Süddeutsche Zeitung

Buchhandel:Erfolg in der Nische

Der Online-Handel und das Veröden der Innenstädte macht den Buchläden zu schaffen. Doch mit persönlicher Beratung, breiterem Sortiment und eigenen Aktionen gelingt es vielen, sich im Wettbewerb um die lesende Kundschaft zu behaupten

Von Julia Fietz und Bernhard Lohr

Gertraud Wolejnik hat am Mittwoch wieder eine Spätschicht eingelegt. Sie stand erst bis 18 Uhr in ihrem Laden an der Bezirksstraße, räumte dann kurz auf, packte ihre Bücherkiste und machte sich auf zum Carl-Orff-Gymnasium, um den Auftritt der Klima-Aktivisten Franziska und Günther Wessel mit einem Büchertisch zu begleiten, an dem deren aktuelles Werk "Vier fürs Klima" auslag. Der Ertrag war mäßig. Aber Wolejnik hat mit ihrer Buchhandlung "Art & Weise" wieder einmal Gesicht gezeigt. "Ich verbuche das unter Werbemaßnahme", sagt die 63-jährige Buchhändlerin.

Als der Internet-Handel mit Amazon und Co. losging, bangten die Buchhändler als erste um ihre Existenz, war das Buch doch wie geschaffen für den Versandhandel. Rezensionen und Buchempfehlungen finden sich im Netz und mit einem Klick ist aus einem unbegrenzten Fundus das Wunschbuch ausgewählt und tags darauf geliefert. Wer braucht da noch eine Buchhandlung?

Etliche Geschäfte gaben auf. Als die Buchhändler in Oberschleißheim und in Ismaning nach immerhin 35 Jahren zusperrten, wurde viel über die Konkurrenz aus dem Netz und ein geändertes Lese- und Freizeitverhalten sinniert. Doch andere machten weiter. Und gerade alteingesessene Buchhändler wie die Unterschleißheimerin Wolejnik zeigen heute, dass sie sich nicht einfach ins Abseits schieben lassen. Seit elf Jahren steht die Ladeninhaberin an der Bezirksstraße in Unterschleißheim in dem Geschäft, das ihre Vorgänger schon Jahrzehnte betrieben hatten.

Kürzlich ging Wolejnik mit anderen Einzelhändlern auf die Straße und demonstrierte. Sie hatten ihre Schaufenster zugeklebt und "Zu vermieten"-Schilder angebracht, um vor ihrem drohenden Ruin zu warnen. Es ist aktuell aber nicht der Internetriese Amazon, der ihr Angst macht, sondern Pläne der Stadt, Parkplätze zu streichen und eine Fußgängerzone einzurichten. Viel Kunden kämen auch von weiter her, sagt Wolejnik, auch aus Ismaning, wo jetzt die Buchhandlung fehlt.

Die Sorge ist also, wie Kunden zu den Geschäften kommen, und nicht mehr, dass sie einfach ausbleiben. Gegen Amazon und Co., sagt die Buchhändlerin, "können wir auf alle Fälle bestehen". Und das ist auch der Befund, zu dem Christian Hörmann, Leiter des Münchner Büros des Beratungsunternehmens Cima, kommt, der viele Einzelhandelskonzepte erstellt hat. Gerade im Buchhandel sei bei Amazon die Wachstumsdynamik raus, sagt Hörmann. Die Lage habe sich stabilisiert, auch "weil der Buchhandel reagiert hat".

Auch auf der Frankfurter Buchmesse, die von Händlern und Verlagen traditionell genutzt wird, um Bilanz zu ziehen, sind dieser Tage optimistische Töne zu hören. Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sprach bei der Eröffnung von einem bisher erfolgreichen Jahr für die Branche. Einschließlich September habe der Buchmarkt ein Umsatzplus von 2,5 Prozent erzielt, bei Sachbüchern sogar von 9,6 Prozent. Die Stimmung sei gut. "Verlage und Buchhandlungen bauen ihre Nähe zu den Kunden weiter aus und entwickeln erfolgreich neue Maßnahmen, um das Buch in den Alltag der Menschen zu bringen und sie fürs Lesen zu begeistern."

Die Buchhändler atmen auf - und sind zugleich gefordert. Aber wer sich dem stellt, findet offenbar Wege, um die zitierte Nähe zu den Kunden herzustellen, so wie es Gertraud Wolejnik mit ihrem Büchertisch am Gymnasium macht. Claudia Petersen, 56, leitende Fachkraft in der Buchhandlung Lentner in Neubiberg, ist dort seit bald 20 Jahren tätig. "Vor einigen Jahren ging es uns wirklich schlecht", sagt sie mit Blick auf die Online-Konkurrenz. Die Angst, dass "alles den Bach runtergehen" könnte, sei aber verschwunden.

Petersen setzt auf den aufgeklärten Kunden, der mit seinem Kaufverhalten darüber entscheidet, ob es in einigen Jahren noch Geschäfte und ein lebendiges Zentrum am Ort gibt. Ein Schild an der Eingangstür weist in Neubiberg darauf hin, dass dort, anders als beim Online-Händler, persönlich beraten werde. Die Beschäftigten im Laden hätten gute Arbeitsbedingungen, der Chef zahle ordnungsgemäß Steuern. All das lesen die Kunden vor Betreten des Ladens. Und es wirkt, findet Petersen. Viele Kunden kämen, um bewusst den örtlichen Einzelhandel zu stärken. Wichtig sei Beratung, sagt sie, mit der Zeit zu gehen und ein ausgewähltes Sortiment. "Was den Buchhandel halt ausmacht, und wie man es gelernt hat."

