Coronavirus:"Die Versorgung wäre nicht mehr gegeben"

Das Gesundheitsamt ist wegen der Angst vor einer Epidemie gefordert wie noch nie, sieht sich aber gut auf weitere Ansteckungsfälle vorbereitet. Apotheker und Ärzte warnen dagegen vor Engpässen an Desinfektionsmittel und Personalausfällen in Praxen.

Von Daniela Bode und Carina Seeburg

Gerhard Schmid, der Leiter des staatlichen Gesundheitsamts am Landratsamt München, hat in diesen Tagen viel zu tun. Das Coronavirus breitet sich immer weiter aus und hat seit dieser Woche auch den Landkreis München erreicht: In Unterhaching und Gräfelfing wurde jeweils ein Kind positiv auf das Sars-CoV-2-Virus getestet, in Unterhaching ist das Gymnasium, in der Würmtalgemeinde ein Kindergarten seither zu. Für ein Telefonat ist Schmid erst nach eineinhalb Tagen zu sprechen. "Ich bin seit 34 Jahren im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig. Eine derartige Arbeitsverdichtung, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll, habe ich in der Zeit noch nicht erlebt", sagt er.

Grund zur Beunruhigung sei das nicht. "Wir machen das Beste daraus", sagt er. Seine Devise ist: Strukturieren, Prioritäten setzen und die Ruhe bewahren. Konkret sind er und seine Kollegen im Gesundheitsamt derzeit vor allem damit beschäftigt, Kontaktpersonen von mit dem Virus Infizierten zu ermitteln, bei Verdachtspersonen Tests vorzunehmen oder diese bei niedergelassenen Ärzten zu veranlassen. "Außerdem beantworten wir Anfragen von Bürgern, Ärzten und Gemeinden", fasst Schmid zusammen. Das Amt stehe dabei in engem Kontakt mit dem Landesamt für Gesundheit. Bei manchen Mitarbeitern stehe das Telefon nicht mehr still.

Coronavirus: "Eine derartige Arbeitsverdichtung, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll", hat Gerhard Schmid in 34 Jahren im Gesundheitsamt nach eigenen Worten nicht erlebt.

"Eine derartige Arbeitsverdichtung, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll", hat Gerhard Schmid in 34 Jahren im Gesundheitsamt nach eigenen Worten nicht erlebt.

(Foto: Claus Schunk)

Auf all diese Aufgaben ist das Gesundheitsamt laut Schmid gut vorbereitet. "Wir haben Schutzkleidung, wir haben Tupfer, sodass wir Abstriche machen können", sagt der Amtsleiter. Er sei froh, dass die Behörde rechtzeitig vorgesorgt habe. Auch für Seniorenheime existiert ein Konzept für das Vorgehen im Ernstfall. Deren Bewohner sind laut Schmidt "deutlich stärker gefährdet für Infektionskrankheiten". Andererseits gebe es weniger Kontakte nach außen.

Falls dort jemand am Coronavirus erkrankt, sollte dieser wenn möglich auch bei leichten Symptomen ins Krankenhaus gebracht werden, so der Amtsarzt. Derzeit sind die Kapazitäten dafür gegeben. Sollte ein stationärer Aufenthalt aber nicht möglich sein, müsse der Erkrankte im Heim streng isoliert werden. "Es wäre unheimlich schwierig, ein Altenheim zu schließen", erklärt Schmid. Bei Personalengpässen sei der Plan, dass Pflegekräfte aus anderen Heimen aushelfen.

Coronavirus: "Eine derartige Arbeitsverdichtung, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll", hat Gerhard Schmid in 34 Jahren im Gesundheitsamt nach eigenen Worten nicht erlebt.

"Eine derartige Arbeitsverdichtung, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll", hat Gerhard Schmid in 34 Jahren im Gesundheitsamt nach eigenen Worten nicht erlebt.

(Foto: Claus Schunk)

Veranstalter oder Firmen, die unsicher sind, ob sie eine Veranstaltung absagen oder aufrechterhalten sollten, werden vom Gesundheitsamt beraten. "Es ist eine Risikoabschätzung anhand von Kriterien", sagt Schmid. Das Innenministerium empfiehlt die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts. Die Hauptkriterien aus Schmids Sicht sind die Größe der Veranstaltung und die Frage, wie viele Menschen aus Risikogebieten zu erwarten sind. Das Landratsamt könne eine Veranstaltung auch verbieten. "Das ist aber derzeit nicht notwendig, die Veranstalter und Firmen sind selbst sehr vorsichtig", so Schmid.

