Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Manche glauben, das Virus geht sie nichts an

  • Spielplätze und Sportstätten sind mit Flatterbändern abgesperrt, aber nicht jeder nimmt die Maßnahmen ernst.
  • Gemeinderatssitzungen werden in große Hallen verlegt oder abgesagt und verschoben.
  • Die Zahl der Infizierten im Landkreis steigt am Mittwoch auf 115.

Von Iris Hilberth, Martin Mühlfenzl, Carina Seeburg und Sabine Wejsada

Während sich das Coronavirus weiter ausbreitet, sollte das Leben im Landkreis eigentlich in den Pausenmodus gehen. Rot-weiße Flatterbänder und Verbotsschilder prangen seit Dienstag an gesperrten Spielplätzen und Sportanlagen, in Gaststätten werden die Tische auf größere Abstände gerückt, Rathäuser und Ämter, öffentliche Einrichtungen und Dienste schließen. Auf der Theke einer Bäckerei steht ein Schild: Die Kunden werden gebeten, keine Beutel oder eigene Becher von zu Hause mehr mitzubringen, Kaffee gibt es von 15 Uhr an nur noch to go. Doch so richtig einsichtig sind nicht alle.

Zwar sind die Cafés innen leer, doch sitzen viele in Grüppchen davor, als wäre nichts. Auch unter den Senioren, die als besonders gefährdet gelten, scheint sich die Sorge vor einer Ansteckung noch nicht so richtig verbreitet zu haben. Sie treffen sich zum Walken oder Radfahren, drängeln sich in der Post oder der Apotheke, die mitunter wie in Unterhaching bereits Schutzwände aufgebaut hat. Auch die gesperrten Spielplätze hält manche Menschen nicht davon ab, sich doch mit anderen Familien dort zu treffen. Dann sitzt man mit den Kindern eben auf der Picknickdecke neben dem Platz beisammen. Die Aufforderung der Polikiker, zu Hause zu bleiben und soziale Kontakte zu reduzieren, ist nicht bei allen Landkreisbürgern angekommen. Erst am Dienstagnachmittag hatte sich Landrat Christoph Göbel noch einmal eindringlich an alle Bewohner gewandt: "Ich appelliere deshalb an alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis München, in diesen Tagen zusammenzuhalten, damit wir gemeinsam die Ausbreitung des Virus verlangsamen und unsere Mitbürger schützen!"

Der Gemeinderat Ismaning tagt in der Hainhalle

Unterdessen gehen die Kommunen mit den anstehenden Gemeinderatssitzungen ganz unterschiedlich um. Der Ismaninger Gemeinderat will am 26. März in der weitläufigen Hainhalle tagen, in Straßlach-Dingharting ist geplant, die Sitzung am 25. März in der Sporthalle des Bürgerhauses in Straßlach abzuhalten. Hier sei es möglich, die Tische mit entsprechenden Abständen zu stellen, heißt es aus dem Rathaus. Ganz sicher ist das aber noch nicht. "Sollte sich die Gesamtlage in den nächsten Tagen weiter zuspitzen, werden wir die geplante Sitzung verschieben beziehungsweise absagen", teilt das Rathaus mit. Die Gemeinde Höhenkirchen-Siegertsbunn hat das für die am 19. März geplante Sitzung bereits getan.

Die Gemeinde Unterhaching hat am Mittwochmittag nun auch mitgeteilt, dass die am gleichen Abend vorgesehene Sitzung entfällt. Am Dienstag noch wollte das Rathaus von den ursprünglichen Planungen nicht abweichen. Wegen "Beschlussunfähigkeit" kam dann aber doch die Absage. Von den 30 Gemeinderatsmitgliedern hatten offenbar zu viele abgesagt. Die Grünen hatten bereits am Vormittag den Bürgermeister darum gebeten, andere Kommunikationsformen zu finden. Sie bezeichneten das Festhalten an der Sitzung in der derzeitigen Pandemie-Situation als "unverantwortlich und unnötig" und mahnten: "Wir riskieren damit nicht nur, den Gemeinderat handlungsunfähig zu machen, sondern wir geben auch ein schlechtes Vorbild für die Bevölkerung." Die Gemeinde würde die Linie des Landratsamtes und der Staatsregierung konterkarieren, so die Grünen. "Hinzu kommt, dass wir im Gemeinderat Mitglieder der Risikogruppe haben." Über Ort und Zeit der Nachholsitzung will die Gemeinde noch informieren.

