Bundestagswahl:Die Wahl hat schon begonnen

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Die Kommunen haben Erfahrung: Die Stichwahl um das Amt des Landrats im vergangenes Jahr fand corona-bedingt als reine Briefwahl statt. (Foto: Claus Schunk)

In den Kommunen wird diesmal mit einem enormen Ansturm bei der Briefwahl gerechnet. Mehr als 60 Prozent der Wahlberechtigten könnten die Möglichkeit der Stimmabgabe nutzen, entsprechend rüsten sich die Städte und Gemeinden für die Auszählung.

Von Stefan Galler und Martin Mühlfenzl, Landkreis

Tracht wird er wohl keine anziehen, wie es früher Brauch war. Und auch ins Wirtshaus wird es ihn nach dem formellen Akt nicht ziehen. "Ich werde mir nach der Bundestagswahl am 26. September um 18 Uhr auf dem Sofa anschauen, was die Hochrechnungen hergeben", sagt Baierbrunns ehemaliger Bürgermeister und heutiger Gemeindearchivar Wolfgang Jirschik. Ins Wahllokal werde er am Wahltag aber auf jeden Fall gehen, so wie immer. Und die Baierbrunner werden es ihm in großer Zahl gleich tun, denn die kleine Isartal-Gemeinde ist in Sachen Wahlbeteiligung absolute Musterschülerin; nirgendwo sonst gingen in der Republik mehr Menschen 2017 zur Wahl als hier, die Wahlbeteiligung lag bei satten 84,4 Prozent.

Aber auch in Baierbrunn nimmt die Zahl der klassischen Wahllokal-Wähler ab - nicht nur, aber auch coronabedingt. Etwa die Hälfte der etwa 2000 Wahlberechtigten, so habe er es gehört, sagt Jirschik, hätten bereits per Briefwahl gewählt. Ein Trend, der im gesamten Landkreis zu beobachten ist, und auf den die Kommunen mit Blick auf den Wahlabend und vor allem auf die Auszählung reagieren.

Die Stadt Unterschleißheim als bevölkerungsreichste Kommune des Landkreises mit ihren mehr als 18 500 Wahlberechtigten etwa stockt die Zahl der Briefwahllokale um sieben auf, an insgesamt 16 Standorten werden am 26. September von 18 Uhr an die Wahlscheine aus den Kuverts geholt. Zugleich verzichtet die Stadt in diesem Jahr auf fünf klassische Wahllokale. Damit reagiere man auf den klar erkennbaren Trend hin zur Briefwahl, sagt Steven Ahlrep, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Rathaus.

Erstmals konnten die Bundesbürger bei der Bundestagswahl 1957 per Briefwahl abstimmen, 4,9 Prozent der Wahlberechtigten nutzten damals die Chance. Seitdem stieg der Anteil der Briefwähler kontinuierlich an, wenngleich die Vorauswahl nie einen Boom erlebte. 2017 stimmten 28,6 Prozent per Briefwahl ab. Dies könnte diesmal komplett anders sein: Beobachter gehen davon aus, dass der Anteil der Briefwähler auf bis zu 60 Prozent zulegen könnte.

Im Landkreis München sind nahezu 240 000 Menschen am und vor dem 26. September zur Wahl aufgerufen. Etwa 6100 davon in der Isartalgemeinde Pullach. Und auch dort werden mehr als 50 Prozent der Stimmen per Briefwahl erwartet, 3100 Unterlagen wurden dafür bereits angefordert, wie Andrea Rohde aus dem Ordnungsamt berichtet: "So viele wurden noch nie beantragt." Der Rücklauf nehme langsam, aber sicher zu, andererseits trudelten immer noch Anträge auf Briefwahl ein. "Wir haben jeden Tag gut zu tun", sagt die Gemeindemitarbeiterin.