Insgesamt rät er zu einem Mittelweg. "Das Lebensrisiko auf Null reduzieren geht nicht." Veranstaltungen pauschal zu meiden, hält er für überzogen. Auch weil das Risiko durch Corona für die Allgemeinbevölkerung im Gegensatz zur Influenza mäßig sei. Sinnvoll sei, sich an den Hygieneregeln zu orientieren: 1,5 Meter Abstand halten, Händeschütteln reduzieren, in die Ellenbeuge husten und niesen. Dennoch sieht er der Realität ins Auge: "Es wird weitere Fälle geben und es wird möglicherweise auch der Punkt kommen, an dem man anders verfahren muss."

5 Infektionen

mit dem Sars-Cov-2-Virus, das die Lungenkrankheit Covid 19 auslöst, sind im Landkreis bestätigt: Der erste Fall war ein Mitarbeiter der Firma Wirecard in Aschheim, es folgten ein Vater und seine Tochter sowie am Donnerstag ein Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums in Unterhaching und ein Kind aus einer Gräfelfinger Tagesstätte. Über die Wohnorte machen die Behörden zum Schutz der Erkrankten keine Angaben

In den Apotheken ist unterdessen die Angst vor einer Ausbreitung des Virus seit Tagen zu spüren. "Desinfektionsmittel werden zunehmend knapp und unsere Bestände an Atemschutzmasken sind aufgebraucht", sagt Peter Aurnhammer aus Ismaning. Davon abgesehen gebe es bei der Versorgung mit medizinischen Produkten bisher aber keine Engpässe. Den Kauf großer Mengen an Desinfektionsmitteln bezeichnet der Apotheker als "höchst irrational". Die Influenza, an der jedes Jahr mehrere tausend Menschen in Deutschland sterben, werde im Gegensatz überhaupt nicht ernst genommen.

Wegen Lieferproblemen dürfen Apotheken seit dieser Woche für die kommenden 180 Tage Desinfektionsmittel selbst herstellen. Dies ist sonst nach der EU-Biozidverordnung untersagt. Aus Sicht von Aurnhammer verlagert sich damit lediglich das Problem: "Wenn die Grundsubstanzen nicht da sind, können wir auch vor Ort kein Desinfektionsmittel herstellen."

Die Vorratskäufe führen zudem dazu, dass Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel auch dort zur Mangelware werden, wo man sie wirklich braucht: in Krankenhäusern und Arztpraxen. "Wir hatten über Tage Engpässe und nur zehn Atemmasken in der Praxis", sagt die Taufkirchner Kinderärztin Brigitte Dietz. In ihrer Praxis erlebt die stellvertretende Landesvorsitzende des Berufsverbands für Kinder- und Jugendärzte nach eigenen Worten keine Panik, sondern einen besonnenen Umgang der Patienten mit der Situation. Der Hinweis, sich bei einer Infektion im Verdachtsfall zunächst telefonisch mit seiner Hausarztpraxis in Verbindung zu setzen, werde ernst genommen. Für alle, die sich trotz Verdacht auf den Weg zur Praxis machen, seien außen deutlich sichtbare Hinweisschilder angebracht, die Praxisräume nicht zu betreten und sich ausschließlich telefonisch an die Rezeption zu wenden. "Wir müssen vermeiden, dass es in vollen Wartezimmern zu Ansteckungen kommt", erklärt Dietz.

Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Arztpraxis geschlossen werden müsse. Einen solchen Fall könnten laut Dietz auch die Kollegen im Umkreis nicht vollständig abfangen. "Die kinderärztliche Versorgung in Taufkirchen wäre dann nicht mehr gegeben." Das wäre angesichts der saisonalen Grippewelle problematisch, so Dietz. "Wir haben mit der ganz normalen Influenza gerade noch sehr viel zu tun", sagt die Kinderärztin.

Von Montag an ist im Gesundheitsamt ein Bürgertelefon immer montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr unter 089/6221-1234 erreichbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: