Chor: Voices in Time:Ein Crescendo zum Fortissimo

Es wird gesummt, gezischt, ge-"schuwabwabt": Der Münchner Rock- und Jazzchor "Voices in Time" begeistert das heimische und internationale Publikum. Dahinter steckt ein hartes Stück Arbeit.

Felicitas Kock

Es summt im Musikraum des Münchner Erasmus-Grasser-Gymnasiums. Das Summen kommt "wie aus dem Nichts" und ist damit genau richtig für Stefan Kalmer, der am Flügel steht und mit energischen Armbewegungen die Luft in Viertel und Achtel teilt. Das Summen schwillt an, zu dem hohen Ton gesellt sich ein tiefer, dann werden Worte daraus: "I could be your father figure" schallt es jetzt in ohrenbetäubender Lautstärke.

Voices in Time

Wer einen der heiß begehrten Plätze im Chor ergattert hat kann sich freuen - die Wartelisten sind lang, die Aufnahmebedingungen hart.

Was da summt und schallt ist die Truppe von Voices in Time, einem Münchner Rock- und Jazzchor, der auf den Bühnen lokaler Jazzclubs genauso zu Hause ist wie auf Chorfestivals in Kuba und Südkorea. Voices in Time hat in den vergangenen Jahren bayerische, deutsche und internationale Chorwettbewerbe gewonnen, der jüngste Erfolg war die Auszeichnung mit dem Bayerischen Kunstförderpreis im Jahr 2008.

Die Sänger von Voices in Time machen nicht das, was man sich landläufig unter Chormusik vorstellt - sie singen Jazz-, Rock- und Popstücke und ersetzen mit ihren Stimmen die Instrumente, die sie nicht haben. Es wird gesummt, gezischt, ge-"schuwabwabt" und am Ende hört sich alles so fulminant an, dass man gar nicht glauben mag, dass hier nur 24 Menschen zusammen singen.

"In so eine Gruppe hineinzukommen ist nicht leicht", erklärt Andrea Galler, die seit drei Jahren im Chor singt. Nur wenn ein Mitglied den Chor verlässt, wird ein neues aufgenommen. Für jede Stimme - Sopran und Alt bei den Frauen, Tenor und Bass bei den Männern - gibt es sechs Sänger. Weil die Plätze so begehrt sind, ist die Fluktuation gering.

Auch die Aufnahmebedingungen sind hart: "Ich wähle die Sänger nach ihren stimmlichen und klanglichen Möglichkeiten aus" sagt Chorleiter Kalmer "schließlich ist unser Programm sehr abwechslungsreich, da müssen die Sänger ein breites Spektrum ausfüllen können".

Stefan Kalmer hat Voices in Time 1996 gegründet. Wenn nicht gerade Sommerpause ist, wird alle zwei Wochen geprobt. Was einen guten Chor ausmacht? "Dass er einen vielseitigen Sound bietet und die einzelnen Sänger gut zusammenwirken", erklärt Kalmer "manchmal müssen aber auch einzelne Stimmen heraustreten, das hebt den Unterhaltungsfaktor. Es muss grooven, das ist entscheidend".

Im Musikraum des Gymnasiums an der Fürstenrieder Straße rascheln indessen die Notenblätter. Gleich zwei neue Sopranistinnen sind anwesend. Sie haben noch Schwierigkeiten an einigen Stellen, die von Kalmer nachträglich geändert wurden. Auf die Lieder vorbereitet haben sich die neuen Sängerinnen, genau wie alle anderen, zu Hause. Es werden sogenannte "Midi-Files" verschickt. Bei diesen Dateien kann jeder seine eigene Stimme lauter stellen und allein zuhause üben.

Zur Probe kommen alle fertig eingesungen, manchmal sucht sich jemand noch ein Plätzchen auf dem Schulgang und wärmt die Stimme auf. Bei Auftritten singt der Chor aus dem Gedächtnis - Notenblätter würden bei der zu den meisten Stücken einstudierten Choreographie stören und wirken unprofessionell.

"Der Fokus liegt bei uns ganz klar auf dem Leistungsaspekt", sagt Andrea Galler. Zwar ist kein wirklicher Profimusiker unter den Sängern, also niemand, der sein Einkommen mit der Musik bestreitet. Dennoch nehmen alle das Singen ernst und arbeiten professionell.

Kalmer leitet die Gruppe mit der nötigen Strenge, aber auch mit einer großen Portion Humor. "Wenn ich das nächste Mal ein unwichtiges Detail ansage, beispielsweise dass ich hier versuche einen Chor zu leiten, dann hör du einfach weg und bleib zuhause", sagt er augenzwinkernd zu einem unaufmerksamen Tenor, als dieser seinen Soloeinsatz verpasst. Ansonsten gibt es meist Ansagen, die der Laie zwar vom Namen her kennt, die er aber stimmlich kaum umsetzen könnte: "Jetzt fangen wir mit einem Mezzoforte an und machen ein Crescendo zum Fortissimo", sagt Kalmer, und zählt den nächsten Einsatz ein.

Das Menschliche kommt vor allem in der Probe zum tragen, wenn man sieht wie unterschiedlich die Sänger ihren Stimmen Ausdruck verleihen. Während die einen ruhig dasitzen, fuchteln andere mit den Händen durch die Luft oder tappen im Takt mit dem Fuß auf den Boden. So ist Voices in Time ein lebendiger Chor, bei dem die Individualität der Sänger nicht unterdrückt wird - und das ist es gerade, was das Zuhören zum Vergnügen macht.

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