Die Musik? Die Klänge, die im Dunstkreis von Bergfried, Wohntürmen, Satteldächern und Torhaus widerhallen? Ja klar, der Auftritt der musikalischen Protagonisten ist zweifellos das Herzstück bei der „Grünwalder Sommernacht“ – und die Kombination aus Pasión, Corazon und Melancholie, die heuer die „Los Pitutos“ entfalten, wird an diesem Abend zu erstaunlichen Szenen führen.
Was die Open-Air-Veranstaltung im Hof der Burg Grünwald am Isarhochufer aber fast ebenso charakterisiert, ist das Ambiente vor dem Konzert und in der Pause: die Gelegenheit, das historische Flair der Anlage zu genießen, bei einem Glas Prosecco oder Orangensaft, die beim Einlass kredenzt werden, zu parlieren. Speziell im hinteren Hofbereich, unter Kastanien an weiß gedeckten Stehtischen, dort, wo der „Kleine Turm“ an der Westseite mit seinen Zinnen lockt.
Entspannt, kultiviert oder – wenn es mehr als ein Gläschen wird – auch mal angeschickert. „Du, ich hab’ schon einen sitzen“, teilt eine Frau ihrer Begleiterin mit. Ein älterer Herr verweist seine Begleiter auf den Anteil der Burg als Inspirationsquelle für Karl Valentins „Die alten Rittersleut“ und rezitiert: „Musst’ ein Ritter einmal bieseln, ließ er’s in die Rüstung rieseln. Hatt’ er das Visier net offen, ist der arme Kerl ersoffen.“
Wettertechnisch bleibt dieser Abend trocken und er führt nicht nur deswegen zu heißen Szenen im Burghof. Den „Los Pitutos“, der fünfköpfigen, 2015 in Berlin gegründeten Band mit Musikern aus Chile und Kolumbien, gelang Ungewöhnliches: Mit ihrem energiegeladenen, von lateinamerikanischer Musiktradition geprägten Sound und rhythmischer Raffinesse animierten sie das teils betagtere Publikum immer wieder zum Aufstehen, zum Mitwippen und sogar zum Tanzen.
Selbst der nicht gerade zu extrovertiertem Habitus neigende Chef der Archäologischen Staatssammlung, Rupert Gebhard, der hier quasi der Burgherr ist, ließ Eleganz und Rhythmustalent erkennen, als die Salsa-artigen Cumbias im Laufe des Abends die musikalische Hegemonie übernahmen. Grünwalds Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU), der vorn in seiner Nachbarschaft platziert war, agierte nicht ganz so bewegungsfreudig, auf dem Sitz hielt es ihn aber auch nicht.
„La Bajanga“ (die Party), welche E-Bassist Tomás Peralta versprochen hatte, wurde also verwirklicht. Und das war natürlich vornehmlich der Show der fünf charismatischen und virtuosen Multi-Instrumentalisten geschuldet, wobei Álvaro Zambrano, der als Tenor an der Oper Leipzig engagiert ist, und Matias Piñeira, der als Solo-Hornist bei den Münchner Philharmonikern aktiv ist, die sängerische Parts übernahmen.
In den Liedern, vornehmlich Eigenkompositionen, ist viel von Liebe, Leidenschaft (Pasión) und Herz (Corazon) die Rede. Unterstützt von aufwendigen Lichteffekten entfaltete das Quintett zwar auch langsamere Klangromantik – da durfte Tenor Zambrano mal kräftig schmettern – aber die von treibender und kontrastiver lateinamerikanischer Rhythmik bestimmten Gigs zeitigten die größere Wirkung.
Ein entscheidender Mann dabei: Schlagzeuger Cristian Betancourt mit seinen perkussiven Fähigkeiten. Das tanzende Publikum zeigte sich jedenfalls bis zum Ende angetan und das lag sicher nicht nur am Prosecco. Aber gut: Wenn man einen sitzen hat, steht man vielleicht auch mal schneller auf.