Die Kommunen haben Erfahrung: Die Stichwahl um das Amt des Landrats im vergangenes Jahr fand corona-bedingt als reine Briefwahl statt. (Foto: Claus Schunk)

Da geht es Richard Putz, Wahlleiter in Ottobrunn, wo 14 500 Menschen aufgefordert sind, ihre Stimme abzugeben, nicht anders: "Bei der letzten Wahl wurden 4200 Briefwahlunterlagen angefordert, diesmal sind es jetzt schon 5200", erzählt er. Zuletzt sei der Trend etwas abgeflaut, "aber am Wochenende sind ja noch mal viele Leute aus dem Urlaub heimgekommen", so Putz, der auch einem weiteren Ansturm gelassen entgegensieht: "Wir haben wegen Corona vorsorglich 10 000 Unterlagen bestellt, die Situation ist für uns natürlich ziemlich neu." Noch sei der Rücklauf eher mau, sagt Putz: "Vermutlich sind sich viele Briefwähler immer noch nicht sicher, wen sie wählen sollen."

Da sieht es in Unterhaching anders aus, wie Rathaussprecher Simon Hötzl berichtet: "In der Post sind jeden Tag eine Vielzahl der roten Kuverts und jeder Zweite, der ins Rathaus kommt, hat ebenfalls einen Umschlag dabei." In der Gemeinde gibt es 17 000 Wahlberechtigte, bislang sind 7700 Briefwahlanträge eingegangen. "Knapp 10 000 werden wir erreichen, da bin ich sicher", sagt Hötzl, dessen Behörde wie die Kollegen in Ottobrunn ausreichend Unterlagen bestellt hat, exakt 12 000. Auch in Unterhaching hat man die Briefwahlbezirke auf neun aufgestockt, dazu kommen 16 Präsenzwahlbezirke.

Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr haben in Kirchheim etwa 4200 Menschen per Briefwahl abgestimmt, vor dieser Bundestagswahl hat die Gemeinde bereits 4300 Wahlscheine für die Briefwahl ausgestellt. Sibylle Wartlick, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit im Rathaus, teilt mit, sie gehe davon aus, dass etwa zwei Drittel der 9000 Wahlberechtigten letztlich diese Möglichkeit der Stimmabgabe nutzen werden.

Ute Dechent, Referentin von Haars Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU), berichtet aus ihrer Gemeinde von einem "gewaltigen Aufkommen" bei der Briefwahl. Stand Freitag hatten bereits etwa 4000 der 12 285 Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. "Es ist ein schönes Zeichen zu sehen, dass die Menschen wählen gehen", sagt Dechent. In Haar wird es 15 konventionelle und 14 Briefwahlbezirke geben. Die Gemeindeverwaltung geht davon aus, dass pro Bezirk zwischen 500 und 600 Stimmzettel ausgezählt werden. Das würde für eine extrem hohe Wahlbeteiligung sprechen, die 2017 mit 71,9 Prozent noch den niedrigsten Wert aller Landkreiskommunen aufwies.

(Foto: N/A)

Das erfordert viel Personal am Wahltag, doch hier sind sich alle Gemeindevertreter sicher: Ausreichend Leute haben sie alle rekrutieren können. Andrea Rohde aus Pullach sagt, der Pool an Mitarbeitern sei so groß, dass man "einzelne Ausfälle kompensieren" könne. "Wir haben 212 Wahlhelfende, damit sind wir voll besetzt", sagt Unterhachings Rathaussprecher Hötzl. Die große Zahl liege daran, dass man auch pro Schicht in jedem Wahllokal zusätzliche Beisitzer eingeplant habe, die sich nur um die Umsetzung der Hygienerichtlinien kümmerten. "Wir prüfen ständig, ob die Abstände beim Anstehen eingehalten werden, Kabinen und Kugelschreiber werden nach jedem Benutzer desinfiziert", sagt Hölzl. Das ist in Ottobrunn ähnlich, dort findet dafür eigens Anfang dieser Woche eine spezielle Schulung statt, in der die Wahlhelfer ganz detailliert mit den Coronaregeln am Wahltag vertraut gemacht werden.

Es bleibt abzuwarten, wie groß der Andrang am 26. September sein wird. Setzt sich der Trend der Briefwähler in Baierbrunn bis zum Wahltag fort, könnte dort auch die Marke von 90 Prozent bei der Wahlbeteiligung geknackt werden. Für Wolfgang Jirschik wäre das nichts Außergewöhnliches. "Die Baierbrunner waren schon immer politisch interessiert. Die Alteingesessenen genau so wie die neu hierher Gezogenen." Und was wählt er? "Das wüssten's gern, gell?"

© SZ vom 13.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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