Vielleicht dürfen die Großcousine und der Patenonkel diesmal nicht mit unter dem Weihnachtsbaum sitzen, weil man sonst die Obergrenze für die Teilnehmerzahl reißt. Oder weil sie zur Risikogruppe gehören. Möglicherweise kann die Familie auch keine oder zu wenige der abgezählten Plätze in der Kirche reservieren. Und singen darf man sowieso nicht. Weihnachten wird dieses Jahr anders, davon sind laut einer Studie der Bundeswehr-Universität in Neubiberg 43 Prozent der Befragten überzeugt. Aber die sagen auch: "Es wird trotzdem schön." Mehr als zwei Drittel planen jedenfalls, "das Beste daraus zu machen". An die Corona-Beschränkungen aber wollen sich nicht alle halten. 42 Prozent würden sich gegebenenfalls über geltende Regeln hinwegsetzen und denken jetzt schon über die Missachtung nach. Obwohl drei Viertel der Befragten die Regeln eigentlich befürworten.
Philipp Rauschnabel, Professor für digitales Marketing und Medieninnovation, sowie dessen Mitarbeiterin Katrin Schein haben Anfang Dezember für ihre diesjährige Weihnachtsstudie 1139 Personen online befragt. Das Paradox, auf das sie dabei stießen, bezeichnen die beiden Wissenschaftler als besorgniserregend. Insbesondere Menschen, die die Regeln für übertrieben hielten, setzten sich über eben diese hinweg. Aber auch diejenigen, die sich sicher seien, dass schon nichts passieren werde.
Nach Ansicht Rauschnabels neigen Menschen dazu, ihre Bewertung der Situation zu überschätzen. "Überdurchschnittlich viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass sie eine Situation wie diese im Gegensatz zu anderen Menschen überdurchschnittlich gut einschätzen können - weshalb sie Verbote für andere Menschen gutheißen, sich selbst aber darüber hinwegsetzen", sagt er. Zum anderen sei es sehr wahrscheinlich, dass mehr Menschen die Regeln missachten, wenn sie bemerken, dass andere Menschen das auch machen. Insbesondere Jüngere im Alter bis 39 Jahre geben an, möglicherweise Regeln zu brechen.
Die Politiker haben in den vergangenen Wochen viele Entscheidungen dahingehend getroffen, dass in den Familie ein möglichst normales Weihnachtsfest stattfinden kann. Aber wollen die Menschen das überhaupt? Zumindest unter den Befragten der Studie ist ein nicht unerheblicher Teil ganz froh, solchen Familientreffen zu entkommen. 29 Prozent gibt offen zu, dass Corona eine "gute Ausrede für unliebsame Verpflichtungen" sei. Dazu zählten Feiern, auf die man keine Lust habe.
Familienfeste wie in vergangenen Jahren vermissen jedenfalls nur 29 Prozent, die gleiche Anzahl bedauert auch die Absagen von Weihnachtsfeiern in Schule und Arbeit. Was den Leuten im Corona-Jahr wirklich das Fest vermiest, sind auch nicht etwa das Fehlen von typischen Gottesdiensten oder der ausgefallene Urlaub (jeweils 20 Prozent). Es sind die Restaurantbesuche (54 Prozent) und noch viel mehr die Weihnachtsmärkte. 72 Prozent vermissen in der staden Zeit nichts so sehr wie die Glühweinbuden, Lebkuchenstandl und Bratwurst-Grills. Das gilt für alle Altersgruppen gleichermaßen, wobei bei den Befragten unter 26 Jahren sogar 81 Prozent diese Sehnsucht quält.
Die Gottesdienste, wie sie es gewöhnt sind, vermissen vor allem Menschen über 55 Jahre, nämlich 23 Prozent. Von den Befragten war in den vergangenen Jahren etwas weniger als ein Drittel an Weihnachten in der Kirche. 19 Prozent von ihnen bevorzugen heuer wieder eine traditionelle Messe, auch ohne spezielles Hygienekonzept. Die überwiegende Mehrheit, nämlich 42 Prozent wäre schon dafür, die Anzahl der Personen zu begrenzen oder aufs Singen zu verzichten.
Insgesamt, so haben die Wissenschaftler festgestellt, gehen viele Menschen mit weniger großen Erwartungen in die Feiertage als sonst. Allerdings ist fast die Hälfte (44 Prozent) auch der Ansicht, das in diesem Jahr weniger Weihnachtsstimmung aufkommt. Dafür haben genauso viele weniger Vorweihnachtsstress, wohl auch, weil man weniger Verpflichtungen vor dem Fest hat. Gepaart mit Optimismus sieht Rauschnabel sieht darin gute Voraussetzungen für schöne Weihnachten: "Wenn wir Menschen zu ihren schönsten Erinnerungen an Weihnachten befragen, dann nennen sie uns meist sehr persönliche und emotionale Dinge", sagt er.
Zu den weniger schönen Dingen gehörten Stress, Streit und überzogene Erwartungen. Kaum einer erinnere sich daran, wie toll der aufwendige Braten im Vorjahr geschmeckt habe, sondern vielmehr an Streits, die durch die Hektik entstanden seien, so der Wissenschaftler. Rauschnabel empfiehlt daher für gelungene Festtage: "Versuchen Sie nicht, ein typisches Weihnachten zu imitieren - das wird nicht klappen."