Corona-Krise:"Hefe ist das nächste Klopapier"

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Andreas Simmel, Chef der gleichnamigen Edeka-Märkte, rationiert in seinen Filialen die Klopapier-Zuteilung. (Foto: Privat)

Edeka-Geschäftsführer Andreas Simmel über Hamsterkäufe, Mengenbeschränkungen in seinen Supermärkten und Verkaufspersonal, das am Limit arbeitet.

Interview von Christina Hertel, Unterhaching/Pullach

Dass er einmal ein Zeitungsinterview zu Klopapier geben würde, hätte er nie gedacht, sagt Andreas Simmel, als er das Telefon abhebt. Der 36-Jährige ist Geschäftsführer der Edeka-Simmel-Märkte in Bayern, von denen es zwei in Pullach und Unterhaching gibt. Doch weil das Coronavirus das Einkaufsverhalten der Menschen verändert hat, gibt es um kein anderes Produkt so viel Streit wie ums Toilettenpapier. Ein Gespräch über Habgier, Hamsterkäufe und die Frage, ob die Pandemie die Abgründe der Menschen hervorkehrt.

SZ: Bei uns meldeten sich empörte Leser, weil Sie in Ihren Supermärkten Klopapier nur noch ab einem Einkaufswert von 25 Euro herausgaben. Ihr Vorwurf: Unternehmer wie Sie würden versuchen, aus der Krise Profit zu schlagen.

Andreas Simmel: Wir wollen uns nicht bereichern, sondern dafür sorgen, dass alle Kunden Klopapier bekommen. Vorletzte Woche hatten wir so viele Hamsterkäufe. Alleine in Unterhaching haben wir grob geschätzt 25 Paletten Klopapier verkauft, in ganz München waren es bestimmt hundert. Menschen schichten ihre Garagen damit voll. Der Bäcker verkauft keine Semmeln mehr, sondern Klopapier - zum drei bis vierfachen Preis. Dann kam der Lieferant nicht hinterher und wir mussten reagieren. Wir erkannten aber relativ schnell, dass die Idee nicht gut ist. Seit Donnerstag ist das schon wieder abgeschafft.

FAQ zu Ausgangsbeschränkungen
:Darf ich im Garten grillen? Eine Motorrad-Tour machen? Zur Eisdiele gehen?

In Bayern gelten seit dem 21. März weitreichende Ausgangsbeschränkungen. Die sind auch weiter aktuell trotz der Einigung von Bund und Ländern auf ein Kontaktverbot. Ein Überblick.

Stattdessen geben Sie Klopapier bloß noch an der Kasse heraus. Funktioniert das besser?

Auch da gibt es Diskussionen. Kunden bitten denjenigen, der hinter ihnen an der Kasse steht, Klopapier mitzukaufen. Ich verstehe das alles nicht. In meiner vierköpfigen Familie reicht eine Packung mindestens eine Woche. Vielleicht passen wir die Klopapier-Regelung auch noch einmal an. Ein Rewe-Markt verkauft die zweite Packung für zehn, die dritte für 20 Euro und spendet den Gewinn. Die Idee gefällt mir. Aber das müssen wir erst noch in Ruhe besprechen. Es passieren lauter Dinge, mit denen ich nie gerechnet hätte. Zum Beispiel kaufen die Menschen gerade wie verrückt Hefe, weil sie zu Hause Brot backen.

Kommt also nach der Klopapier die Hefe-Krise?

Ich würde sagen: Hefe ist schon jetzt das nächste Klopapier. Am Samstag, als ich durch den Laden gegangen bin, war alles weg. Gerade warten wir auf eine Lieferung von 4000 Packungen. Auch beim Mehl hatten wir solche Lieferengpässe, dass wir bei Großhändlern angefragt haben, die normalerweise die Gastro beliefern. In Glonn und Pullach verkaufen wir jetzt Mehl in 25-Kilo-Säcken. In der Stadt bieten wir das nicht.

Hamstern die Menschen im Landkreis mehr als in der Stadt?

Die Geschichte von der Garage voller Klopapier kenne ich aus dem Landkreis Ebersberg. Auf dem Land haben die Leute einfach mehr Platz. Aber ich glaube, Hamsterei hat nichts mit Stadt oder Land zu tun, sondern hängt von der Persönlichkeit ab. Klar gibt es die, die jetzt ein Geschäft machen wollen und Klopapier auf Ebay verkaufen. Aber die meisten haben einfach Angst. Wer weiß, was ich tun würde, wenn ich einen Laden hätte, der jetzt geschlossen bleiben muss.

Dafür machen Sie gerade den Umsatz Ihres Lebens. Um wie viel ist er gestiegen?

Das kann ich gar nicht sagen. Aber ehrlich: Ich würde lieber weniger Umsatz machen und das Team könnte mal durchschnaufen. Es gehen alle so am Limit, dass für uns trotz der Erlaubnis der Regierung klar war, dass wir nicht bis 22 Uhr und auch nicht am Sonntag aufmachen.

Was machen Ihre Mitarbeiter gerade mit?

In Pullach hat ein Kunde eine Mitarbeiterin übel beschimpft, weil sie ihn gebeten hatte, den Mindestabstand einzuhalten. Aber auch untereinander gehen sich Kunden an. In einem Markt parkte ein Mann fälschlicherweise mit seinem SUV auf einem Behindertenparkplatz. Als ihn ein Behinderter darauf hinwies, schrie er ihn an.

Kehrt die Krise die Abgründe der Menschen hervor?

In den Menschen kommt das Schlechteste, aber auch das Beste zum Vorschein. Denn gleichzeitig haben wir auch noch nie so viel Lob und Dankbarkeit erfahren.

Was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter zu schützen?

Wir haben schon früh Abstandsstreifen auf den Boden geklebt. Außerdem haben wir Plexiglasscheiben bestellt, die wir vor die Kasse schrauben, und eine Textilfirma beauftragt, Mundschutzmasken zu nähen. Jeder Mitarbeiter, der möchte, soll zwei bekommen. Ich bin sehr dankbar für mein Team, deshalb zahlen wir jedem, der in den vergangenen vier Wochen gearbeitet hat, einen Zuschlag von 40 Euro pro Tag.

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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