Corona-Pandemie:Einmal tief Luft holen

Corona-Pandemie: Die Zahl der Corona-Infizierten steigt auch im Landkreis München wieder an.

Die Zahl der Corona-Infizierten steigt auch im Landkreis München wieder an.

(Foto: Claus Schunk)

Drei Monate nach dem Höhepunkt nimmt die Zahl der Neuinfektionen im Landkreis wieder leicht zu. Die Menschen sind wieder mehr unterwegs und halten sich weniger an Hygieneregeln. Kommt nach den Ferien die zweite Welle?

Von Iris Hilberth, Landkreis München

Wenn die Kreisräte in dieser eigenartigen Zeit im Landratsamt zu ihren Sitzungen zusammenkommen müssen, dann geht das nur ganz oben unter dem Dach im Festsaal. Abstimmung auf Tuchfühlung war gestern. Hier unter den großen Holzbalken des ehemaligen Paulanerklosters ist genügend Platz, um die Tische auseinanderzuschieben. Eintritt nur mit Maske und die Häppchen zur Verköstigung sind einzeln in Folie verpackt. Das ist nicht umweltfreundlich, aber der geforderten Hygiene geschuldet.

Auch die Fenster müssen stets offen stehen. Belüftung ist Vorschrift. Die Bekämpfung des Virus ist keine Frage des Wetters. Da wirbelt ein Windstoß dann schon mal die Frisur der stellvertretenden Landrätin Annette Ganssmüller-Maluche durcheinander oder bläst ein paar Papiere vom Tisch. Auch der Baustellenlärm ist der Kommunikation wenig zuträglich. Doch die Sitzungsleitung kennt kein Pardon. Dann muss man eben lauter reden unter dem Mund-Nasen-Schutz.

Und wenn es auch nicht mehr nur um die Pandemie geht, wenn man sich nicht mehr nur per Videokonferenz, sondern im echten Leben trifft, wenn vielleicht auch mal wieder über Schulneubauten oder Jugendsozialarbeit geredet wird, ist doch klar: Die Krise ist nicht vorbei. Corona ist noch da. Zwar gelten aktuell nur noch 24 Personen im Landkreis München als infiziert (Stand: Freitagmittag); das sind gemessen an den fast 1500, die es während der Pandemie seit dem ersten Fall am 4. Februar insgesamt erwischt hat, recht wenig. Aber das sind nur die offiziellen, die gemeldeten Zahlen. Keiner weiß, wie viele das Virus tatsächlich in sich trugen und tragen. Und keiner wagt wirkliche Prognosen, wie es weitergeht, jetzt da vieles schon viel lockerer geworden ist als in den Hochphasen, als auch im Landkreis München bis zu 77 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet wurden. Diese Zahl stammt vom 25. März. Da waren die Faschingsferien bereits vorbei.

Das Gesundheitsamt arbeitete damals schon seit Wochen auf Hochtouren. Ende Februar kehrten zahlreiche infizierte Urlauber aus Österreich und Südtirol zurück in den Landreis. Die Ansteckungen ließen sich bald nicht mehr lückenlos nachverfolgen, Mitte März waren es bereits mehr als hundert Infizierte und mehr als tausend Kontaktpersonen, die es zu betreuen galt. Im Gesundheitsamt und einigen anderen Bereichen des Landratsamts fielen zu diesem Zeitpunkt unzählige Überstunden an. Das Corona-Telefon klingelte pausenlos.

Gerade in den ersten Wochen, als die Kurve der Neuinfektionen stark anstieg, war die Verunsicherung groß. Bis Mitte Juli hat das Landratsamt 8689 Anrufe entgegengenommen und 36 900 Minuten lang Bürger beraten. Nicht eingerechnet sind zahlreiche Anrufer, die täglich bei der zentralen Nummer des Gesundheitsamts durchklingelten. Zunächst war die Hotline nur durch Mitarbeiter des Landratsamts besetzt. Um die hohe Nachfrage abarbeiten zu können und die Erreichbarkeitszeiten auszudehnen, wurde ein externer Anbieter dazu geholt. Auch der bekam vor allem zu Beginn der Pandemie den Ärger von Anrufern ab, etwa weil sie so lange auf ihr Testergebnis aus dem Labor warten mussten. "Das hat sich mittlerweile allerdings enorm verbessert", sagt Landratsamtssprecherin Christina Walzner.

