Rückblick 2021:"Nein, an so einen Käse gewöhnt man sich nicht"

Rückblick 2021: Ein Hauch von Normalität: Im Juli machen es sich Besucher beim Freiluftkino im Haarer Freibad gemütlich.

Ein Hauch von Normalität: Im Juli machen es sich Besucher beim Freiluftkino im Haarer Freibad gemütlich.

(Foto: Claus Schunk)

Neun Menschen erzählen über ihre Erfahrungen im zweiten Corona-Jahr - über Einsamkeit, Ängste, aber auch über hilfreichen Humor.

Nicola Rieger, Lehrerin an einer internationalen Privatschule, aus Oberschleißheim: Ein leichtes Jahr war 2021 nicht. Nach langen Jahren im Ausland ist es schwierig, bei den Einschränkungen wieder ein normales Sozialleben aufzubauen. Darunter leide ich sehr. Corona hat mich im März schon erwischt, als Lehrer noch nicht geimpft waren. Und erneut im November dieses Jahres, obwohl ich im August geimpft worden bin. Die Müdigkeit zog sich wochenlang hin. Die Einsamkeit war schrecklich, trotz Gesprächen durch die Tür mit lieben Kollegen und meinen tollen Eltern, die mir Lebensmittel brachten; und trotz meiner zwei Kaninchen, die sehr zu meinem seelischen Wohlsein beitrugen. Die Einsamkeit hat mich sehr traurig gemacht. Ich vermisse meine Kollegen und die Schüler und fühle mich wie eine Versagerin, weil ich Covid gleich zweimal bekommen habe. Ich finde es problematisch, dass ich als Genesene nur einmal geimpft werde. Freunde und Familie im Ausland kann ich daher wohl nicht besuchen, weil vielfach zwei Impfungen verlangt werden. Mich macht wütend, dass Covid unseren Kindern so viel nimmt. Sie sind letztendlich die Leidtragenden.

Rückblick 2021: Mona Schweiger ist Leiterin des evangelischen Hauses für Kinder in Ottobrunn.

Mona Schweiger ist Leiterin des evangelischen Hauses für Kinder in Ottobrunn.

(Foto: Privat)

Mona Schweiger, Leiterin des Evangelischen Hauses für Kinder in Ottobrunn: Es war ein Jahr mit vielen Umbrüchen, auf die man sich immer neu einstellen musste. Im September freute sich unser Team, dass wieder alle Kinder kommen durften. Wir sind ein offenes Haus mit Krippe, Kindergarten und Hort. Als wir die Gruppen wieder öffnen durften und man sich wieder im Garten traf, war das für alle eine Bereicherung. Dass wegen der hohen Inzidenzen jetzt die Gruppen wieder getrennt sein müssen, hätte ich den Kindern gerne erspart. Weil wir ein großes Haus sind, sind wir eine Grundflexibilität gewöhnt und konnten so die Herausforderungen dieses Jahr ganz gut meistern. Wir haben im Team persönliche Ängste, beispielsweise das Virus nach Hause zu tragen, nicht bagatellisiert. Wenn ich verzweifelt war, wenn wieder ein Newsletter neue Regeln vorgab und man das Gefühl hatte, die Regierung weiß selbst nicht so genau, was sie will, half es mir, dass wir die Einrichtung im Team leiten und ich mit jemandem reden konnte. Ein gutes Hilfsmittel ist auch Humor. Anfangs dachte ich, Corona sei eine Übergangsbelastung. Jetzt glaube ich, wir müssen es besser integrieren und es muss ein Punkt sein auf auf der Agenda, wie andere Dinge.

Rysoletta Doelfs, 94, Bewohnerin im Alten- und Pflegeheim der Inneren Mission in Planegg: Gewöhnt an die Pandemie? Nein, an so einen Käse gewöhnt man sich nicht. An manchen Tagen denke ich mir schon, dass ich mir den Rest meines Lebens eigentlich anders vorgestellt habe. Aber dann rapple ich mich wieder hoch. Beim Essen sitzen wir wieder alle getrennt, verteilt auf Speisesaal und Foyer, damit Abstand eingehalten wird. Aber da kann man sich schlecht unterhalten, denn wir hören alle schlecht. Ich habe Glück, denn ich wohne im Parterre, da kann ich immer raus auf die Terrasse. Ich füttere die Vögel, wir sind ja hier gleich am Wald, da ist viel los bei mir. Meine Tochter holt mich auch oft ab und wir gehen einkaufen. Das ist das Wichtigste: raus zu können und nicht eingesperrt zu sein wie im vergangenen Jahr. Das war schlimm. Ich glaube, da sind die Menschen eher an Einsamkeit gestorben als an Corona. Meine Wünsche für 2022? Dass meine große Familie - ich habe elf Urenkel - alle verschont von dem Virus bleiben und gesund sind.

