Demografie:Daheim alt werden

Ein Rollator steht in einem Raum in einer Pflegeeinrichtung aufgenommen in Berlin 27 04 2018 Berl

Letzte Option ist für viele der Umzug ins Pflegeheim. Kommunen bauen deswegen ihr Angebot an ambulanten Hilfen aus.

(Foto: imago)

Damit Senioren so lang wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben können, bieten Städte und Gemeinden eine Vielzahl von ambulanten Hilfen an. Die Staatsregierung hat sich eine Pflegeplatzgarantie zum Ziel gesetzt.

Von Bernhard Lohr

Manchmal reichen ein Schwächeanfall und ein Sturz in der eigenen Wohnung: Schon sieht die Welt anders aus. Plötzlich stellt sich die Frage, wie man weiterleben soll in seinen vier Wänden. Und oft steht der Umzug in ein Seniorenheim an. Für ältere Menschen und Angehörige beginnt dann oft eine Odyssee. Viele Heime im Landkreis München haben lange Wartelisten. Ambulante Hilfsangebote sind nicht überall verfügbar oder die Betroffenen wissen nicht, dass es diese gibt. Das bayerische Sozialministerium will mit der bis Sonntag, 26. Mai, dauernden Aktionswoche "Zu Hause daheim" Aufklärung leisten. Was die stationäre Pflege angeht, hat sich die Staatsregierung im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, eine "heimatnahe Pflegeplatzgarantie und den Anspruch auf Vermittlung eines Pflegeplatzes" zu ermöglichen.

Engpässe bei der Vermittlung von Heimplätzen

Die demografische Herausforderung im Landkreis ist klar. Sie ist formuliert im 2011 aufgelegten Seniorenpolitischen Gesamtkonzept, das derzeit überarbeitet wird. Die Bevölkerung wird im Durchschnitt deutlich älter, die Zahl der Hochbetagten jenseits der 85 Jahre wird sich in der nächsten Dekade etwa verdoppeln. Die Prognose sieht beispielsweise bei den 90- bis 94-Jährigen einen Anstieg von 2896 auf 5830 Personen vor. In jüngster Zeit mehrten sich zudem Warnungen, es werde deutlich mehr Demenzfälle im Landkreis geben als gedacht. Dennoch: Das Landratsamt sieht sich gewappnet. Man blicke voraus, heißt es unter Verweis auf das Seniorenpolitische Gesamtkonzept. Die Abdeckung mit Heimplätzen sei gut. Allein bei den Kurzzeitpflegeplätzen erkennt das Landratsamt ein Defizit.

Doch wer sich umhört, bekommt ein anderes Bild. So erzählt Siegfried Hauser, ein Gemeinderat (PBW) aus Hofolding, vom Fall einer alten Bäuerin, die in Aying, Sauerlach und Höhenkirchen-Siegertsbrunn keinen Pflegeplatz bekommen habe und deshalb zum Bedauern der Angehörigen in einer Einrichtung im entfernteren Ottobrunn untergekommen sei. Gabriele Byers, die im Auftrag der Gemeinde Unterföhring als Pflegeberaterin Senioren und Angehörigen zur Seite steht, hat erst dieser Tage vergeblich einen Heimplatz gesucht. "Es muss ja dann schnell gehen." Es gebe Engpässe, sagt sie und berichtet, ähnlich wie in Höhenkirchen, von einer Warteliste fürs Heim in Unterföhring. In Brunnthal wird derzeit über den Bau eines Pflegeheims diskutiert.

Vor dem Hintergrund einer älter werdenden Bevölkerung hat sich die neue Koalition aus CSU und Freien Wählern im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, eine "heimatnahe Pflegeplatzgarantie und den Anspruch auf Vermittlung eines Pflegeplatzes" umzusetzen. Melanie Huml (CSU), Ministerin für Gesundheit und Pflege, konkretisiert auf SZ-Anfrage, "einen Rechtsanspruch von Pflegebedürftigen auf Vermittlung und Nutzung von Kurzzeit- und Langzeitpflegeplätzen zu schaffen".

Für die Kommunen hat das weitreichende Folgen. Denn für den Aufbau einer ausreichenden Anzahl an Pflegeplätzen sind diese zuständig. Doch Huml räumt ein, dass zusätzliche Ausgaben für die Schaffung von Heimplätzen nicht von den Städten und Gemeinden übernommen werden können. Die Ausweitung der kommunalen Ausgaben, sagt sie, wäre "im Rahmen des Konnexitätsprinzips vom Freistaat Bayern zu tragen". Ein Gutachtens solle klären, in welcher Höhe Kosten anfallen. Erste Erkenntnisse lägen voraussichtlich 2020 vor.

