Süddeutsche Zeitung

Christkindlmärkte:Hoffen auf einen kalten Frühling

Nach der Absage aller Christkindlmärkte sitzen Budenbetreiber und Lieferanten auf tonnenweise Glühwein, Lebkuchen und gebrannten Mandeln. Wohin mit der verderblichen Ware? Einige spenden, andere disponieren um.

Von Iris Hilberth und Bernhard Lohr, Landkreis München

Es ist ein grauer Novembermorgen und nur wenige Tage bis zum ersten Advent. Im Landkreis sollten dann eigentlich wie überall in Bayern viele Christkindlmärkte öffnen. Helga Seybold schiebt die riesige Tür zum Lager auf. Man sieht schon von außen: Die Regale sind bis unter die Decke voll. Hier stapelt sich, was in der Adventszeit den Leuten die Tage bis Weihnachten versüßen sollte: 30 Tonnen Mandeln, 30 000 Liter Glühwein, 15 000 Riesen-Schokoküsse in 24 Geschmacksorten und kistenweise Lebkuchen. Die Schokoladenmanufaktur Fesey im Hohenbrunner Ortsteil Riemerling hat all die Leckereien geordert, um sie an die Budenbetreiber der Weihnachtsmärkte weiterzuverkaufen. Doch die sind nun wegen Corona abgesagt und Fesey bleibt wie alle, die lange auf 3G oder 2G bei Punsch und Bratwurst an frischer Luft gesetzt hatten, auf der verderblichen Ware sitzen.

Fesey ist ein Familienbetrieb. Die Herstellung von Hohlkörperfiguren aus Schokolade hat eine lange Tradition, inzwischen ist die dritte Generation in das Geschäft mit den Nikolausen und Osterhasen eingestiegen. Allerdings betreiben die Seybolds neben der eigenen Produktion auch einen Großhandel für den Verkauf von Süßwaren auf Märkten. 55 Mitarbeiter sind bei ihnen beschäftigt.

An diesem Vormittag versuchen diese noch das Beste aus der Situation zu machen. Juniorchef Maximilian Seybold hat Werbung in den sozialen Netzwerken gemacht: Es gibt jetzt jeden Tage einen Fabrikverkauf mit Sonderpreisen. Immerhin fährt ab und zu ein Auto vor, der Kofferraum wird mit Schokoküssen vollgeladen. Mal nimmt auch jemand gleich sechs Zehn-Liter-Kanister mit Glühwein mit. Die Lager leert das kaum, den Verlust gleicht es nicht annähernd aus. Helga Seybold seufzt. Es sei sehr mühsam gewesen, wegen der pandemiebedingt gestörten Lieferketten die Ware überhaupt rechtzeitig zu beschaffen, für München, für Bayern und für Wien. Und jetzt die kurzfristigen Absagen.

Manchmal fährt einer vor und lädt den Kofferraum voll mit Schokoküssen

CSU-Gemeinderätin Helga Seybold wirft der Politik vor allem vor, dass sie so spät entschieden habe. Zu einem Zeitpunkt, an dem mancherorts die Buden schon aufgebaut waren und die Ware kurz vor der Auslieferung stand. Anders als im vergangenen Winter, als sehr viel früher feststand, dass es keine Christkindlmärkte geben wird. Dass die kleinen Händler die Bestellungen nun storniert haben, sei denen nicht vorzuwerfen. "Wo sollen die denn hin mit zwei Tonnen Mandeln?", sagt sie. Auch die Riesenküsse kann man nicht ewig lagern. Sie sind noch bis Anfang Januar haltbar. Und dann? Helga Seybold zuckt mit den Schultern. Natürlich habe Fesey schon einige Kisten an die Tafeln gespendet, "aber alles verschenken können wir auch nicht, wir brauchen das Geld".

