Schauspiel:Hypnotische Zugreise

Schauspiel: Mit eindrücklichen Bildern soll das Publikum in den Bann gezogen werden: "Europa oder die Träume des Dritten Reiches".

Mit eindrücklichen Bildern soll das Publikum in den Bann gezogen werden: "Europa oder die Träume des Dritten Reiches".

(Foto: F. Götzen)

Das Theater an der Ruhr zeigt in Pullach "Europa oder die Träume des Dritten Reiches" - ein surreales Stück, das unter anderem von zwei Lars-von-Trier-Filmen inspiriert ist.

Von Udo Watter, Pullach

Die Gegenwart zeigt es wieder aufs Schmerzlichste: Wenn uns die Geschichte der Menschheit eines lehrt, dann dass der Mensch nichts aus der Geschichte lernt. Das Theater an der Ruhr hatte den Krieg in der Ukraine nicht im Blick, als es Lars von Triers Filme "Europa" und "Epidemic" mit Charlotte Beradts Textsammlung "Das Dritte Reich des Traums" zusammenführte und zu einer großangelegten Bühnenshow über Krieg und Pest sowie die Albträume zwischen 1933 und 1945 kombinierte. Am Dienstag, 10. Mai, wird der hochaktuelle Stoff auf der Bühne des Pullacher Bürgerhauses inszeniert.

"Beide Vorlagen sind ausgesprochen interessant", sagt Hannah Stegmayer, die Leiterin des Bürgerhauses. Auf Lars von Trier basiert die Geschichte eines Schlafwagenschaffners, des jungen Deutsch-Amerikaners Leopold Kessler, der 1945 durch das surreale und verwüstete Deutschland der Nachkriegszeit fährt. Wie in einem Traum heiratet er in die Familie des Direktors seines Bahnunternehmens ein und befindet sich plötzlich mitten unter ehemaligen Nazis, Gruppierungen von Werwölfen, die das Virus der Vergangenheit immer noch in sich tragen. "Der Abend wird zu einer alptraumhaften Befragung unserer Gegenwart. Geschichte als Fiktion, Fiktion als Geschichte", heißt es der Ankündigung des Stücks. "Nazis und die Pest als ewige Wiedergänger. Eine Zugfahrt in unsere Vergangenheit und Zukunft zugleich."

Die Journalistin Charlotte Beradt, die Ende der Dreißiger als Jüdin aus Deutschland emigrierte, sammelte "von der Diktatur diktierte Träume". Träume von Nachbarn und Bekannten (zwischen 1933 und 1939), die sie in ihrer 1966 erstmals erschienenen wissenschaftlichen Dokumentation ("Das Dritte Reich des Traums") aufgenommen hat.

Man darf gespannt sein, wie die Kombination beider Handlungsstränge - quasi träumerisch und traumatisch zugleich - verzahnt werden: "Du willst aufwachen, um dich vom Wahnbild Europas zu befreien. Aber das ist nicht möglich", sagt eine symbolhafte Seherin im Stück.

Das Stück hat - wie so oft bei Inszenierungen des Theaters an der Ruhr, das 1980 von Roberto Ciulli und Helmut Schäfer gegründet wurde und derzeit mit einer Ausstellung zum 40-Jährigen im Düsseldorfer Theatermuseum gewürdigt wird (pandemiebedingt verspätet) - einen enormen Schauwert: Gleich zu Beginn ist etwa auf der Bühne eine blutverschmierte, monumental gewandete Frau (eine Europa-Allegorie?) zu sehen. "Starke Bilder", schwärmt Stegmayer, "es wird viel mit Licht, aufwendiger Bühnengestaltung und filmischen Mitteln gearbeitet."

Wer im Theater eskapistisches Vergnügen und Ablenkung von den alltäglichen Beschwernissen der Gegenwart sucht, wird hier natürlich nicht bedient. Die Inszenierung, für die Regie zeichnet Philipp Preuß verantwortlich, entfaltet eher verstörende, anstrengende, suggestive Momente und hypnotische Szenen. "Vollbluttheater" wie Stegmayer sagt.

Die Vorstellung am 10. Mai in Pullach beginnt um 20 Uhr. Karten gibt es im Büro des Bürgerhauses, Telefon 089/744 74 47 00 oder per Mail buergerhaus@pullach.de.

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