Brunnthal wählt:Der große Graben

Brunnthal lähmt seit Monaten ein erbitterter Streit im Gemeinderat. Wichtige Entscheidungen fielen durch Bürgervotum. Amtsinhaber Stefan Kern und seine CSU streben die absolute Mehrheit an. Ein Dreierbündnis will das verhindern und hat sich auf eine Gegenkandidatin verständigt.

Bernhard Lohr

Brunnthal, Rathaus, Gasthof Lutterschmid

Früher, da setzen sich die Gemeinderäte nach ihren Sitzungen noch auf ein Bier beim Lutterschmid zusammen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Der Bürgermeister hat jüngst mal wieder einen rundum gelungenen Abend erlebt. Gut 150 Brunnthaler folgten im Mehrzweckraum der Schule Stefan Kerns Worten. Er erzählte auf der eigens einberufenen Sonderbürgerversammlung das Drama von der Entwicklung der Ortsmitte nach, bot mit Hilfe einer mehr als hundertseitigen Powerpoint-Präsentation jede Menge Fakten und richtete am Ende den Blick voraus.

Sich mit dem Publikum einig wissend konstatierte er, dass eine breit angelegte Bürgerbeteiligung ergeben hatte, am besten den alten Lutterschmid-Gasthof abzureißen, alles neu zu bauen und einen zum Rathaus hin offenen Platz zu schaffen. Alle durften sich informiert und eingebunden fühlen. Es war "ein Heimspiel", sagte Kern hinterher.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Kern erlebt regelmäßig ganz furchtbare Abende im Gemeinderat. Die Einigkeit auf Sonderbürgerversammlungen, die auch zu erleben war, als gut hundert Brunnthaler wegen des Dauerkonflikts um den Lärmschutzwall an der A 8 Kerns Worten lauschten, steht im Kontrast zur politischen Arbeit im Rathaus. Kern selbst sieht die Gemeinde in "zwei Lager" gespalten.

Auf der einen Seite die CSU, die Kern mit 100 Prozent zu ihrem Bürgermeisterkandidaten nominiert hat. Dazu noch die im Kielwasser der CSU fahrende Parteifreie Wählergruppe Brunnthal (PWB). Auf der anderen Seite SPD, Unabhängiger Brunnthaler Wählergruppe (UBW) und Grüne, die im Bündnis "Miteinander in Brunnthal" zusammengefunden haben.

Die Kluft ist tief, so tief, dass die wegen abtrünniger CSU-Anhänger erstarkte UBW wie selbstverständlich mit SPD und Grünen die Bürgermeisterkandidatin der SPD, Anouchka Andres, unterstützt. "Die Mehrheit der CSU gehört verhindert", sagt der UBW-Mann und frühere CSU-Gemeinderat Gerhard Zitzelsberger. "Es muss Demokratie herrschen." Ihn verbindet eine gegenseitige Abneigung mit Kern. Im Gemeinderat verpassen sie sich im vertraulichen "Du" einen verbalen Tiefschlag nach dem anderen. Keiner steht dabei dem anderen nach.

Zitzelsberger ist zermürbt, will sich zurückziehen aus dem Gemeinderat und kandidiert, wie UBW-Vorsitzender Helmut Vorleitner senior, nur noch weit hinten auf der Liste. Brunnthal brauche "keinen König" und könne darauf verzichten, dass dauernd Dinge zur "Chefsache" erklärt würden, sagt Zitzelsberger. Viel wichtiger seien "Bürgernähe und Ehrlichkeit".

Wenn Bürgermeister Kern, 44, mit solchen Vorwürfen konfrontiert wird, versteht er die Welt nicht mehr. Er und die CSU seien so nah dran an den Menschen, wie sonst keiner. Kern hält Bürgerversammlungen in allen Ortsteilen ab, wenn ein Thema brisant wird, beruft er Sonderbürgerversammlungen ein und wurde Ende vergangenen Jahres von einer Mehrheit des Gemeinderats sogar zurückgepfiffen, als er über das weitere Vorgehen nach dem umstrittenen Kauf des maroden Gasthofs mit den Bürgern in einer Versammlung den Dialog suchen wollte. Stattdessen schaukelte sich der Streit im Gemeinderat weiter hoch. Der Bürger war am Ende dann beim Bürgerentscheid als Schiedsrichter gefragt. Die CSU setzte sich durch: Der Gasthof blieb in Gemeindehand und Kern versucht nun nach seiner Art als Volkstribun die Dinge weiter voranzutreiben.

Aus Sicht von Kerns Kritikern hat dies mit Bürgernähe und Transparenz nur zum Schein etwas zu tun. Sie halten ihm und der CSU vor, kalkuliert vorzugehen und, wenn nötig, auf verschlungenen Wegen über Stimmungsmache und Bürgervoten knallhart ihre Ziele zu verfolgen. Ein trauriges Beispiel dafür war im September 2012 der Brandbrief des JU-Vorsitzenden Daniel Brenner. Darin warnte er die Brunnthaler davor, dass Immobilien auf einen Schlag an Wert verlieren würden und die Kriminalstatistik steigen würde, wenn Asylbewerber im Gasthof Lutterschmid einquartiert würden.

