Cold Calls:Private Stromanbieter bedrängen Kunden

Stromzähler

Kunden sollten keinesfalls ihre Zählerdaten herausgeben. Sonst kann es sein, dass man, ohne es zu wollen, den Stromanbieter wechselt.

(Foto: Arno Burgi/dpa)
  • Der Strommarkt im Großraum München ist hart umkämpft.
  • Private Anbieter setzen in diesen Wochen vermehrt Callcenter ein, um Kunden abzuwerben. Sie haben besonders ältere Menschen im Visier.
  • Dabei geht es nicht immer mit legalen Methoden zu.

Bernhard Lohr

Der Strommarkt in der Region ist umkämpft. Zuletzt wurde das deutlich, als die Stadtwerke München begannen, im Umland mit großflächigen Plakaten um Kunden zu werben. Kleine Gemeindewerke wie die Gemeindewerke Haar waren davon nicht gerade begeistert. Doch was in diesen Wochen einige private Stromanbieter - nicht die Münchner Stadtwerke - machen, geht weit über Plakatwerbung hinaus.

Die SZ sprach mit dem Vertriebsleiter der Gemeindewerke in Haar, Rainer Mendel.

SZ: Herr Mendel. Sie haben einen konkreten Fall von einer Kundin, die verärgert ist, weil sie am Telefon den Stromanbieter gewechselt hat, obwohl sie das gar nicht wollte. Was ist da passiert?

Rainer Mendel: Es ist kein Einzelfall. Das ging folgendermaßen vonstatten: Stromanbieter schalten Callcenter ein und kontaktieren gerade in diesen Wochen bestimmte, vorzugsweise ältere Kunden.

Wieso gerade jetzt, und wieso ältere Kunden?

Mitte und Ende des Jahres kommen die Preisänderungen und dann haben Sie ein Sonderkündigungsrecht. Mancher Anbieter wirbt dann am Telefon damit, man könne sich bei einem Wechsel 600 Euro sparen, was oft jeglicher Grundlage entbehrt. Da werden Tarife falsch miteinander verglichen. Da wird bei älteren Menschen durchgerufen, weil man glaubt, leichtere Opfer zu finden. Da glühen die Drähte. Wo sie die Adressen herhaben und woher sie wissen, dass es sich um ältere Kunden handelt, ist mir nicht ganz klar.

Und was passiert dann?

Der neueste Trend ist, dass durch geschickte Fragetechniken versucht wird, an Zählerdaten zu kommen. Das reicht in der heutigen Zeit schon.

Wozu? Damit kann man doch noch nichts anfangen.

Doch. Das reicht. Name und Adresse sind ohnehin bekannt. Dann geht das weiter. Der Kunde weiß gar nicht , dass er schon einen neuen Vertrag hat. Der Energieversorger meldet sich dann mit diesen Daten bei uns als Netzbetreiber in Haar und teilt mit, dass der Kunde schnellstmöglich von ihm mit Strom beliefert werden soll. Das muss dann von uns auch akzeptiert werden.

Sie als Gemeindewerke sind da in einer Doppelfunktion mit im Spiel: Einmal handelt es sich womöglich um einen Kunden von Ihnen, der wechselt. Sie sind in Haar aber auch Netzbetreiber und regeln die Stromlieferung. In letzterer Funktion werden Sie informiert, dass ein Kunde einen neuen Versorger gewählt hat.

Genau. Und weil alles heutzutage in der digitalen Welt stattfindet, wird das in genau festgelegten Schritten am PC vollzogen und bestätigt. Der Netzbetreiber muss jeden Vertrieb gleich behandeln. Dem ist es ja egal, wer wen beliefert. Wir als Netzbetreiber melden den Kunden frei für einen anderen Versorger. Und dann gibt es, wenn es unser Stromkunde war, eine Meldung an unseren Vertrieb. Wir müssen dann die Jahresendabrechnung feststellen und Zählerstände ermitteln.

Und die Kunden erfahren durch einen Brief, dass sie den Stromlieferanten gewechselt haben, ohne es zu wollen.

