Süddeutsche Zeitung

Aying:Der Erdstall verzögert den Pfarrsaalbau

Der archäologische Fund bringt den Zeitplan zur Errichtung des Pfarrsaals in Aying durcheinander und verteuert das Projekt.

Von Michael Morosow, Aying

Für die Gemeinde der Erdstallforscher sind die im September in Aying entdeckten unterirdischen Gänge so elektrisierend wie der Fund eines Herrschergrabes für Archäologen. Nicht nur dass die Anlage mit 60 Metern Länge ungewöhnlich groß ist, auch ihr fast perfekter Erhaltungsgrad und eine große Schlusskammer heben sie weit hinauf an die Spitze der circa 700 Erdställe, die bislang in Bayern dokumentiert sind. Forscher wie der Ayinger Dieter Ahlborn mögen bereits jeden Winkel und jedes Steinchen des Stollens mit der Taschenlampe angestrahlt haben, aber das letzte Rätsel der Erdstallforschung bleibt wohl auf ewig bestehen.

Warum haben Menschen vor mehr als 1000 Jahren Gänge unter die Erde gezogen, mit nur einem Eingangsloch? Eine von mehreren Theorien besagt, dass hier die Seelen Verstorbener auf die Auferstehung warten. Sollte es bei einer dieser Seelen in diesen Tagen so weit sein und sie würde aus der ewigen Nacht emporsteigen in die grelle Gegenwart, sie wäre wohl augenblicklich gefangen vom schaurigen Anblick eines riesigen Ungetüms, das seinen eisernen Arm weit hinauf in die Höhe reckt.

Der Baukran steht schon lange auf der eingezäunten Kiesfläche mitten im Ortskern zwischen Biergarten, Maibaum, Kirche und Burschenhütte. Hätte eine Baggerschaufel damals im September bei Bauarbeiten für den neuen Pfarrsaal nicht das Eingangsloch der unterirdischen Anlage freigelegt, stünde hier bereits der Rohbau des Kirchenhauses. So aber stehen hier drei große unsichtbare Fragezeichen. Bleibt der Ayinger Erdstall der Nachwelt erhalten? Wer bezahlt den Aufwand hierfür? Wie und wann geht es mit dem Pfarrsaalbau weiter?

"Geschichte muss einem was wert sein", hat Ayings Bürgermeister Johann Eichler wenige Tage nach der aufsehenerregenden Entdeckung der historischen Anlage gesagt und angekündigt, dass ein tags zuvor eingestürzter, circa sechs Meter langer Tunnelabschnitt durch Betonröhren ersetzt und das gesamte unterirdische Bodendenkmal nicht nur erhalten, sondern begehbar bleiben soll. Die Röhre ist inzwischen installiert worden. Die unterirdischen Gänge seien nunmehr wieder begehbar, aber nur für Forschungszwecke. Sie seien nicht in dem Maße gesichert, dass sie für die Öffentlichkeit freigegeben werden können, sagt Eichler.

Die Bodenplatte des Hauses wird um 50 Zentimeter angehoben

Damit das Gewicht des Pfarrgebäudes den Stollen nicht einstürzen lässt wie ein Kartenhaus, wurde die Bodenplatte um 50 Zentimeter angehoben. Andere Möglichkeiten sind laut Eichler verworfen worden, vor allem aufgrund der Tatsache, dass der Erdstall zu circa einem Drittel unter Nagelfluh liegt. Daran scheiterte zum Beispiel die Überlegung, den Pfarrsaal auf in den Boden gerammte Stelzen zu stellen. Die Kosten hierfür wären enorm gewesen. Es sei sogar daran gedacht worden, den Saalbau Richtung Osten zu verschieben, "das hätte aber den Blick auf die Kirche versperrt", erklärt der Bürgermeister.