Florian Selzer, Arbeitsvermittler bei der Agentur für Arbeit München: Dieses Jahr war auf jeden Fall eine Herausforderung, es gab viel Neuland. Von meinen Kolleginnen und Kollegen und mir war viel Flexibilität gefordert, ich musste andere Bereiche unterstützen, zum Beispiel beim Thema Kurzarbeitergeld. Vor allem aber mussten wir bei der Erreichbarkeit neue Wege finden. Wie kann man trotzdem nah dran sein an den Menschen, wenn unsere Häuser geschlossen sind? Wir haben dann zum Beispiel virtuelle Gruppentreffen organisiert und Videoberatung möglich gemacht. Inzwischen gibt es eine App "BA mobil", und ab Januar kann man sich auch online arbeitslos melden. Diese neuen digitalen Kommunikationswege sind auch eine Chance, die Corona gebracht hat, denke ich. Das kommt auch bei unseren Kunden gut an. Insgesamt hat die Pandemie aber viel Beratungsbedarf gebracht. Mein Team ist zuständig für die Branchen Handel und Gesundheit. Bei den Menschen, die wir betreuen, waren viele Schicksalsschläge dabei, dass jemand, der jahrzehntelang in einem Beruf gearbeitet hat, plötzlich den Job verliert. Das geht einem natürlich auch nahe. Man will die Geschichte ja verstehen und den Menschen helfen. Das ist eine Herausforderung für beide Seiten. Wenn es gelingt, erlebe ich, dass die Leute auch sehr dankbar sind.

Katharina Kohl, Teamleiterin bei den Corona-Testzentren der Johanniter in Ottobrunn und Brunnthal: Ich habe Geografie studiert und bin vergangenes Wintersemester mit meinem Bachelor fertig geworden. Ich habe mich auf Jobsuche begeben, aber das war nicht so einfach. Anfang April bin ich dann bei den Johannitern gelandet. Das Team ist sehr nett und die Aufgaben sind interessant. Ich bin heute Teamleiterin für die Teststationen am Phoenix-Bad in Ottobrunn und bei Ikea in Brunnthal und außerdem für Firmentestungen zuständig. Das heißt, ich führe nicht mehr selbst Tests durch, sondern kümmere mich vor allem darum, dass wir immer genug Material und Personal haben und versuche, die Kundenströme ein bisschen zu lenken. Unter meinen Kollegen sind viele, die wegen Corona ihren eigentlichen Job verloren haben, sie arbeiten jetzt wie ich Vollzeit bei uns. Der Rest unserer Mitarbeiter sind Studenten plus einige Ehrenamtliche oder FSJler. Inzwischen hat die Nachfrage wieder angezogen. Ein besonderes Erlebnis für mich war der "One Young World"-Kongress im Juli im Olympiapark, wo sich junge Menschen aus aller Welt versammelt haben. Wir haben es geschafft, in minimaler Zeit dafür vier Zelte aufzubauen und jeden Tag bestimmt mehr als tausend Leute zu testen. Klar, die Schnelltests bringen keine hundertprozentige Sicherheit, sie sind nur eine Momentaufnahme. Aber sie ermöglichen, mal mit einem guten Gefühl ins Kino oder Café zu gehen.

Rückblick 2021: Yvonne Bauer liebt ihren Job an der Mittelschule Haar. Aber Corona erlebt sie als permanenten Ausnahmezustand.

Yvonne Bauer liebt ihren Job an der Mittelschule Haar. Aber Corona erlebt sie als permanenten Ausnahmezustand.

(Foto: Privat)

Yvonne Bauer, Sekretärin der Mittelschule Haar: Die Corona-Pandemie erlebe ich hier im Sekretariat als Ausnahmesituation sondergleichen. Ich liebe meinen Job. Aber so wie es im Moment ist, ist es kein Dauerzustand. Wir werden von übergeordneten Behörden kurzfristig informiert und müssen das dann umsetzen: Friss oder stirb. Was ich im Moment mache, hat wenig mit meiner normalen Arbeit zu tun. Manchmal frage ich mich: Bin ich eine medizinische Fachangestellt oder Fachkraft in einer Schulverwaltung? Wenn ich nicht von den Lehrern unterstützt werden würde, würde es nicht gehen. Wir testen mittlerweile jeden Tag in der Schule, weil wir auf Nummer sicher gehen. Die Lehrer sind damit schon mal 20 Minuten in der Früh beschäftigt. Wenn bei einem Schüler ein zweiter Strich vorhanden ist, er also im Schnelltest positiv ist, kommt er ins Sekretariat. Dann muss man sofort die Eltern anrufen. Ein PCR-Test ist zu machen. Es ist dem Gesundheitsamt zu melden. Bis von dort ein Bescheid kommt, kann es eine Woche dauern. Aber wir müssen schnell agieren. Schüler und Eltern haben sofort viele Fragen. Müssen Angehörige in Quarantäne? Außerdem müssen wir Kontaktpersonen des Schülers ermitteln: Wer ist neben ihm gesessen? Wer war länger als eine Viertelstunde mit ihm zusammen? Es zehrt an den Nerven. Ich bin normalerweise nie krank, aber in den Herbstferien hat es mich erwischt.