Nur noch eine Packung Klopapier pro Kunde

Drogerien und Supermärkte informieren indes, dass Kunden nur noch maximal eine oder zwei Packungen Klopapier, Küchenrollen und Seifen bekommen. Gezahlt werden soll nach Möglichkeit nicht mehr bar, sondern mit Karte. Die Handelsketten wollen so ihr Personal vor direktem Kontakt mit der Kundschaft schützen. Die Mitarbeiter sind ohnehin über Gebühr belastet, sie füllen ohne Unterlass die Regale auf.

Während das gesellschaftliche Leben zunehmend heruntergefahren wird, steigen die Zahlen der mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 Infizierten stetig weiter an. Das Landratsamt meldet seit Dienstagabend 20 Neuinfektionen, womit die Zahl der an der Lungenkrankheit Covid 19 leidenden Menschen im Landkreis am Mittwoch auf 115 ansteigt. Mit Blick auf die steigende Zahl von Fällen stehe der Landkreis in dauerhaftem Dialog mit seinen beiden Vertragskliniken in Pasing und Perlach, macht Landrat Christoph Göbel (CSU) deutlich.

Diese befanden sich einst in Besitz des Landkreises und sind auch heute noch für die Grund- und Regelversorgung der Menschen im Landkreis verantwortlich. Dazu seien die beiden Krankenhäuser verpflichtet, sagt Göbel. Beide müssten Kapazitäten für Corona-Patienten freihalten und Operationen, die nicht zwingend erforderlich sind, verschieben. Außerdem stehe der Landkreis auch mit anderen Krankenhäusern in Kontakt, etwa Privatkliniken und orthopädischen Häusern.

"Die Kurve flach halten."

Sollten weder Bund noch Land für die Finanzierung aufkommen, werde er den Kreistag um die Freigabe von finanziellen Mitteln bitten, um die medizinische Versorgung aller betroffenen Landkreisbürger sicherzustellen, so der Landrat. Das Motto der Stunde laute: "die Kurve flach halten." Aus diesem Grund arbeiteten das Gesundheitsamt und die Kommunen eng zusammen, um den Betrieb von Testzentren sicherzustellen und Kontaktpersonen von Infizierten zu ermitteln. "Alle Beteiligten sind mit Hochdruck und größtem Engagement dabei, Kontaktketten abzubrechen und die Ausbreitung so zu verlangsamen", heißt es aus dem Landratsamt.

In den ersten Kommunen des Landkreises haben unterdessen am Montag und Dienstag externe Teststationen für Corona-Verdachtsfälle ihren Betrieb aufgenommen. Damit sollen das Gesundheitsamt und die Hausärzte unterstützt werden. So hat die Gemeinde Unterföhring auf dem ehemaligen Eon-Gelände an der Bauhofstraße eine Teststation eingerichtet. Wie viele Menschen dort am Dienstag getestet wurden, darf Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer nach eigenen Worten aus Datenschutzgründen nicht sagen. Die Unterföhringer Station werde nach Zuruf durch die am Ort tätigen Hausärzte geöffnet. Das Rathaus übernimmt die Koordinierung und schickt jeweils einen Mitarbeiter als Unterstützung.

In Ismaning ist ein Drive-in für Verdachtsfälle schon seit Montagmorgen in Betrieb. Mediziner und ein Abgesandter der Freiwilligen Feuerwehr sind am Sportpark im Dienst. "Heute in der Früh haben wir bereits 43 Leute getestet", berichtet Bürgermeister Alexander Greulich (SPD), der sich am Dienstag selbst ein Bild von der Lage gemacht hat. Er sei sich sicher, "dass das noch lange nicht das Ende der Fahnenstange ist", sondern die Zahl der Tests in den lokalen Zentren in den nächsten Tagen weiter steigen werde. Kemmelmeyer und Greulich appellieren an die Menschen, Ruhe zu bewahren. Niemand solle auf eigene Faust zu den Stationen fahren. Wer getestet wird, entscheiden Ärzte.