Sie erhalten zwei Briefe, einen von uns, in dem wir mitteilen, dass wir den Zählerstand ermitteln wollen, weil sie einen neuen Lieferanten haben; und einen zweiten Brief von dem neuen Anbieter. Wer sich dann ärgert, ist dann eh meist zu spät dran. Weil der Kunde innerhalb von zwei Wochen widerrufen müsste, was kompliziert ist und gerade ältere Personen oft überfordert. Die stecken dann in einem Lieferverhältnis, das sie gar nicht wollten. Das geschieht wirklich nur auf Grundlage der Herausgabe von Zählerdaten.

Seit wann ist das möglich? Gab es da eine Änderung im Verfahren?

Das ist das vorgeschriebene Prozedere. Wenn ein Lieferant jemanden anmeldet, geht man davon aus, dass ein Vertragsverhältnis vorliegt. Man hat sich auf dem Strommarkt darauf verständigt, das über die digitalisierte Welt abzuwickeln. Der Aufwand wäre ansonsten auch Wahnsinn.

Die Methoden sprechen für einen sehr harten Konkurrenzkampf auf dem Strommarkt.

Ja, mittlerweile wird mit sehr großen Handschuhen geboxt. Der Kampf um jeden Kunden ist extrem. Seit zwei, drei Wochen läuft das wieder verstärkt, dass Profi-Callcenter den Markt in Haar abklappern und Leute anrufen.

Was empfehlen Sie den Kunden?

Die Empfehlung ist ganz klar, dass man keine Daten raus gibt.

Außer man will natürlich den Stromanbieter wirklich wechseln. Aber bringen die mit Callcentern agierenden Stromanbieter mit ihren aggressiven Methoden das Modell des am Ort verwurzelten Versorgers nicht sogar insgesamt in Gefahr?

Gefährden wäre zu scharf ausgedrückt. Aber es beeinträchtigt das Ganze schon. Der Kunde ist ja für uns erst einmal weg. Es kostet Zeit und Geld, bis wir den Kunden zurückgeholt haben, und den Ärger habe ich auch noch. Jahr für Jahr gehen auf diese Weise auch Kunden verloren, die an anderer Stelle mühsam gewonnen werden müssen. Und das auf eine Art und Weise, die nicht rechtens ist.

Nicht rechtens, weil ein Versorger Kunden am Telefon aktiv nicht anwerben darf.

So wie die Callcenter das machen, dürfen sie das nicht. Würde der Angerufene fragen, woher sie die Telefonnummer haben, würden sie erleben, dass sehr schnell aufgelegt wird.

Welche Stromanbieter agieren überhaupt auf solch aggressive Weise?

Zwei davon sind in München ansässig; es sind nicht die Stadtwerke, um Gottes Willen. Einer hat erst in diesem Jahr angefangen. Der andere ist bekannt für seine Methoden. Wir haben versucht, das Vorgehen durch eine Unterlassungsklage zu unterbinden. Aber das ist schwierig, weil betroffene Kunden eidesstattliche Erklärungen abgeben müssten, und das wollen gerade ältere Personen nicht. So wird man schnell juristisch in die Defensive gedrängt. Das ist Mache. Wir haben die Bundesnetzagentur angeschrieben. Und wir sind im Gespräch mit dem Verband der Kommunalunternehmen, um gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Das Problem hat jeder. Die regionalen Unternehmen würden nicht so rücksichtslos vorgehen, weil sie am Ort greifbar sind und für seriöses Arbeiten stehen. Sie würden sich selbst den Markt kaputt machen.

Cold Calls

Die Bundesnetzagentur warnt vor unerlaubter Telefonwerbung. Sie weist darauf hin, dass Verbraucher ausdrücklich eingewilligt haben müssen, bevor sie einen Werbeanruf erhalten. Die Einholung der Einwilligung zu Beginn des Telefonats ist unzulässig. So ist es im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt. Sonst handelt es sich um einen unerlaubten Werbeanruf, einen sogenannten Cold Call, den die Bundesnetzagentur nach dem UWG und dem Ordnungswidrigkeitengesetz verfolgen kann. Mit Inkrafttreten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken am 9. Oktober 2013 wurden die gesetzlichen Regelungen verschärft. Auch die Rufnummernunterdrückung bei Werbeanrufen ist verboten. Verstöße können bei der Bundesnetzagentur gemeldet werden. belo

Cold Calls: Rainer Mendel warnt Kunden davor, leichtfertig am Telefon Daten herauszugeben.

Rainer Mendel warnt Kunden davor, leichtfertig am Telefon Daten herauszugeben.

(Foto: Claus Schunk)
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