Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis München:"Das reicht gerade mal zwei Tage"

Der Landkreis München bekommt nicht genug Impfstoff geliefert, um die gestiegene Nachfrage zu decken. Landrat Göbel kann das nicht verstehen - schließlich war seit Monaten klar, dass Auffrischungen nötig sind.

Von Iris Hilberth

Die Infektionszahlen schnellen nach oben, zahlreiche Boosterimpfungen stehen an und dem Landkreis München geht ausgerechnet jetzt der Impfstoff aus. Wie Landrat Christoph Göbel (CSU) beim Presse-Jourfixe am Donnerstagmittag zugeben musste, reichen die vorhandenen 918 Impfdosen von Biontech gerade noch bis zum Sonntag.

Wann von Bund und Land wieder genügend Impfstoff geliefert wird, ist ungewiss. Ein Mangel, den der Landrat scharf kritisiert: Denn aktuell ist die Nachfrage nach dem Vakzin wieder recht hoch. Das liegt insbesondere daran, dass sechs Monate nach der zweiten Impfung mittlerweile für alle eine Auffrischung empfohlen wird.

Diesen Rat wollte auch Alexandra Blitz aus Unterschleißheim befolgen. Bei der 35-Jährigen gibt es einigen Pflegefälle in der Familie. Dadurch gehört sie der Priorisierungsgruppe zwei an, die bereits vor einem halben Jahr geimpft wurde. Jetzt sollte die dritte Spritze folgen. Die zu bekommen ist jedoch nicht so einfach, wie Blitz feststellen muss. Das Impfzentrum Unterschleißheim wurde auf Anordnung der Staatsregierung inzwischen geschlossen und komplett abgebaut. Vom Impfzentrum der Stadt München in Riem wurde sie auf telefonische Nachfrage abgewiesen, da sie nicht über 70 ist. Auch bei verschiedenen Hausärzten habe sie es versucht, doch die nähmen nur eigene Patienten. Bliebe noch das aktuell einzige Impfzentrum des Landkreises in Haar. "Aber das ist von Unterschleißheim und mit zwei kleinen Kindern mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr schwer zu erreichen", sagt Blitz.

Kosten von 17 Millionen Euro

Göbel weist Vorwürfe daran, dass die anderen drei Impfzentren in Oberhaching, Unterschleißheim und Planegg abgebaut wurden, zurück: "Das war eine Weisung des Freistaats", sagt er. Die Kosten für einen Weiterbetrieb wären sehr hoch und würden nicht ersetzt. Pro Impfung kostet nach Auskunft des Landratsamts alleine die Infrastruktur 102,20 Euro. Von Dezember 2020 bis Juni 2021 kamen an den vier Standorten 17 Millionen Euro zusammen. Allerdings sei der Standort Haar günstiger als die anderen, da es sich um eine Bundesimmobilie handele und nicht teure Mietverträge abgeschlossen werden mussten.Grob gerechnet beliefen sich die Kosten für die drei anderen Impfzentren etwa im September auf zwei Millionen Euro.

Dass es nun nur noch ein Impfzentrum gibt, sei nicht seine Entscheidung gewesen, betont Göbel. "Die anderen können auch nicht ohne weiteres wieder geöffnet werden." Immerhin aber könne man das Angebot in Haar aufstocken. 800 Impfungen am Tag seien hier aktuell möglich, bis zu 1400 wären rechnerisch machbar. Dass dies aber zu logistischen Problemen führen würde, weiß der Landrat auch und plant daher mit mobilen Impfteams und Pop-up-Impfstationen in den Gemeinden. Aktuell werde noch nach Möglichkeiten gesucht, wo kurzfristig solche Kurzeitimpfzentren, auch mal nur etwa für zwei Wochen, geschaffen werden können. Fest steht im Moment, dass der Impfbus kommende Woche am Montag, Dienstag und Mittwoch in den drei Würmtalgemeinden Station machen wird. Insgesamt sind 27 Touren in der Planung. Doch ob der Bus dann auch genügend Impfstoff an Bord hat, ist derzeit noch äußerst fraglich.

Die aktuell vorhandenen 918 Dosen sind verplant, kommende Woche sollen 900 kommen, in der übernächsten 3000. "Das reicht gerade mal zwei Tage, wir brauchen 10 000 pro Woche", sagt Göbel. Er frage sich, wo der Impfstoff sei und erwarte von Bund und Land, dass er geliefert werde. "Wir können nicht in die Welt posaunen, dass jeder sich impfen lassen soll, und dann den Impfstoff nicht herbringen", so der Landrat. Er habe zu Beginn der Impfungen Verständnis gehabt, "aber jetzt ist das definitiv nicht mehr erklärbar". Seit Monaten sei bekannt, wann die Auffrischung kommt. "Das ist reine Mathematik!"

Genauso kann Göbel sich ausrechnen, dass die Infektionszahlen weiter steigen werden. Am Donnerstag veröffentlichte das Robert-Koch-Institut für den Landkreis eine Sieben-Tage-Inzidenz von 330,3. Besonders betroffen sind Schulen und Kindertageseinrichtungen. In 64 Einrichtungen gibt es aktuell insgesamt 105 Infizierte. 168 Kontaktpersonen sind in Quarantäne. Mit 21 Grundschulen und 32 Kitas hat es vor allem die Jüngeren erwischt. Der Landkreis gilt inzwischen als Corona-Hotspot, fünf Infizierte wurden innerhalb von einer Woche ins Krankenhaus eingeliefert. Es könnten aber auch mehr sein, "das ist nicht zwingend bei uns bekannt", so der Landrat. In den Alten- und Pflegeheimen haben sich die Zahlen kaum verändert. Aktuell gelten acht Bewohner in drei Einrichtungen als infiziert. Zudem haben sich 17 Mitarbeiter aus 13 Heimen angesteckt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5462018
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2021/belo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.