Süddeutsche Zeitung

Theater:Heldinnen ohne Heiligenschein

Die prämierte Inszenierung des Theaterstücks "Name: Sophie Scholl" der Unterföhringer Regisseurin Anschi Prott kommt erstmals im Bürgerhaus ihrer Heimatgemeinde auf die Bühne. Es geht um innere moralische, vielleicht sogar heroische Konflikte.

Von Udo Watter, Unterföhring

Lange Zeit hat man in Deutschland nur kritisch oder ironisch von Helden gesprochen. Schließlich lebten wir hier - nicht zuletzt durch historische Erfahrung klug geworden - in einer postheroischen Gesellschaft. Das hat sich inzwischen freilich wieder geändert, der Krieg in der Ukraine hat dem Thema ein ganz neues Gewicht gegeben, aber auch vorher schon gab es einen öffentlichen Diskurs darüber, ob etwa Aktivistinnen wie Carola Rackete oder Greta Thunberg Heldinnen sind.

Sophie Scholl ist jedenfalls keine. Genauer gesagt diese Sophie Scholl, die in dem Theaterstück "Name: Sophie Scholl" in der Jetztzeit eine zentrale Rolle spielt: eine Jurastudentin, die den gleichen Namen trägt wie die berühmte Widerstandkämpferin und kurz vor dem Beginn einer großen beruflichen Karriere steht - gäbe es da nicht diese Gewissenbisse, ob sie vor Gericht nicht doch eine bestimmte Aussage machen sollte.

Die Unterföhringer Regisseurin und Theaterpädagogin Anschi Prott ist bei den Heidelberger Theatertagen 2018 für ihre Produktion "Name: Sophie Scholl" mit dem Theaterpreis "Puck" ausgezeichnet worden und das Stück wird am kommenden Donnerstag, 6. Oktober, erstmals im Bürgerhaus ihrer Heimatgemeinde gezeigt. Am Vormittag um 10.30 Uhr ist eine Vorstellung für Schülerinnen und Schüler angesetzt, die Abendaufführung beginnt um 20 Uhr.

"Ich freue mich sehr drauf", sagt Prott vor dem Heimspiel. Der Plot des Stücks, das die Autorin Rike Reiniger im Auftrag des österreichischen Kultusministeriums geschrieben hat, ist nicht ohne Finesse: In parallelen Handlungssträngen wird das Leben der historischen Sophie Scholl und einer Jurastudentin gleichen Namens im Heute miteinander verwoben. Die steht kurz vor dem Abschluss. Sie muss allerdings vor Gericht aussagen, da ihr Professor verdächtigt wird, Prüfungsunterlagen vorab an Studenten herausgegeben zu haben, um sich zu bereichern. Schweigen wäre die vermeintlich cleverste Option, um ihre künftige Laufbahn nicht zu gefährden. Aber da gibt es noch die historische Sophie Scholl - ein Name, der zur Aufrichtigkeit zwingt, oder?

Die historische Sophie Scholl war auch "keine Heilige", sagt die Regisseurin

"Soll sie riskieren, dass die Prüfungen wegen des Betrugs für ungültig erklärt werden? Der historisch gewichtige Name und die ständige Erinnerung daran stellen eine große moralische Hypothek dar - muss nicht gerade sie Rückgrat zeigen?", fragt Anschi Prott und fügt hinzu: "Der Gewissenskonflikt der heutigen Sophie ist zwar nicht ansatzweise mit dem historischen Kampf gegen die nationalsozialistischen Repressionen zu vergleichen, aber wir fanden den Ansatz spannend, den Rike Reiniger gewählt hat, um geraden jungen Leuten das Thema nahe zu bringen."