Die Behörde war im Krisenmodus. Wenngleich Landrat Christoph Göbel stets betonte, das Herzstück seiner Sonderorganisationsstruktur für den Infektionsschutz heiße nicht "Krisenstab", sondern "Koordinierungsstab". Göbel ist überzeugt, dass "eine Ausnahmesituation wie die der Corona-Krise, die noch dazu so plötzlich und unerwartet auf nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens einwirkt, sich nur mit interdisziplinärer Zusammenarbeit bewältigen lässt". Er sei stolz auf seine Mitarbeiter und deren Bereitschaft, im Ernstfall zusammenzuhalten und gemeinsam anzupacken.

Mitte März entwickelte das Landratsamt in Zusammenarbeit mit den Kommunen ein gemeinsames Modellprojekt: Die Rathäuser fungierten vorübergehend als Beauftragte des Gesundheitsamts und übernahmen das Kontaktpersonenmanagement in den Gemeinden. Im Landratsamt wurden die freigewordenen Ressourcen dazu verwendet, übergeordnete Maßnahmen für die Eindämmung des Virus zu organisieren. Die Zahl der Infektionsfälle in den Alten- und Pflegeeinrichtungen war nach oben geschnellt, Schutzausrüstung musste organisiert und Ausweichunterkünfte für infizierte Asylbewerber mussten gefunden werden. Zudem ist die Zahl der in Zusammenhang mit Corona Verstorbenen im Landkreis mit 91 vergleichsweise hoch. Auch weil es viele Fälle in den Altenheimen gegeben hat. So viele, dass das Landratsamt vorübergehend mal den Überblick verloren hatte und aufgrund einer Übermittlungspanne lange eine viel zu niedrige Zahl veröffentlichte.

Seit Ende Mai, als die Infektionszahlen deutlich zurückgingen, hat das Gesundheitsamt die Suche nach Kontaktpersonen wieder übernommen. Es wurden zusätzliche Stellen geschaffen, um die Mitarbeiter zu entlasten und damit die aufgebauten Überstunden - zumindest teilweise - abgebaut werden können. "Dies ist auch wichtig im Hinblick auf ein möglicherweise wieder zunehmendes Infektionsgeschehen nach Ende der Urlaubszeit im Herbst", heißt es aus der Behörde.

Eine zweite Welle mag niemand ausschließen. Zumal die Tage, an denen keine neuen Fälle gemeldet werden, wieder seltener geworden sind. Der Leiter des Gesundheitsamts, Gerhard Schmid sagt: "Aktuell beobachten wir eine leichte Zunahme an Infektionen im Landkreis. Das liegt meines Erachtens zum einen an einem etwas laxeren Umgang mit den Sicherheitsmaßnahmen. Nicht immer wird der gebotene Sicherheitsabstand eingehalten, auch die Masken werden nicht immer vorschriftsmäßig getragen." Zum anderen könnte auch die zunehmende Mobilität zum geringen Anstieg beitragen. Ob tatsächlich eine weitere Welle kommt und wie stark diese ausfällt, hängt laut Schmid vor allem davon ab, wie konsequent sich jeder Einzelne an die Sicherheitsmaßnahmen hält.

Die Behörde sieht sich gut vorbereitet. Denn die erforderlichen, teilweise neuen Strukturen wurden größtenteils nach der Aufhebung des Katastrophenfalls beibehalten. Landrat Göbel ist überzeugt: "Bei einem erneuten Anstieg der Infektionen können wir sofort reagieren."

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