Auch in Haar, Oberhaching, Unterschleißheim, Garching und Unterhaching sollen demnächst lokale Testzentren eröffnen. Oberhaching will Mitte der Woche mit Tests beginnen; in Hohenbrunn gibt es bereits seit Dienstag eine Station. "Wir bieten das in der Nähe unseres Bauhofs für Putzbrunn mit an", sagt Bürgermeister Stefan Straßmair (CSU). "Die lokalen Rettungsdienste organisieren die Tests, wir haben hierfür relativ große Kapazitäten", so der Hohenbrunner Rathauschef. Unterhaching errichtet im Ortspark eine Station, Gräfelfing baut ein Zelt auf dem Schulcampus in der Adalbert-Stifter-Straße auf. Derzeit sucht die Gemeinde nach freiwilligen Helfern aus medizinischen Berufen, die stundenweise bereit sind, bei der Durchführung der Tests zu assistieren. Für alle Standorte gilt: Getestet werden nur Personen, die vom Hausarzt bestimmt werden und einen Termin haben. Patienten mit Symptomen müssen sich also zuvor telefonisch mit ihrer Praxis in Verbindung setzen. Wer ohne Termin an die Station kommt, wird fortgeschickt.

Wenn an diesem Mittwoch weitere Maßnahmen in Kraft treten, also Restaurants nur noch begrenzt öffnen dürfen und Begegnungen auf öffentlichen Plätzen reduziert werden sollen, muss das kontrolliert werden. Dies ist Sache der Kommunen, bei Verstößen drohen Geldstrafen. Für Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) ist es in der krisenhaften Situation, in der sich das Land befinde, aber "undenkbar, nun Menschen zur flächendeckenden Überwachung einzusetzen und neben Spielplätze zu stellen".

Deshalb rufen die Bürgermeister und der Landrat die Bevölkerung zur Rücksichtnahme auf und bitten alle, die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus unbedingt einzuhalten. Eine zentrale Rolle spiele das Verhalten der Menschen: Jeder Einzelne könne sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich ganz wesentlich dazu beitragen, dass sich die Zahl der Neuinfektionen verlangsame. Jeder sei aufgerufen, "sich ernsthaft und intensiv zu fragen, wie wir mit unserem ganz persönlichen Verhalten unsere Mitmenschen schützen können".

Einzelhändler solllen Emfpfehlungen und Regelungen achten

Er sei sich bewusst, so Landrat Göbel, dass dies für die meisten teils auch größere Einschränkungen des gewohnten Alltags mit sich bringe. Das aber sei "ein vergleichsweise kleiner Preis, den wir guten Gewissens zahlen können, wenn wir damit gleichzeitig den Schutz unserer älteren und vorerkrankten Mitmenschen sicherstellen können".

Das Landratsamt appelliert auch an Einzelhändler, deren Läden zur Versorgung der Bevölkerung geöffnet bleiben dürfen, auf die Einhaltung der Empfehlungen und Regelungen zu achten. So sei ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Kunden einzuhalten, im Wartebereich dürften sich nicht mehr als zehn Personen gleichzeitig aufhalten.

Gesundheitsamtsleiter Gerhard Schmid betont, dass alle Maßnahmen dazu dienten, die Erkrankungskurve flach zu halten und so die Ausbreitung zu verlangsamen. "Ich verstehe sehr gut, dass die Menschen momentan verunsichert sind", so Schmid. Dennoch könne ein Test nur dann erfolgen, wenn dies aus Sicht eines Arztes eindeutig angezeigt sei. Die Anfragen aus der Bevölkerung nach Virenabstrichen hätten wegen der dezentralen Testzentren deutlich zugenommen. Grundsätzlich gelte: Im Verdachtsfall ist zunächst telefonisch der Hausarzt oder der kassenärztliche Bereitschaftsdienst unter der 116 117 zu kontaktieren. Wer sich krank fühlt, sollte in jedem Fall zu Hause bleiben.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2020/hilb
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