Schausteller können zwar staatliche Hilfen beantragen, ihre Stimmung hellt das aber auch nicht auf. Der Unterschleißheimer Kurt Geier Senior ist eine feste Größe auf dem Münchner Christkindlmarkt. Geiers Mandelküche kennt man. Seit Jahrzehnten steht sein Stand in der Kaufinger Straße. Auch dieses Jahr war alles vorbereitet, der Stand sei aufgebaut, geputzt und hergerichtet gewesen, sagt sein Sohn, Kurt Geier Junior, und klingt verzweifelt. Soeben hat er die Bude mit dem Laster wieder ins Lager nach Neustadt an der Donau gebracht. Viel Arbeit, alles umsonst. "Wenn das so weitergeht, sehe ich für alle Schausteller schwarz", sagt er.

Im Unterhachinger Ortszentrum ragt an diesem ersten Adventwochenende ein einsamer Christbaum in den schneeverhangenen Himmel. Hier sollten jetzt eigentlich die Buden mit den warmen Getränken, den gestrickten Socken, den Lebkuchenherzen und den Bratwurstsemmeln stehen. Vorsichtshalber hatte der Gewerbeverband die Veranstaltung schon an die Hachinga Halle verlegt, um größere Abstände zu gewährleisten. Aber auch diese Pläne machten die hohen Corona-Fallzahlen zunichte. "Wir haben zum Glück früh genug abgesagt, sodass sich unsere Budenbetreiber, darunter viele Vereine, darauf einstellen konnten", sagt Vorsitzende Susanne Röder.

Tatsächlich hat etwa die Metzgerei Bauch mit Blick auf die aktuelle Infektionslage alle Planungen und Bestellungen recht frühzeitig gestoppt. "Ich hatte zwar gehofft, mit der Entscheidung falsch zu liegen, aber die Zahlen kamen exakt so, wie von den führenden Virologen wie Christian Drosten prognostiziert", sagt Mitarbeiter Korbinian Rausch. Das einzig Positive an der Situation sei, dass die Metzgerei nun keine unnötigen Lagerbestände habe und die Verschwendung von Lebensmitteln abwenden konnte.

Fünf Wochen an der Nähmaschine - alles umsonst

Viel gebacken und eingekocht hat hingegen das Team der Agenda 21. Weihnachtsplätzchen und Quittengelee sollten ebenso verkauft werden wie Geschenkpäckchen aus Fairtrade-Produkten. Jetzt veranstalten die Agenda-Leute am Samstag, 11. Dezember, einen Adventstag im "Treffpunkt" am Hofmarktweg und hoffen, dass einiges über den Ladentisch geht. Glühwein hingegen dürfte noch etwas länger haltbar sein als Weihnachtsplätzchen, daher plant der Gewerbeverband einen frühen Frühjahrsmarkt, bei dem man noch Lust auf ein heißes Getränk haben könnte. Auch Stefan Braun vom gleichnamigen Edeka-Markt versucht zu helfen und bietet sofort einzelnen Budenbetreibern seinen Parkplatz an.

In Baierbrunn will die Gemeinde den Vereinen mit zwei Hütten auf dem Wochenmarkt unter die Arme greifen. Die sollen in den kommenden Wochen abwechselnd zur Verfügung gestellt werden, um Glühwein oder Crêpes, aber auch Strickwaren oder Marmelade anzubieten. "Auf Bitten der Vereine hatten wir unseren Christkindlmarkt noch so rechtzeitig abgesagt, dass keine Großeinkäufe stattgefunden haben", sagt Bürgermeister Patrick Ott. Außerdem will er selbst als Nikolaus ein "Drive-through" mit kleinen Präsenten für Kinder am 6. Dezember vor dem Rathaus organisieren.

Nicht nur Lebensmittel gelten an Weihnachten als leicht verderbliche Ware. Petra Obermeier hat fünf Wochen lang an der Nähmaschine gesessen und Weihnachtsdekoration produziert, in der Hoffnung, all die liebevoll gestalteten Sterne, Hirsche und Wichtel auf dem Christkindlmarkt in Grasbrunn zu verkaufen. "Klar kann ich versuchen, die Dinge online anzubieten", sagt sie, "aber das Geschäft lebt davon, dass man mit den Kunden ins Gespräch kommt und die die Sachen auch in die Hand nehmen können." Jetzt hat sie alles in große Kisten gepackt, in der Hoffnung, dass im kommenden Jahr die Farben und Motive noch im Trend liegen.

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