Lucas Sander, Schüler der Q 11 am Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching: Als die Pandemie begann, war ich in der neunten Klasse. Jetzt ist die Hälfte der elften Klasse rum. Vor Weihnachten haben fast alle Lehrkräfte den Unterrichtsstoff und die Klausur durchgedrückt, weil nach dem Jahreswechsel wieder ungewiss ist, ob der Präsenzunterricht fortgeführt wird. Nicht zu wissen, ob man nächsten Monat noch in die Schule gehen kann, das macht gerade im Hinblick auf die Abiturprüfung Angst. Und für technikversierte Schüler ist es inzwischen traurig mit anzusehen, wie Lehrer auch im zweiten Jahr der Pandemie noch nicht alle technischen Möglichkeiten für guten Unterricht ausnutzen. Während ich mich in den Fächern, die mich interessieren, gut vorbereitet fühle, sind in Fächern, die mir schon vor Corona schwerfielen, merkliche Lücken entstanden. Jetzt hoffe ich auf die Vernunft der Menschen, damit sich möglichst viele Leute impfen lassen und wir in Präsenz unsere Abi-Prüfungen schreiben können. Vielleicht bleibt ja sogar etwas Sozialleben erhalten. Im Moment planen wir eine Abi-Fahrt nach Korfu.

Rückblick 2021: Sibylle Abenteuer leitet den Rabenwirt in Pullach: Sie ist froh, den Winter wieder offen haben zu dürfen.

Sibylle Abenteuer leitet den Rabenwirt in Pullach: Sie ist froh, den Winter wieder offen haben zu dürfen.

(Foto: Claus Schunk)

Sibylle Abenteuer, Geschäftsführerin im Restaurant Rabenwirt in Pullach: Dieses Jahr hat uns allen viel abverlangt. Die Mitarbeiter kamen aus dem sechsmonatigen Lockdown schon mit Muskelschwund zurück und sind dann in eine unglaublich starke Sommersaison gerutscht. Wir haben hier jede Woche, gerade in den letzten sechs Wochen, unsere Pläne immer wieder umgeschmissen. Erst hatten wir mit den Weihnachtsfeiern die besten Buchungen seit 21 Jahren, gerade von vielen Firmen. Die sind dann wieder zu hundert Prozent storniert worden. Ich bin aber auch dankbar, dass wir dieses Jahr im Winter auflassen können. Wir haben die Kontrollen sogar vorzeitig eingeführt, weil wir gemerkt haben, dass das vielen der Kunden wichtig ist. Es gab aber schon viele Gäste, die geimpft und geboostert sind und trotzdem nicht essen gegangen sind. Ich habe gelernt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass immer alles so weiterläuft, wie man es sich gedacht hat. Dass durchaus Szenarien in unserer Weltgeschichte passieren können, die uns ein nicht mehr so kommodes Leben wie in den letzten Jahrzehnten bescheren. Es gibt viele Leute, die mit ihrer Situation ein Problem haben oder aggressiver geworden sind. Wir haben viel mehr narzisstische Ausbrüche von Gästen, die ihre Bedürfnisse gestillt bekommen wollen, aber nicht bereit sind, die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu respektieren.

Maria Götz, Pflegekraft in der geschlossenen Geriatrie-Station des Klinikums in Haar: Seitdem die Pandemie ausgebrochen ist, arbeite ich auf der Corona-Station. Ich war überwiegend auf der positiven Seite, wie wir immer gesagt haben, also bei den Corona-Erkrankten. In der Früh haben wir gleich angefangen, Symptome abzufragen. Es war aber auch ganz wichtig, weil die Patienten ja eigentlich wegen psychiatrischer Erkrankungen bei uns waren, den Kontakt zu halten und Gespräche zu führen. Ist die Stimmung stabil oder kippt sie? Sie sind ja alle alleine in Zimmern isoliert. Wir waren auch sehr viel damit beschäftigt, uns an- und auszukleiden vor jedem Zimmer. Sprich: Schutzkittel, Handschuhe, Maske, Schutzbrille, Schutzhaube. Wir waren immer in Bewegung. Man weiß, es gibt diesen Pflegemangel, aber es verändert sich nichts. Natürlich hat man das mitbekommen im letzten Jahr mit dem Klatschen. Aber im Vergleich mit der Bereitschaft, als Pflegekraft von sich selbst so viel abzuverlangen, tritt das Klatschen in den Hintergrund. In jeder Schicht übernehme ich die Verantwortung für andere. Viele Kollegen haben sich auch im privaten Leben eingeschränkt. So wenig Kontakt zu Freunden und Familie wie möglich, damit man keinen ansteckt. Was meine Kollegen und ich aber mitbekommen haben, war die Dankbarkeit von unseren Patienten, Kollegen und Leitern.

Protokolle: Angela Boschert, Daniela Bode, Irmengard Gnau, Bernhard Lohr, Anna-Lea Jakobs, Annette Jäger und Martin Mühlfenzl

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