Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis München:Im Lockdown-Lockerungs-Korridor

Der Landrat rechnet damit, dass die Inzidenz die nächsten Wochen zwischen 50 und 100 pendeln wird. Weitergehende Öffnungen von Schulen und Einzelhandel hält er daher für ausgeschlossen. Von Montag an sollen auch die ersten Hausärzte impfen

Von Iris Hilberth, Landkreis

Wieder gibt es neue Corona-Regeln und wieder spielt die Zahl 50 eine entscheidende Rolle. Liegt der Landkreis in seiner Sieben-Tage-Inzidenz darunter, dürfen bald alle Grundschüler in den Präsenzunterricht und von diesem Montag an auch mehr Leute in die Geschäfte. Im Landkreis München sieht es derzeit allerdings nicht danach aus. Landrat Christoph Göbel (CSU) sprach in einer Video-Pressekonferenz am Freitagmittag von einer "Seitwärtsbewegung" des Infektionsgeschehen - allerdings mit einer deutlichen Tendenz nach oben. "Wir werden uns in einem Korridor zwischen 50 und 100 bewegen", schätzt er die Lage für die nächsten Wochen ein. Mehr Impfungen und mehr Tests blieben daher dringlichste Aufgabe. Doch wer wann dran ist mit der Immunisierung, ist manchmal selbst dem Landrat schleierhaft.

Zwar gab das Robert-Koch-Institut (RKI) am frühen Freitagmorgen bekannt, dass sich im Landkreis München in den vergangenen sieben Tagen 47,1 Personen pro 100 000 Einwohner mit dem Corona-Virus angesteckt haben; das sind 165. Doch das Landratsamt ist immer einen Schritt voraus und rechnete am Vormittag bereits eine Inzidenz von 54,5 aus. "Die Reise geht nach oben", stellte Göbel daher fest. Sein Mitarbeiter Jörg Spennemann ergänzte: "Wir rechnen nicht damit, dass wir so bald stabil unter 50 liegen." Stabil bedeutet laut Vorgaben: mindestens drei Tage in Folge. Göbel geht daher nicht davon aus, dass der Einzelhandel im Landkreis in absehbarer Zeit komplett öffnen kann.

Für die Schulen bedeutet der Korridor 50 bis 100 Wechselunterricht in allen Jahrgangsstufen. Für Schüler, die aus anderen Landkreisen oder der Stadt kommen, beziehungsweise außerhalb des Landkreises den Unterricht besuchen, gilt die Inzidenz am Schulstandort. Von 8. März an wird das bayerische Gesundheitsministerium die Inzidenzeinstufung für die Landkreise und kreisfreien Städte vornehmen.

Schuld an den steigenden Zahlen ist vor allem die britische Virus-Mutante. Bei 213 der seit Anfang Februar im Landkreis Infizierten wurde diese Variante nachgewiesen. Neuinfektionen wurden dem Landratsamt seit Donnerstag 34 gemeldet. In Pflegeeinrichtungen sind aktuell noch drei Senioren betroffen, beim Personal noch fünf. Steigende Zahlen gibt es in Asylbewerberunterkünften. Hatte es vergangene Woche hier nur einen Fall gegeben, sind aktuell 15 Bewohner positiv getestet. Auch in Schulen und Kinderbetreuungen nimmt das Infektionsgeschehen wieder Fahrt auf. Insgesamt 17 Einrichtungen, sieben Schulen und zehn Kitas, sind betroffen, bei 24 Personen fielen die Tests positiv aus, 330 sind dadurch in Quarantäne.

Unterdessen bemüht sich der Landkreis, mit den Impfungen voranzukommen. 8,25 Prozent der Landkreisbürger haben bislang die erste Impfung erhalten, das sind 24 237 Personen. Von denen haben 10 924 ihren zweiten Termin hinter sich und somit den vollständigen Impfschutz. Wie viele den ersten beiden Priorisierungsgruppen angehören, die bevorzugt an die Reihe kommen sollen, kann das Landratsamt nicht sagen. Solche Informationen erhält das Landratsamt aufgrund des Datenschutzes nicht.

Dass es mit dem Online-Registrierungsportal Bayimco, das streng nach Regeln Termine vergeben soll, nicht immer gerecht zugeht und die Reihenfolge mitunter nicht nachvollziehbar ist, hat auch Göbel festgestellt. Immer wieder erreichen ihn E-Mails von Personen, die bereits Termine angeboten bekamen, obwohl sie weder der Altersgruppe über 80 Jahre angehören noch in medizinischen Berufen oder neuerdings auch als Lehrer oder Erzieher tätig sind. "Wenn das System Impftermine zugewiesen hat, impfen wir auch", so Göbel.

"Es heißt immer, es gehe streng nach Alter, aber das passt manchmal noch nicht einmal, wenn man die Zahlen umdreht", so der Landrat. Er habe die Beobachtungen an die Regierung von Oberbayern weitergegeben, aber keine Antwort erhalten. Göbel ist überhaupt nicht gut auf das elektronische Impfmanagement zu sprechen. "Bayimco hat keinerlei Wert", urteilt er. Wenn die Behörden wenigstens die Daten zur Planung nutzen könnten, "aber das dürfen wir nicht". Viel praktischer wäre es Göbels Meinung nach, wenn jeder mit seinem Impfpass zu seinem Arzt ginge. "Wenn wir Schwierigkeiten haben, dann weniger mit der Pandemie als mit der Bürokratie", zeigt sich der Landrat genervt von der verordneten Organisation.

Von kommender Woche an sollen die Hausärzte ins Impfen einbezogen werden. Nach einem Praktikum in den Impfzentren wird zunächst in sechs Praxen begonnen. Auch die Zahl der Tests wird hochgefahren. Von 22. März an soll jeder Bürger einmal pro Woche eine kostenlosen Schnelltest erhalten.

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SZ vom 06.03.2021
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