Geschichte ist aber nicht nur Johann Eichler und seinem Gemeinderat etwas wert. Das hat schon Erdstallforscher Dieter Ahlborn im September betont, als er feststellte: "Ich habe das noch nie erlebt, dass eine Gemeinde so interessiert ist, der Pfarrverband so mitzieht und sogar die Bauarbeiter ein derart großes Interesse zeigen, das Ganze zu erhalten." Auch für die Mitglieder des Pfarrverbands Aying-Helfendorf ist viel eher eine Herzensangelegenheit, die rätselhafte Unterwelt der Ur-Ayinger zu erhalten, als dass sie über die Verzögerung ihres lange ersehnten Pfarrsaals wettern würden. Nach altem Zeitplan hätte der Bau im Juni dieses Jahres schlüsselfertig sein sollen. Nach der langen Unterbrechung sollen nun voraussichtlich Ende April die Arbeiten fortgesetzt werden und der Bau Ende November stehen.

Aber was sind fünf Monate Verspätung gegen 40 Jahre? Der erste schriftliche Beleg zum Vorhaben Pfarrsaalbau datiere 40 Jahre zurück, sagt Andreas Bachmair, Vorsitzender des Pfarrverbands Helfendorf und als Kirchenpfleger auch Mitglied der Kirchenverwaltung. Bachmair ist unversehens in die Rolle des Finanzmanagers geschlüpft, nicht nur was den Bau des Pfarrsaals anbelangt. 1,45 Millionen Euro wird dieser voraussichtlich kosten, 1,36 Millionen Euro trägt das Erzbischöfliche Ordinariat München, verbleiben 90 000 Euro, die vom Pfarrverband aufgetrieben werden müssen. Diesen Betrag könnte der Pfarrverband laut Bachmair durch "Hand- und Spanndienste", also durch Eigenleistungen verringern, etwa durch den Abtransport von Kies.

Die Denkmalpflege verursacht Mehrkosten

Aber der Kirchenpfleger wird sich wohl einen größeren Klingelbeutel beschaffen müssen, denn der "denkmalpflegerische Mehraufwand", wie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege die Kosten für die Erdstallsicherung bezeichnet, wird auf 235 000 Euro beziffert. Der Betrag setzt sich unter anderem zusammen aus Kosten für die bergbautechnische Sicherung, für den Architekten und für den Statiker. "Jetzt muss ich schauen, dass ich 325 000 Euro sammeln kann", sagt Bachmair.

Laut Beschluss des Ayinger Gemeinderats wird die Gemeinde mit maximal 20 000 Euro einspringen, aber nur dann, wenn der Pfarrverband die Kosten nicht anderweitig stemmen kann. Auch das Erzbistum macht seine Spendenbereitschaft davon abhängig, ob und in welcher Höhe Bachmair anderweitig Geld auftreibt. Vom Regierungsbezirk Oberbayern hat er noch keine Antwort auf sein Gesuch erhalten. Das Landratsamt hat inzwischen den von ihm geforderten Finanzierungsplan erhalten, aber ebenfalls noch keine Entscheidung über einen Zuschuss getroffen.

Und die Antwort vom Landesamt für Denkmalpflege mag das Herz der Ayinger Erdstallretter wärmen, aber Cent und Euro kommen darin nicht vor: "Dass die Erhaltung des Bodendenkmals an Ort und Stelle gelingt, ist ein echter Modellfall", teilt eine Sprecherin mit. Für die Erhaltung des Ayinger Erdstalls habe das Denkmalpflegeamt deshalb eine "maßgebliche Förderung" zugesagt. Was unter "maßgeblicher Förderung" zu verstehen ist, würde Bachmair jetzt natürlich brennend interessieren. Nun hofft der Kirchenpfleger auf volle Opferstöcke und erkleckliche Privatspenden. Als Dankeschön werden die Wohltäter vielleicht sogar besungen werden. Laut einer Sage, die sich in Oberbayern um die Erdställe rankt, lassen drei Jungfrauen aus den unterirdischen Gängen wunderschöne Gesänge hören.

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Quelle:
SZ vom 08.03.2017
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