Süddeutsche Zeitung

"Das kann nicht unsere Strategie sein":Massive Kritik am Vorsitzenden

Neuer FW-Kreischef Bußjäger greift Aiwanger an und will Kurswechsel

Von Stefan Galler, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Es sind bewegte Tage für die Freien Wähler (FW) im Landkreis München: Am Freitag die Jahreshauptversammlung mit einem Wechsel an der Spitze, den der neue Kreisvorsitzende Otto Bußjäger "einen echten Neustart" nennt. Am Sonntag die Bundestagswahl mit einem respektablen Ergebnis von 3,9 Prozent für den Direktkandidaten, Quereinsteiger Gerhard Kißlinger aus Planegg, dem Bußjäger ein gutes Zeugnis ausstellte: "Es war sehr mühevoll, in Corona-Zeiten auf die Menschen in den verschiedenen Gemeinden zuzugehen, aber Gerhard hat das gut gemacht und hat bei seiner ersten Wahl ein gutes Ergebnis erzielt."

Weniger positiv fällt das Urteil des früheren Bürgermeisters von Grasbrunn, der mittlerweile in Höhenkirchen-Siegertsbrunn lebt, über FW-Parteichef Hubert Aiwanger aus. Der hatte am Sonntagnachmittag eine vertrauliche aktuelle Umfrage, die von der Forschungsgruppe Wahlen traditionell schon vor der Schließung der Wahllokale an Politiker und Medien herausgegeben wird, zu einem ultimativen Wahlaufruf genutzt - für den neuen FW-Chef München-Land ein Tabubruch: "Das geht gar nicht", schimpfte Bußjäger, der auch die mögliche Ausrede, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten fehle es womöglich noch an Erfahrung, nicht gelten lässt: "Das ist nicht seine erste Wahl, er weiß genau, dass solche Zahlen ganz bewusst nur für jene Leute gedacht sind, an die sie gehen."

Der stellvertretende Landrat nimmt kein Blatt vor den Mund, weil er sich "nicht von oben den Mund verbieten" lasse, so Bußjäger. Er sage Aiwanger immer die Meinung, das habe er auch getan, als jener mit fast demonstrativ zur Schau gestellter Impfskepsis Coronaleugnern in die Karten spielte: "Ich fand es auch schlimm, als ich am Sonntag im ZDF gehört habe, wir würden im Lager der AfD fischen. Das kann nicht unsere Strategie sein, ich sehe die Freien Wähler als sozial-ökologisch-liberale Alternative, die eher links von der CSU stehen sollte." Deshalb glaube er auch, dass Aiwangers Impfaussagen die FW im Landkreis München eher Stimmen gekostet habe. "Aber all das werde ich ihm auch noch ins Gesicht sagen. Andererseits möchte ich schon betonen, dass viele Parteien froh wären, einen Vorsitzenden wie Hubert Aiwanger zu haben", so Bußjäger.

Er selbst hat nach der Eroberung des Kreisvorsitzes, den er am Freitag bei der Jahreshauptversammlung in Aschheim dank eines klaren 28:11-Sieges bei der Kampfabstimmung gegen den langjährigen Amtsinhaber Nikolaus Kraus errang, große Ziele mit den Freien Wählern: "Ich will Geist und Schwung der Versammlung in die dreijährige Amtszeit mitnehmen und mit dem Kreisverband neue Wege gehen", sagt der 50-Jährige und nennt die Schlagworte: "Wir wollen jünger, weiblicher, digitaler und kommunikativer werden, nur so werden wir wieder ein starker Ideengeber und Motor für die Kreispolitik." Konkret will Bußjäger zeitnah die "Jungen Freien Wähler" im Landkreis etablieren und die Mitgliederzahl im Kreisverband von aktuell 100 deutlich steigern, nach Möglichkeit sogar vervierfachen. "Mein Lebensplan sieht vor, dass ich noch 15 Jahre politisch tätig sein will und so lange will ich mich auch entsprechend einbringen", so Bußjäger.

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SZ vom 28.09.2021
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