Viele Buchhändler besinnen sich wieder auf ihre Stärken. Ihnen helfen seit Jahrzehnten etablierte Strukturen mit Großhändlern, die jedes Buch innerhalb kurzer Zeit liefern; und natürlich die Buchpreisbindung, die Dumpingpreise von Online-Händlern verhindert. Außerdem haben viele laut Christian Hörmann von Cima erkannt, dass sie mehr bieten müssen, als nur Regalwände voll mit Buchrücken. Hörmann spricht "vom Caféhaus mit angedockten Leseecken". Lentner hat eine Filiale in München-Haidhausen, zu der die Beschreibung passen würde. Andere Buchhändler holen weitere Sortimente in den Laden. Sophie von Lenthe, 61, ist seit 2002 mit ihrer Buchhandlung Isartal in Ebenhausen und seit 2013 in Pullach. Als Seiteneinsteigerin wagte sie den Schritt in die Selbständigkeit. Es war kein Selbstläufer: "Man muss sich schon aufstellen als Buchhandlung", sagt sie, "und selber einbringen. Da fließt viel Energie rein."

Sie will in ihren Läden ein gewisses Lebensgefühl transportieren. Ihr geht es um Wertigkeit, Nachhaltigkeit. Die Leute sollen "gerne reingehen", sagt von Lenthe. Ein Grund dafür ist aus ihrer Sicht gut geschultes, kundiges Personal, das Literatur selbst schätzt und Freude am Lesen vermittelt. "Wir lesen wirklich unheimlich viel", sagt die Chefin. Aber sie bietet Kunden auch Überraschendes: So hat sie ein kleines, ausgesuchtes Sortiment an Geschenkartikeln aufgenommen und findet, dass das ankommt. "Auf kleiner Fläche ein großes Sortiment", das sei ihr Rezept. Viele Stammkunden schätzten das.

Die Buchhandlungen im Landkreis haben Wege gefunden, auf sich aufmerksam zu machen und Dinge zu bieten, die das Internet nicht bietet oder gar nicht bieten kann. Sie schreiben regelmäßige Newsletter, werben damit, jedes bestellte Buch am nächsten Tag zuzuschicken, und manchmal bestellen sie beim Verlag eine größere Charge eines Werks, um damit einen Büchertisch zu veranstalten, bei dem etwa die Besucher eines Diskussionsabends zum Klimaschutz zugreifen können. Ein Selbstläufer ist eine Buchhandlung nicht. Claudia Petersen vermisst die internetaffine Generation der 20- bis 30-Jährigen im Laden, die ihrem Eindruck nach viel online bestellen. Schüler, junge Eltern und die Älteren kämen dagegen in den Laden.

Die Altersfrage beschäftigt auch Rudolf Forster, der zusammen mit Monika Egelhaaf seit 19 Jahren die Buchhandlung Lesezeichen in Haar betreibt. "Wer 30 ist oder jünger, für den ist ein Buchladen im Wesentlichen ein unbekannter Ort", so der 54-Jährige. Das Prinzip, für den Einkauf in ein Geschäft zu gehen, liege der Generation zwischen 20 und 30 zunehmend ferner. Um so schöner sei es, wenn sie Kunden, die als Kinder in ihren Laden gekommen seien, beim Aufwachsen zusehen könnten. Viele kämen auch noch als Studenten.

Studien bezeugen die hohe Wertschätzung, die das Buch genießt, und zugleich, was das Problem des Buchhandels ist. Viele Menschen beklagen, keine Zeit zum Lesen zu haben. Marktforscher Hörmann von Cima rät den Buchhändlern, weiter wachsam zu sein und die Entwicklung zu beobachten. Auch Amazon lerne dazu. Kunden-Befragungen hätten gezeigt, dass Buchläden sehr geschätzt würden in Innenstädten. Aber selten steuerten Kunden diese als erstes gezielt an. Es brauche für funktionierende Zentren immer auch Magneten, wie große Drogeriemärkte oder Bekleidungsmärkte. Daran angedockt könne der Buchhandel in einer Symbiose profitieren und die Zentren gleich mit, wenn das Buch etwa mit einem Café verbunden sei und die Aufenthaltsqualität steige.

Die Buchhändler wissen, dass sie etwas tun müssen, auch etwa um Kinder und Jugendliche zum Buch zu bringen. Leseförderung ist ein Punkt: Sie arbeiten eng mit Schulen und Kindergärten zusammen. In Höhenkirchen-Siegertsbrunn treffen sich in der Buchhandlung Kempter regelmäßig 20 Kinder und Jugendliche in zwei Leseclubs. Sie besprechen gelesene Bücher und schreiben Empfehlungen in der Bücherschau für andere. "Fantasy-Geschichten werden in dem Alter besonders gern gelesen", sagt Lutz Nagler, der die drei Kempter-Filialen in Ottobrunn, Oberhaching und Höhenkirchen leitet. Eine Auszubildende kümmert sich bei Kempter um das Instagram-Profil mit mittlerweile 374 Abonnenten, die dort regelmäßig Buchempfehlungen finden können.

Ein Gemeinschaftserlebnis bieten die Buchhandlungen mit ihren Lesungen, die etwa die Buchhandlung Isartal oder bei der Unterhachinger Lesenacht die Buchhandlung Helming & Heuser gemeinsam mit dem Kulturamt ausrichtet. 13 Autoren traten heuer an unterschiedlichen Orten auf. Literatur war direkt zu erleben, als Deniz Aykanat aus ihrem Buch "Isartürkin" las und als der frühere Chef der Münchner Mordkommission, Josef Wilfling, bei seiner Lesung aus seinem Buch das Publikum an der dramatischen Auflösung manches Kriminalfalls teilhaben ließ.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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