Beratung und ambulante Angebote

Abgesehen von stationären Einrichtungen setzen die Gemeinden auf Beratung und ambulante Angebote, damit Bürger länger zu Hause zu bleiben können. Unterföhring hat im Feringahaus eine zentrale Beratungsstelle eingerichtet, einen Pflegestützpunkt, in dem Gabriele Byers und Kollegen über Leistungen informieren und Demenzhelfer, Besuchsdienste, Hilfen im Haushalt und Fahrdienste vermitteln. Ein relativ innovatives Konzept ist die Sozialgenossenschaft, wie es sie seit 2017 in Höhenkirchen-Siegertsbrunn gibt, bei der Jung und Alt als Genossen beitreten können, damit Menschen zusammengebracht werden, die sich bei Bedarf gegenseitig helfen, wenn etwa im Garten Arbeit ansteht oder ein Einkauf zu erledigen ist. 15 Genossen gibt es in der Gemeinde, wie Diana Müller vom Arbeitskreis Zusammenleben und Senioren sagt. Sie hofft, mehr Menschen zum Mitmachen zu gewinnen.

Aktionswoche zur Pflege

Unter dem Titel "Zu Hause daheim" findet vom 17. bis zum 26. Mai eine Aktionswoche statt. Die bayernweite Veranstaltungsreihe des bayerischen Sozialministeriums geht in die dritte Runde. In dieser Woche haben Organisationen in ganz Bayern die Gelegenheit, mit lokalen Veranstaltungen an der Aktionswoche "Zu Hause daheim" mitzuwirken. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich vor Ort über unterschiedliche Angebote zu Themen wie Wohnen, Unterstützung und Begegnung vor Ort kundig machen.

Auch im Landkreis München gibt es Veranstaltungen: Am Mittwoch, 22. Mai, diskutiert Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) in Neubiberg mit Bürgermeister Günter Heyland sowie Vertretern von Arbeiterwohlfahrt und von "WIR! Stiftung pflegender Angehöriger" über häusliche Versorgung. Podiumsdiskussion und Workshop zur häuslichen Versorgung in Neubiberg beginnen um 19 Uhr in der Grundschule Rathausplatz 9. Zum Tag der offenen Tür, Vorträgen und einem Fachtag lädt die Service- und Beratungsstelle für ältere Menschen in Taufkirchen am Mittwoch, 22. Mai, von 14 bis 17 Uhr an die Eschenstraße 40 ein. Um Anmeldung wird gebeten bei Hatice Schabath, Telefon 089/666 100 390. Am Freitag, 24. Mai, werden im Seniorenzentrum am Schlossanger in Höhenkirchen-Siegertsbrunn lokale Angebote vorgestellt, Besucher können in Anwesenheit von Schreyer Anregungen vorbringen.

Eine Ausstellung "Zu Hause daheim", Bücher und Medien zu den Themen Wohnen, Betreuung und Pflege im Alter ist noch bis Sonntag, 26. Mai, im Neubiberg, Seniorenzentrum, Hauptstraße 12, zu sehen. belo

Große Anlaufschwierigkeiten gibt es beim Projekt "Wohnen für Hilfe", das der Seniorentreff Neuhausen für Gemeinden im Landkreis koordiniert. Die Idee dabei ist, dass ältere Menschen, die manchmal in großen Wohnungen leben, einen jungen Menschen bei sich wohnen lassen, der ihnen im Alltag zur Seite steht. In Haar liefen Bemühungen, Senioren dafür zu begeistern, einst ins Leere. Gabriele Byers kennt in Unterföhring keine erfolgreiche Vermittlung. "Viele wollen keinen Fremden im Haus haben." Diana Müller in Höhenkirchen wisse zwar von vielen Senioren, die allein in großen Häusern lebten und für die das Angebot passen würde. Doch auch sie bezweifelt, dass sich viele darauf einlassen würden.

Ausbau der Heime ist notwendig

Die Staatsregierung jedenfalls setzt außer auf einen kostenträchtigen Ausbau von Heimen, wofür laut Pflegeministerium im Doppelhaushalt 2019/2020 etwa 120 Millionen Euro an Investitionskostenförderung vorgesehen sind, vor allem auf mehr ambulante, auch ehrenamtliche Hilfen. Ministerin Huml sagt, bereits jetzt würden mehr als 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause betreut und versorgt. Um Angebote wie die Sozialgenossenschaft oder "Wohnen für Hilfe" bekannter zu machen, dazu dient die Aktionswoche.

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