Trump, Krieg, Klimakrise, Rechtsruck, innere Sicherheit. Als die Gäste aufzählen, welche Themen sie beschäftigen, ist man mitten im Thema. Sieben Diskutantinnen und Diskutanten haben sich zum Kamingespräch im großen Saal des Jugendkulturhauses Gleis 1 in Unterschleißheim zusammengefunden. Neben Klara, Neela, Katrina und Leon vom Jugendparlament der Stadt sitzen Julius Larasser, Student der Sozialen Arbeit und ehemaliger Praktikant im Gleis 1, Jan Kämmerer, Vorsitzender der Jungen Union München-Land, sowie der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude von der SPD um das virtuelle Feuer auf einem Flachbildschirm.
„Niemand wählbar?!“ lautet der Titel der Veranstaltung, der das Dilemma der Jugend zum Ausdruck bringen soll. Die Jugend fühle sich von der Politik vernachlässigt und vernachlässige ihrerseits die Politik, lautet die Prämisse dieses Abends. Auch wenn diese angesichts der hochpolitisierten Zeiten ein wenig anachronistisch wirken mag, stellt sich die Frage: Warum ist das Programm der etablierten Parteien für Jugendliche so unattraktiv? Am Ende wird feststehen, dass die Distanz zur Politik nicht nur ein Thema der Jugend ist. In allen Generationen ist eine Skepsis gegenüber der Classe Politique zu verzeichnen.
Dass es kein Wunderheilmittel gegen die gegenwärtige Politikverdrossenheit gibt, darin sind sich die Rednerinnen und Redner schnell einig. Und auch über die Ursachen herrscht weitgehend Konsens: Neben unzureichender politischer Bildung, dem postmodernen Informationsüberfluss und fehlendem politischen Engagement von Seiten der Bürgerinnen und Bürger sind es demnach nicht zuletzt die sozialen Medien, die zunehmend zur Herausforderung für die Demokratie werden.
Der langjährige Oberbürgermeister Christian Ude erinnert an die Naivität, mit welcher die Gesellschaft den neuen Informationstechnologien begegnet ist. Grenzenlose Freiheit und eine neue Art des Miteinanders schienen die neuen Kommunikationsformen zu versprechen, weil sie das Produzent-Rezipient-Verhältnis grundlegend erneuerten. Von diesem Enthusiasmus der Anfangsjahre ist wenig übriggeblieben, wie Ude konstatiert. So müssten im gleichen Atemzug wie die neuen Medien auch Phänomene wie Hasskommentare, Echokammern und Tech-Milliardäre, die eine differenzierte gesellschaftliche Auseinandersetzung ihrem grenzenlosen Profitstreben unterwerfen, genannt werden.

Wenn der Diskurs der neuen Unmündigkeit sowie die Seitenhiebe gegen die Generation Tiktok ein wenig übertrieben sein mögen, trifft Christian Ude mit seiner Einschätzung, dass die Abschaffung des Faktenchecks eine der besorgniserregendsten Entwicklungen der jüngsten Zeit darstelle, den Kern einer Sache.
Auch die Vertreter des Jugendbeirats sehen sich mit der Informationsflut des Internets überfordert und wünschen sich, in der Schule mehr Medienkompetenz vermittelt zu bekommen. Um Information in Wissen umwandeln zu können, müssten Inhalte strukturiert und analysiert werden können. Begriffe wie die Filterbubble oder Echokammer begegnen den Jugendlichen nach eigenen Angaben erst in der elften Klasse, im Internet bewegen sie sich schon viel früher. Um die Kinder auf die Parameter der neuen Medienwelt aufmerksam zu machen, müsse die Schule schon viel früher mit der Aufklärung beginnen.
JU-Vertreter Kämmerer sieht vor allem die Eltern in der Pflicht
Jan Kämmerer bezweifelt, dass die Schule neben den zahlreichen anderen Aufgaben auch diese übernehmen kann. Für ihn soll sich die Schule auf die Kernkompetenz der theoretischen Fachvermittlung fokussieren. Medienkompetenz sollen die Jugendlichen seiner Meinung nach im elterlichen Haushalt lernen oder sich in Eigenverantwortungen erarbeiten. Um die gefühlte Distanz zur Parteipolitik zu überwinden, empfiehlt er ein größeres politisches Engagement beispielsweise in einer Parteijugend. Nur so könne man erfahren, was Politik eigentlich bedeutet und wie das Ganze funktioniert.
Sind die Elternhäuser tatsächlich in der Lage, ihren Kindern Medienkompetenz zu vermitteln, fragt dagegen Julius Larasser. Auch die Rolle der Schule als Vermittler theoretischer Kompetenzen findet dieser zu eng gefasst. So glaubt der angehende Sozialarbeiter, dass die Schule den Kindern zuallererst ein Selbstwissen vermitteln soll, damit diese wissen, wer sie sind und was sie können. Eine rein leistungsorientierte Ausrichtung sei dabei fehl am Platz.
Und so kommt das Kamingespräch über Jugendliche und Politik bei der grundsätzlichen Frage an, ob das deutsche Bildungssystem überhaupt noch angemessen ist. Dabei spielt das Thema Bildung im aktuellen Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle. Jan Kämmerer erklärt das damit, dass Bildung eine Sache der Länder ist. Moderatorin Jutta Kroeninger-Sennica weist darauf hin, dass auch auf Bundesebene über eine Verbesserung, eventuell sogar Vereinheitlichung der 16 deutschen Bildungssysteme nachgedacht werden kann. Als Lehrerin an der Therese-Giehse Realschule in Unterschließheim hätte sie zum Thema wahrscheinlich einiges zu erzählen. Stattdessen begnügt sie sich mit der Erklärung, dass sich andere Themen wie Krieg und Rechtsrutsch vor Themen wie Bildung und Klimakrise geschoben haben. Dass die anderen Themen dabei nicht einfach vom Tisch sind, ist offensichtlich.
Und so wäre der größte Erkenntnisgewinn des Abends, dass wir alle im selben Boot sitzen. Während es durchaus zutrifft, dass der Wahlkampf der meisten Parteien hauptsächlich auf die älteren Generationen zugeschnitten ist, findet die Entfremdung von der politischen Klasse in allen Altersgruppens statt, wie Christian Ude betont. Dass nun plötzlich eine politische Kraft kommen wird, die das ganze politische Spektrum begeistern und das Land vereinen wird, hält Christian Ude für illusorisch. Deshalb sei im Kampf gegen Rechtsextremismus und Demokratieverdrossenheit die Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte gefordert. Denn egal wie die kommende Bundestagswahl ausgehe, ob die Demokratie am Ende gewonnen hat, werde sich erst 2029 herausstellen.