Deutsches Museum:Unterm Zahnrad der Zeit

Das Deutsche Museum war mal das wichtigste Technik-Museum der Welt. Die Schätze hat es noch. Doch seine Exponate präsentiert es so lieblos wie eine Behörde. Es fehlt am Geld - und am Willen.

Sebastian Beck

Dirk Böndel steigt auf die Aussichtsplattform hoch über dem Berliner Museumspark, um zu zeigen, wovon er träumt: Dort unten, wo jetzt die überwachsenen Ruinen des Anhalter Güterbahnhofs liegen, genau dort wird in ein paar Jahren einmal das "Technoversum" entstehen, ein Bau mit 25.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Ein Ort, an dem die Zukunftsthemen der Menschheit diskutiert werden sollen: Energie, Kommunikation, Mobilität, Produktion von Gütern, das Leben in Megastädten. "Wir wollen uns vom klassischen Museum verabschieden", sagt Böndel über sein Projekt: "Es geht weg von den Sammlungen, hin zu Themen."

Deutsches Museum wird saniert

Außenansicht des Deutschen Museums: Für die Sanierung fehlen noch 360 Millionen Euro.

(Foto: ag.ddp)

Seit 2004 leitet der Historiker Böndel das Deutsche Technikmuseum in Berlin. In dieser Zeit hat er mustergültige Ausstellungen über Luft- und Schifffahrt konzipiert. Das "Technoversum" soll den Abschluss bilden und das noch junge Museum zu einem der wichtigsten europäischen Ausstellungsorte machen. Bisher hat Böndel freilich kaum mehr als das Grundstück; es fehlen ihm 62 Millionen Euro für das Gebäude. Aber irgendwie, da ist er sich sicher, wird er das Geld schon auftreiben.

Gut 600 Kilometer südlich sitzt Böndels Kollege Wolfgang Heckl in seinem Chefbüro auf der Münchner Museumsinsel und rechnet vor, dass ihm noch rund 360 Millionen Euro fehlen für die Sanierung des Deutschen Museums. Trotzdem ist er überzeugt: "Wir sind auf dem aufsteigenden Ast." Auch deshalb, weil zum 1. Juli die Kongresshalle, die zuletzt als Kino genutzt wurde, wieder in den Besitz des Museums übergeht. Dorthin soll in einigen Jahren der Haupteingang verlegt werden, die Pforte zu einem weitgehend neu gestalteten Museum, das sich, ähnlich wie in Berlin, nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft zuwendet.

Doch während in der Hauptstadt seit Anfang der achtziger Jahre ein in vielerlei Hinsicht vorbildliches Technikmuseum herangewachsen ist, hat das Deutsche Museum in München den Anschluss an europäische Häuser wie das Science Museum in London oder La Villette in Paris verloren. Derzeit können sich die jährlich 934.000 Besucher im Münchner Haupthaus einen Eindruck davon machen, was dabei herauskommt, wenn ein Kulturgut von Weltrang von der Politik kaputt gespart und ideenlos verwaltet wurde: Das Deutsche Museum ist zum Museum seiner selbst geworden, gleichermaßen grandios wie in vielen Teilen peinlich veraltet - etwa, wenn es seine Besucher mit der Frage konfrontiert: "Wo steht die Solarzellenforschung 1996?"

Das Bergwerk, das Segelschiff "Maria", der Faradaysche Käfig, die Ju52: Generationen von Besuchern sind mit diesen ikonenhaften Exponaten groß geworden. Väter stehen mit ihren Söhnen vor dem U-Boot U1, das sie 30 Jahre zuvor selbst bestaunt haben. Zum Glück gibt es diese im wahrsten Sinne unverrückbaren Dinge.

Von Ingenieuren für Ingenieure

Doch leider ist auch die Pädagogik auf dem Stand der siebziger Jahre geblieben. Viele Ausstellungen in dem labyrinthischen Bau wirken so, als seien sie von Ingenieuren für Ingenieure konzipiert worden: Die lieblos abgestellte Sammlung von Rechenmaschinen unter dem Dach etwa. Oder die Luftfahrthalle, in der Triebwerke wie auf dem Schrottplatz aufgebockt liegen.