Die Flüchtlinge kamen tatsächlich nicht. Stattdessen peitschte die CSU mit knapper Mehrheit im Gemeinderat den Kauf des Gasthofs durch. Hilde Miner, Sprecherin der Grünen und Mitgründerin des Helferkreises Asyl, ist bis heute betroffen. Sie sagt, die CSU habe auf beschämende Weise Ängste der Bürger "missbraucht". So ähnlich sagen das viele in Brunnthal, auch bei UBW und SPD. Auf dem Konsens, dass sich etwas am politischen Stil in der Gemeinde ändern müsse, gründet das "Bündnis Miteinander in Brunnthal", das hinter der Kandidatur der 47-jährigen Andres fürs Bürgermeisteramt steht.

Sie bringt Erfahrung mit. Sie forderte Kern schon vor sechs Jahren heraus und ist mit ihrer ruhigen, betont sachlichen Art ein Gegenentwurf zum amtierenden Bürgermeister. Sie will einen neuen Stil in der Gemeindepolitik prägen und hält das aus ihrer Sicht konzeptlose, sprunghafte Vorgehen von Kern und seiner CSU für den entscheidenden Grund dafür, warum vieles schief läuft in der Gemeinde und nicht recht vorankommt. Ob es um die Entwicklung der Ortsmitte geht, um den Bau der Lärmschutzwand an der A 8 oder die Ansiedlung eines Discounters. Sie begrüßt, dass Kern nach monatelangem Widerstand derzeit davon redet, den Bau einer Mehrzweckhalle bis 2017 angehen zu wollen.

Andres pocht aber auch darauf, jetzt zügig die Vorarbeiten anzugehen. Die Bürger müssten frühzeitig eingebunden werden in Entscheidungsprozesse, statt sie hinterher in Sonderbürgerversammlungen zu informieren. Zitzelsberger von der UBW sagt, lange Zeit habe sich Kern wenig um die Bürger geschert. Erst jetzt, seit im Gemeinderat nichts vorwärts gehe, habe er diesen entdeckt.

Die CSU ist es in Brunnthal gewohnt, zu bestimmen, wo der Weg langgeht. Brunnthal ist eine christsoziale Hochburg im Landkreis und die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat sind klar. Erst parteiinterner Streit brachte sie zuletzt in die Not, andere bei Entscheidungen überzeugen zu müssen. Gerhard Zitzelsberger, Arthur Wendelgaß und Manfred Hahnel traten aus der Partei aus und wurden die schärfsten Kritiker von Kerns Truppe. Typisch ist dabei, dass immer wieder in den Auseinandersetzung angebliche oder tatsächliche persönliche Verwicklungen und Vorteile eine Rolle spielen, wie etwa, dass der Discounter gegenüber von Hahnels Hofausfahrt gebaut werden würde und der dann nicht mehr in Richtung Sauerlach rausfahren könnte.

Auch würde ein der CSU nahestehender Grundstücksbesitzer profitieren. Solch Geraune bildet das dissonante Hintergrundgeräusch in fast allen Brunnthaler Debatten. Neidisch blickt da mancher nach Aying, wo Geschäfte per Handschlag abgeschlossen werden. In Brunnthal gab es ursprünglich ein Handschlag-Geschäft mit dem Bauunternehmer Leserer, der mit Aushub der Obi-Baustelle den Lärmschutzwall an der A 8 aufschüttete. Wegen Mängel wurde lange hinter den Kulissen gestritten. Mittlerweile sind alle glücklich darüber, dass dann doch noch ein schriftlicher Vertrag geschlossen wurde. Und Bürgermeister Kern freut sich, ganz aktuell darüber, dass die Autobahndirektion Südbayern schriftlich das Sanierungskonzept für den Wall gebilligt hat.

Kern hat es nicht leicht. Das Problem mit der Lärmschutzwand, die die Gemeinde bauen soll - Bürger befürchten, an den Kosten beteiligt zu werden - hat er geerbt. Er sagt zum Streit um den Discounter, den Gegnern sei es "nie um eine sachliche Diskussion" gegangen. Erst seien alle dafür gewesen, dann habe sich der halbe Gemeinderat dagegen gestemmt. Er spricht von "Blockierern und Verzögerern" und erlebt Kommunalpolitik als "politische Achterbahnfahrt".

Dabei gehen die Meinungen auseinander, wie weit die Lager bei all dem Hin und Her wirklich voneinander entfernt sind. Anouchka Andres gibt sich bei allen Differenzen auch versöhnlich. "Das eigentliche Dilemma ist", sagt sie, "dass wir aneinander vorbeireden." Sie will verhindern, dass die CSU mit den anderen nicht mehr reden muss - wenn sie im März die Mehrheit im Gemeinderat erzielt.

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