Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis München:Der letzte Tropfen

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Die Rationierung des Biontech-Impfstoffs durch Bundesgesundheitsminister Spahn bringt in den Arztpraxen das Fass zum Überlaufen

Von Bernhard Lohr und Martin Mühlfenzl, Landkreis München

In vielen Arztpraxen im Landkreis München herrscht am Montag Fassungslosigkeit: Die Impfkampagne soll angeschoben werden. Eine Erkältungswelle ist im Anrollen. Und als wollte er noch eins draufsetzen, hat der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt, den Biontech-Impfstoff zu kontingentieren. "Jens Spahn weiß gar nicht, was er macht", sagt die Brunnthaler Ärztin Christina Adamczyk. Die gesamte Organisation der Impfkampagne in den nächsten Wochen werde so ausgehebelt. "Wir sind wütend." Der Bayerische Hausärzteverband fordert in einer Resolution vom Wochenende derweil Spahns Rücktritt.

Friedrich Kiener, Allgemeinarzt in Unterschleißheim, wirft Spahn vor, den Ärzten reinzugrätschen. Gerade jetzt, da diese kämpften, viele zögerliche Leute "mit Druck und Vernunft" von einer Impfung zu überzeugen, werde wieder Verunsicherung geschürt. Das sei mehr als "unglücklich", sagt er.

Unterdessen ordert der Landkreis weiter "anhand der bestehenden Möglichkeiten" Impfstoff für das landkreiseigene Impfzentrum in Haar und die mobilen Teams. In dieser Woche seien 15 000 Dosen des Herstellers Biontech ausgeliefert worden, teilt Landratsamtssprecherin Franziska Herr mit. Die Bestellung für die kommende Woche belaufe sich auf 24 000 Dosen. Bislang gebe es keine Hinweise von offizieller Seite, dass eine Auslieferung in dieser Größenordnung nicht möglich sein könnte. Bereits am Wochenende hat der Landkreis seine Kapazitäten im Haarer Impfzentrum auf etwa 1400 Immunisierungen am Tag hochgefahren; zudem würden Optionen wie weitere Impfbusse geprüft, teilt die Behörde mit.

Ärzte und Praxispersonal müssen derweil wieder viel Überzeugungsarbeit leisten. Adamczyk berichtet von Patienten, die in E-Mails auf eine Biontech-Impfung pochen. Bis Weihnachten stehen in der kleinen Praxis in Brunnthal, die Adamczyk mit ihrer Kollegin Claudia Bibracher führt, 500 Impftermine an. Bis Januar ist der Kalender voll. Und keiner weiß, wer das von Adamczyk als guten Impfstoff gepriesene Moderna akzeptiert.

"Es geht nicht, dass man erst drei Tage vorher informiert wird", sagt die Planegger Ärztin Alexandra Westermeier. Einmal mehr habe die Politik die Ärzte mit kurzfristigen Ansagen überrumpelt. Sie habe in der Praxis für den 4. Dezember 100 Patienten einbestellt. Wer kann diese Patienten alle abfragen? "Das ist wahnsinnig viel Mehrarbeit." Man werde versuchen, noch Biontech-Impfdosen zu organisieren.

Friedrich Kiener hat noch eine Zusage für 500 Dosen für diesen Donnerstag, an dem er einen Sonderimpftag plant, für die Woche darauf nicht. Das Impfstoff-Management wird komplizierter. Aus einer Ampulle Biontech sind sechs Dosen herauszuholen, aus einer Ampulle Moderna 20. Also sollten auch 20 Patienten in der Praxis sein, wenn Moderna verimpft wird. Zudem soll Moderna erst Personen ab 30 Jahren gespritzt werden. Adamczyk will Patienten jetzt in Gruppen bündeln. Kiener hält das alles für kaum zumutbar fürs Praxispersonal. Das schiebe massiv Überstunden.

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