Deutsches Museum: Ist das eine  geteilte Hauptpleuel mit angelenkten Nebenpleuelstangen? Den Laien im Deutschen Museum bleibt oft nur das Staunen

Ist das eine geteilte Hauptpleuel mit angelenkten Nebenpleuelstangen? Den Laien im Deutschen Museum bleibt oft nur das Staunen

(Foto: sz.lokales)

Vergilbte Fotos und Texte erklären dem Besucher, was er sieht, zum Beispiel die "fünffach gleitgelagerte, vierfach gekröpfte einteilige Kurbelwelle, geteilte Hauptpleuel mit angelenkten Nebenpleuelstangen". Unweit davon parken der Düsenjäger Me262 und andere "Wunderwaffen", mit denen Hitler den Krieg wenden wollte. Über die historischen Zusammenhänge erfährt man fast nichts.

Im Mittelpunkt steht das technische Objekt und seine Funktion: Gewicht, Schubkraft, Geschwindigkeit. Die Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt werden in vielen Ausstellungen allenfalls am Rande erwähnt. Genau das ist eine der Hauptschwächen dieses Museums: Es bietet eine Technikschau für Naturwissenschaftler und Maschinenbauer, den Laien bleibt das Staunen.

Besonders deutlich zeigt sich das in der Flugwerft Schleißheim, einer Zweigstelle, die Anfang der neunziger Jahre eröffnet wurde: Abgesehen von den obligatorischen 30 Triebwerken dominieren hier Kampf- und Militärflugzeuge. Kaum ein Ort wäre besser geeignet als dieser, um über Krieg und Frieden zu diskutieren. Doch die Kuratoren haben sich auch hier ganz der Volldruckhöhe und den Nickrechnern verschrieben. Und es sieht nicht so aus, als ob sich daran etwas ändern würde - gerade erst wurde ein Tornado der Luftwaffe angeliefert. Das nächste Exponat für eine uninspirierte Schau, die seit Jahren vor sich hin döst.

Wie eine zeitgemäße Ausstellung aussehen könnte, das lässt sich hingegen im Deutschen Technikmuseum in Berlin studieren. Dort wurde 2005 die Luftfahrtabteilung eröffnet, das Ergebnis von 20Jahren Vorarbeit. Mittendrin das zerschossene Wrack eines Junkers Ju87 Sturzkampfbombers. Daneben wird an die Piloten erinnert und an ihre Opfer am Boden. "Man darf Technik nicht isoliert zeigen", sagt Böndel, "sondern gleichermaßen ihren Segen und Fluch." Deshalb steht im Lokschuppen auch ein Güterwaggon jenen Typs, mit dem Millionen Menschen in die deutschen Vernichtungslager transportiert wurden.

Mit Beschriftungen und Multi-Media-Stationen hält sich das Berliner Museum bewusst zurück - denn Befragungen haben ergeben, dass das Publikum ohnehin nur wenig liest. Das Technikmuseum versucht seine Objekte deshalb auf möglichst einfache und zugleich eindringliche Weise zu präsentieren; gerade das macht die Planung von Ausstellungen so langwierig.

Nationale Prestige-Einrichtungen

Auch im Deutschen Museum gibt es Beispiele für moderne Museumspädagogik. Im neuen Verkehrszentrum auf der Theresienhöhe etwa, einem weitläufigen Hallenkomplex, der allerdings kaum 100.000 Besucher im Jahr anzieht. Die meisten Menschen verbinden mit dem Deutschen Museum noch immer das Haupthaus auf der Isarinsel. Das aber wirkt wie eine Aufbewahrungsbehörde - auch sechs Jahre nach dem Amtsantritt des Erneuerers Heckl und trotz des Engagements ehrenamtlicher Mitarbeiter.

Es fehlt nicht nur am Geld

Im 180 Seiten starken Jahresbericht für 2009 wird im Kapitel Luftfahrt eigens erwähnt, dass 80Watt-Lampen gegen LED-Spots ausgetauscht wurden. Was das Museum dagegen 2009 zum 150.Geburtstag des Flugzeugbauers und Nazi-Gegners Hugo Junkers anzubieten hatte, war erbärmlich: eine Stellwand, sonst nichts. Und das, obwohl in München mehrere seiner berühmten Konstruktionen stehen, darunter das erste Ganzmetall-Flugzeug der Welt. Die 300 Quadratmeter große Fläche für Sonderausstellungen wird seit Ende 2008 von einer gesponserten Schau zum 250-jährigen Firmenjubiläum von MAN belegt.

Hier zeigt sich die ganze Misere dieses einmaligen Museums, das vor Schätzen überquillt, dem es aber an Geld und stellenweise auch am Willen mangelt, diese würdig zu präsentieren. Tatsächlich wurde das Haus von der Politik systematisch ruiniert: Alleine der Betriebshaushalt, klagt Heckl, sei nominal niedriger als vor 20Jahren. Und La Villette in Paris, rechnet er vor, verfüge bei einem Drittel der Fläche über ein Budget von 130 Millionen Euro im Jahr - in München waren es 2009 gerade einmal 52 Millionen Euro.