Aber war die historische Sophie Scholl überhaupt dieses moralisch integre Vorbild? "Wir haben uns die Frage gestellt: Wer war Sophie Scholl wirklich? Wann wurde sie zur Widerstandskämpferin? Warum war sie bis 1941 beim BDM, also ein Hitler-Mädel?", so Prott. In das Stück sind neue Erkenntnisse aus dem Briefwechsel von Sophie Scholl und ihrem Verlobten Fritz Hartnagel eingearbeitet worden. 60 Jahre lang lagen diese Briefe in der Schublade von Elisabeth Hartnagel, der Schwester von Sophie Scholl, und der Familie fiel die Entscheidung für die Veröffentlichung schwer. Fritz Hartnagel wollte wohl nie, dass die Briefe in die Öffentlichkeit dringen.

"Die Familie entschied sich dann doch dafür, weil sie auch der Nachwelt eröffnen wollten, dass Sophie Scholl, wie Fritz auch schon immer sagte ,keine Heilige war', sondern ein Mädchen wie jedes andere, die sich mit ihrer ersten Liebe herumplagte wie jede andere auch", erklärt Prott. "Mal lehnt sie Fritz ab, mal schreibt sie ihm über ihre große Liebe. Manchmal schämt sie sich für ihn." Eine Freundin habe über sie gesagt: "So wie du Fritz behandelst, müsste man dich an einen Baum schmeißen oder den Berg hinunter stupsen."

Die Produktion, die für Zuseher ab 14 Jahren geeignet ist, wurde bei den Heidelberger Theatertagen auch deshalb prämiert, weil sie "ein vermeintlich abgelutschtes Thema wieder lebendig macht", so die Laudatorin Mladenka Doitchinov, die zudem die Intensität der Inszenierung würdigte. Nun, das Publikum in Unterföhring darf gespannt sein und vielleicht jeder Zuseher für sich herausfinden, ob er (oder sie) die historische Sophie Scholl als geborene Heldin und Widerstandskämpferin sieht - oder einfach als eine, die nicht geschwiegen hat und deswegen zum Tode verurteilt wurde. Ihre Namensvetterin aus dem 21. Jahrhundert steht eben auch vor der Frage, vor Gericht nicht zu schweigen. Es geht um innere Konflikte und um moralisches Rückgrat. "Mir ist wichtig zu sagen, dass die beiden Frauen nicht miteinander verglichen werden können", betont Anschi Prott. "Die historische Sophie Scholl ist im Kampf gegen ein politisches Regime 1943 hingerichtet worden, und bei der Sophie Scholl im Hier und Heute geht es um den Zwiespalt zwischen einer moralischen und einer karrieretechnischen Entscheidung - die Angst vor der eigenen Courage, die wir alle kennen."

Was die Inszenierung selbst angeht: Es ist ein Solo-Stück, Darstellerin Marget Flach schlüpft in einem schauspielerischen Parforce-Ritt in zehn Rollen (neben den beiden Sophies etwa Hans Scholl und weitere Mitglieder der "Weißen Rose", aber auch ein Gauleiter). In einer ausgeklügelten Choreographie werden ständig neue Bühnenbilder aus Kisten, die mit Ordnern gefüllt sind, geschaffen: Da wird die Szenerie mal zum Gericht, mal zum Pool, mal zur Balustrade in der LMU, zur Studentenbude, zum Verhörraum.

Premiere hatte das Stück im März 2017 im Teamtheater in München. Seitdem wird es auch immer wieder in Schulen gespielt. 2021 zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl sollte es schon einmal im Bürgerhaus Unterföhring auf die Bühne kommen, die Aufführung fiel allerdings der Pandemie zum Opfer. Eine Besonderheit: Im Anschluss gibt es immer eine Diskussion, die laut Prott meistens sehr intensiv ausfällt. Heldendebatte.

"Name: Sophie Scholl" im Bürgerhaus Unterföhring, Donnerstag, 6. Oktober, Beginn 20 Uhr, weitere Informationen und Tickets gibt es unter www.buergerhaus-unterfoehring.de.

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