. Keymer sagte, er stelle sich nicht vor die Bürger hin und sage dann, er kenne keine Zahlen zu zentralen Eckpunkten der Planung. Die Gemeinderäte beschlossen einen internen Workshop und wollen im Bauausschuss beraten. Bukowskis Bürgerinfo auf die Schnelle verpasste eine Mehrheit.

Auch wenn das Konzept noch vieles offen lässt: Der Dibag ist es ernst. Andreas Kuhlen sprach von fünf, sechs Jahren bis zu einem Auftakt in dem Gebiet, das Schritt für Schritt bebaut würde. Er zeigte sich optimistisch, Firmen für die Gewerbeflächen zu finden. An ein Hotel, Geschäfte und Gastronomie ist gedacht, und zwei Kindertagesstätten. Architektonische Fragen, etwa ob ein höherer Bau die Zufahrt nach Haar im Osten markiert, solle ein Wettbewerb klären, sagte Kuhlen und kündigte eine Bürgerbeteiligung an.

Hinweis der Redaktion: Ein Bildtext wurde nachträglich ergänzt und ein Fotohinweis geändert: Neu ist die Information, dass ein Parkhaus wie beim Babynahrungsherstellers Hipp in Pfaffenhofen an der Ilm entstehen könnte, wo an Baumstämmen aus nachhaltiger Forstwirtschaft Rankpflanzen zu einer natürlichen Außenhaut heranwachsen und Vögeln und Insekten Lebensraum bieten. Das Foto stammt von Hipp/Angelika Salomon

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