Die großen Science-Museen in London, Paris oder auch Washington sind nationale Prestige-Einrichtungen. Das Deutsche Museum hingegen ist ein Opfer des Kulturföderalismus, der solche Leuchttürme nicht vorsieht. Lediglich 3,6Millionen Euro an regulären Zuschüssen steuerte der Bund vergangenes Jahr bei, vom Freistaat Bayern waren es 16,5Millionen Euro - und das in einem Land, das angeblich so viel auf seine Erfinder hält. Für Neuerwerbungen hat Heckl daher keinen Cent im Etat. Spektakuläre Einzelstücke wie etwa die russische Raumfähre Buran oder die Concorde kann sich in Deutschland nur das Privatmuseum in Speyer und Sinsheim leisten. Das Deutsche Museum hingegen ist angewiesen auf Spenden und Sponsoring durch die Wirtschaft. Für seine "Zukunftsinitiative" hat Heckl so bereits 40Millionen Euro eingesammelt.

Wie problematisch diese Zusammenarbeit ist, lässt sich am "Zentrum Neue Technologien" zeigen, das Ende 2009 eingeweiht wurde und als Heckls Vorzeigeprojekt für das Museum der Zukunft gilt: Dass der Nanowissenschaftler Heckl - er bohrte einst das kleinste Loch der Welt - der Nanotechnik großen Raum einräumt, mag kaum verwundern. Doch leider ist ausgerechnet diese Ausstellung völlig missglückt.

Wo einst Lokomotiven standen, reihen sich nun triste Vitrinen, die einen mit Fakten überfrachteten Einblick in die Welt der Biotechnik geben sollen - gesponsert vom US-Konzern Amgen, dem größten Biotechnik-Unternehmen der Welt. Die alten Knopfdruck-Experimente sind hier durch berührungsempfindliche Bildschirme ersetzt worden, auf denen nach nur sechs Monaten schon Zettel hängen: "Defekte Touchscheibe - Vitrine leider nicht in Betrieb." Wer sich trotzdem bis ans Ende der Schaukästen durchgelesen hat, der findet sich vor einer Glasvitrine mit Nano-Autopolituren, Nano-Zement, Nano-Bodenpflegern, Sonnencreme und Heftpflastern. Darüber prangt der Satz: "Am Ende zählt das Produkt." Banaler geht es kaum.

Chronische Eifersucht

Und so soll also die Zukunft dieses Museums aussehen? Bis Ende des Jahres will Heckl einen Masterplan präsentieren, eine Art Drehbuch für die Renovierung mit genauen Kosten; Bund und Land müssen dann endlich Mittel zur Verfügung stellen. Abgesehen vom bereits eröffneten Zentrum Neue Technologien sind die Pläne für den Umbau der Ausstellungen noch eher vage. Bisher konzentrieren sich die Arbeiten auf die Gebäudesanierung. Noch in diesem Jahr muss deshalb auch die Luftfahrtabteilung geschlossen werden. Das Museum verliert damit eine seiner Hauptattraktionen.

Noch ist nicht klar erkennbar, wohin sich das Deutsche Museum entwickeln wird: Soll es eine elitäre Einrichtung zur Rekrutierung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses werden, wie es sich Heckl, Wirtschaft und Universitäten vorstellen? Kann es überhaupt Aufgabe eines Museums sein, die Begeisterung für Fortschritt und Technik zu fördern? Oder muss es vielmehr auch die Frage stellen, wie viel Technik sich die Menschheit leisten kann, wie es Böndel plant? Er sagt: "Ein technisches Museum ist ein extrem politisches Museum. Denn mit Technik ist immer Macht verbunden."

Die Münchner, so scheint es, könnten von Böndel durchaus einiges lernen. Doch auf der Isarinsel ist man chronisch eifersüchtig auf die Emporkömmlinge in der Hauptstadt, die zudem noch dauernd Besuch von Bundespolitikern erhalten. Die Chefs meiden sich: So ist der umtriebige Heckl zwar jeden Sonntag um 11 Uhr als Gast beim BR-Stammtisch im Fernsehen zu sehen. Für einen Besuch der neuen Ausstellungen in Berlin hat ihm bisher aber die Zeit gefehlt.

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