Süddeutsche Zeitung

Ottobrunn/Unterhaching:Ein Hauch von Normalität

Die Wiedereröffnung der Bau- und Gartenmärkte ist für viele Menschen eine willkommene Abwechslung. Eindrücke aus Ottobrunn, Brunnthal und Unterhaching, wo die Kunden unter Sicherheitsvorkehrungen rücksichtsvoll und geduldig miteinander umgehen.

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn/Unterhaching

Sophie Rettenberger kann in dieser Krise ihre Talente ausspielen. Mit einer gelben Warnweste bekleidet und mit Mundschutz empfängt die gebürtige Französin ihre Kunden am Seiteneingang des Baumarkts in Ottobrunn, in der einen Hand hält sie eine Plastikkiste, in der anderen eine Grillzange. An ihren Augen lässt sich ablesen, dass sie sich über jeden einzelnen Kunden freut, und jeder, der keinen Mundschutz dabei hat, bekommt von ihr aus der Kiste einen selbst gebastelten mit der Zange überreicht - aus Küchenpapier und Gummibändern.

"Ich komme ja eigentlich aus der Modebranche", sagt Rettenberger. Und so hat sie über das Wochenende nicht nur mit Küchenpapier hantiert, sondern für alle 20 Mitarbeiter Schutzmasken aus dunkelblauem Stoff genäht. Die Experten im Baumarkt sind also gut zu erkennen.

Auch Sophies Mann Bernd, der mit seinem Bruder Klaus den Baumarkt leitet, trägt einen selbst genähten Mundschutz, und auch ihm ist ein Lächeln anzumerken. Vier Wochen lang mussten die Brüder ihren Markt geschlossen halten - bis zum Montag, dem sehnsüchtig erwarteten Tag der Wiedereröffnung. "Wir sind schon erleichtert, dass es weitergehen kann, und unsere Kunden sind es auch", sagt er.

In den Tagen vor der Wiedereröffnung habe sich sein Bruder Klaus viele Gedanken gemacht, wie die Sicherheit der Kunden und der Mitarbeiter gewährleistet werden könne. Holzfässer stehen auf einigen Parkplätzen vor dem Markt, um die Zahl der Stellplätze und somit der Kunden zu reduzieren. Die müssen sich die Hände desinfizieren, bevor sie den Markt betreten, am Boden haben die Rettenbergers Markierungen angebracht, damit die Menschen Abstand halten. Und dennoch suchen sie den Kontakt. "Wir haben vor allem Privatkunden. Und die wollen beraten werden", sagt Rettenberger. "Das merkt man jetzt nach dieser langen Zeit besonders."

Ein Geruch, den man fast schon vergessen hat

Im Arbeitsraum schneiden Mitarbeiter Holz zurecht, es steigt ein Geruch in die Nase, den man fast schon vergessen hat. Ein Geruch, den viele Menschen offenbar vermisst haben. Denn schon am frühen Montagmorgen standen die Kunden in einer lang gezogenen Schlange vor dem Baumarkt Rettenberger an, am Dienstagmorgen das gleiche Bild. "Es ist toll, mal wieder raus zu kommen, jetzt wo es schön wird", sagt eine Kundin durch die Maske. Ihren Balkon wolle sie aufhübschen, deshalb der Besuch im Baumarkt - und auch etwas ratschen. "Das habe ich schon vermisst."

Die Frage, ob sie ihren Garten nur etwas aufhübschen oder gleich ganz umgraben wollen, werden sich viele Kunden ein paar wenige Kilometer weiter gestellt haben. Der Parkplatz vor dem Hagebaumarkt im Gewerbegebiet Brunnthal-Nord ist voll am Tag der Wiedereröffnung: In einer langen Schlange warten die Menschen darauf, hereingelassen zu werden. Dabei ist es Pflicht, einen Einkaufswagen mitzunehmen, um die notwendigen Abstände einhalten zu können. Und vor allem, um die schweren Säcke Blumenerde wieder aus dem Baumarkt heraustransportieren zu können, die viele Menschen aufgeladen haben.

An den wartenden Menschen fährt derweil eine Streife der Ottobrunner Polizeiinspektion gemächlich vorbei und zielstrebig auf einen Mann an seinem Auto zu. Es folgt ein kleiner Disput, der Mann hat sich offensichtlich nicht an die Vorgaben gehalten, die Beamten nehmen seine Personalien auf. "Eigentlich halten sich alle an die Regeln und sind sehr diszipliniert", sagt einer der Beamten danach. "Das ist die Ausnahme, dass mal einer etwas ausflippt. Die Menschen nehmen die Einschränkungen mit sehr viel Gelassenheit hin." Dann greift der Polizist sich kurz als Abschiedsgruß an die Mütze und fährt mit seinem Kollegen weiter.

Gespenstische Stille in den Hallen des Gartenmarktes

Diese Gelassenheit ist auch bei Pflanzen Kölle in Unterhaching zu spüren. Es herrscht eine fast gespenstische Stille in den Hallen - trotz der vielen Menschen, die zu den Tomatensträuchern, Geranien, Begonien oder der Verpiss-dich-Pflanze strömen, die wieder für 2,79 Euro im Angebot ist. Kaum einer spricht, die Kunden weichen sich höflich aus, warten geduldig, bis der Weg wieder frei ist. Die Krise habe die Menschen etwas entschleunigt, sagt eine Frau bei den Tomaten, und sie rücksichtsvoller werden lassen. "Das ist das Gute an der Krise", sagt sie noch und geht dann mit ihrem Wagen und zwei Tomatenpflanzen bedächtig weiter zu den Kassen.

In Ottobrunn sagt Bernd Rettenberger, sein Unternehmen sei bisher gut durch die Krise gekommen. "Auch wenn wir jetzt trotz der Öffnung erst mal nicht die Umsätze machen wie zuvor." Vier Woche lang hätten sie nur Waren ausgeliefert oder zur Abholung bereitgestellt, es war trotzdem viel Arbeit, manchmal bis 23 Uhr abends. Manche Mitarbeiter waren im Urlaub oder in Kurzarbeit. Jetzt sind wieder alle da. Zu erkennen an den blauen Masken.

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SZ vom 22.04.2020/hilb
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