Brexit:Von Beginn an Europäer

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Das britische Ehepaar Faulkner lebt seit 40 Jahren in Hohenbrunn. Bis zum Brexit fühlten sich beide einfach als EU-Bürger. Doch jetzt haben sie die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen und bangen

Von Helena Ott, Hohenbrunn

Dass sie so eine Tragödie erleben müssen, damit hatten Bernadette und Alan Faulkner nicht gerechnet. Das britische Paar, beide 68 Jahre alt, hat das Telefon auf laut gestellt. Die Fragen beantwortet Bernadette Faulkner, ihr Mann steht daneben und ergänzt. "Er würde sich viel zu viel aufregen", sagt sie. In den vergangenen zweieinhalb Jahre gab es Wochen, da gab es im Haus des britischen Paares in Hohenbrunn fast nur ein Thema: den Brexit. Seit das britische Unterhaus den Deal mit der EU, den Premierministerin Theresa May über eineinhalb Jahre ausgehandelt hat, abgelehnt hat, kommt das Ehepaar kaum noch richtig zur Ruhe. Die Lage spitzt sich zu.

Alan und Bernadette Faulkner haben das kommen sehen. Dass die Niederlage der Premierministerin so groß werden würde, damit hatten sie nicht gerechnet. Das Ergebnis und all das was bisher folgte, erhöht die Gefahr, für einen sogenannten "No Deal", einen ungeregelten Brexit schon im März. Für das britische Ingenieursehepaar "das Schlimmste was Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg passieren kann". Zumindest was die vergangenen 70 Jahre anbelangt, können die beiden das ganz gut beurteilen.

Nach dem Brexit-Votum waren sie geschockt, konnten nicht glauben wie eine knappe Mehrheit ihrer Landsleute abgestimmt hatte. Dann das ewige Warten auf die Ergebnisse zäher Verhandlungen. Im Herbst vergangenen Jahres, wurde es Bernadette Faulkner dann zu heikel. Sie stellte einen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft beim Landratsamt. Außer den Faulkners leben im Landkreis München derzeit 1175 britische Staatsbürger. Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 haben 336 Briten beim Landratsamt die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Im vergangen Jahr gingen noch einmal 146 Anträge ein. Vor dem Brexit-Votum im Jahr 2015 waren es dagegen gerade einmal 13 Anträge gewesen. Im vergangenen Jahr waren die Briten dann schon die größte Gruppe der Neubürger.

Obwohl sie seit 41 Jahren in Deutschland lebt, musste Bernadette Faulkner außer dem Einbürgerungstest auch einen Sprachtest machen. Deutsche werden wollte sie nicht nur wegen ihrer Reisefreiheit und, um bei einem Brexit lästige Formalia im Rentenalter zu vermeiden, sondern vor allem wegen ihrer demokratischen Rechte. Faulkner will wählen. Die Hohenbrunnerin will ihre Umgebung mitgestalten, wie sie sagt. Vor zwei Wochen durfte sie ihre Einbürgerungsurkunde abholen. Ihr Mann hat ein Foto von ihr vor der Tür des Landratsamts gemacht. Fünf Monate vor der Europawahl hat sie damit auch wieder ein Stimmrecht. Im Mai wird Faulkner zum ersten Mal ihr Kreuz bei einer deutschen Partei machen.

Wählen zu gehen ist der 68-Jährigen sehr wichtig. In Großbritannien durfte sie das in den letzten Jahren nicht - weder bei Parlamentswahlen noch beim Brexit. Wer mehr als 15 Jahre im Ausland wohnt, ist nicht mehr stimmberechtigt. "Äußerst undemokratisch", findet Bernadette Faulkner das. "Gerade uns Briten, die im Ausland wohnen und eine Entscheidung, wie der Brexit am meisten trifft, wurden ausgeschlossen".

Vor 2016 sah Faulkner keinen Grund Deutsche zu werden. Sie mochte das Leben in Bayern und hatte in Hohenbrunn ein neues Zuhause gefunden. Aber vornehmlich fühlte sie sich als EU-Bürgerin. Der Brexit zerstörte diese Illusion.

Dabei sind die Faulkners die geborenen Europäer. Mit Mitte 20 lockte die beiden die neue Freiheit. Sie hatte in London Elektroingenieurwesen studiert, ihr Mann Maschinenbau. "Wir wollten, die Chance nutzen und Erfahrungen in einem anderen europäischen Land sammeln." 1973 war Großbritannien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beigetreten. Wie die Bürger der anderen Mitgliedstaaten durften die Briten von da an wohnen und arbeiten, wo sie wollten. Personenfreizügigkeit - Bernadette Faulkner nutzt sie seit 40 Jahren. Ihre Landsleute hätten sie allzu leichtfertig aufgegeben, sagt sie.

1977 zog das junge Paar los nach Deutschland. Sie hatten bei MBB, das heute Teil des Airbuskonzerns ist, Arbeit als Ingenieure in der Hubschrauberkonstruktion gefunden. Was als Abenteuer geplant war, wurde zu ihrem neuen Zuhause: "Wir haben uns Stück für Stück eingebürgert - hatten Spaß auf der Arbeit, haben Freunde gefunden, ein Haus in Hohenbrunn gekauft und zwei Kinder hier bekommen." Zunächst dachten sie, dass sie nach ein paar Jahren zurück nach London gehen würden. Aber dann verkauften die Faulkners ihr Haus in England und behielten eine Wohnung im Londoner Westen.

Für das Rentnerehepaar ist es schlimm mit ansehen zu müssen, wie sich ihr Land seit dem Brexit sukzessive spaltet. Für den Sohn hingegen "steht seine ganze Art zu leben auf dem Spiel", sagt Bernadette Faulkner. Er wohnt mit seiner deutschen Freundin in Sauerlach und arbeitet von dort aus für eine britische Universität. Bei seiner Geburt hat er die britische Staatsbürgerschaft seiner Eltern bekommen. Obwohl er hier geboren ist, kann er nicht wie seine Mutter einfach zum Landratsamt gehen und eine Einbürgerung beantragen. Voraussetzung ist, dass man die letzten fünf Jahre durchgängig in Deutschland gelebt hat. Weil Faulkners Sohn aber in London studiert und zwischenzeitlich auch gearbeitet hat, kann er das nicht vorweisen. Kommt es zum Brexit, weiß er nicht, ob er noch hier wohnen und in London arbeiten kann. Das macht Bernadette Faulkner besonders sauer: "Wir wissen überhaupt nicht was kommt, aber es sagt uns auch keiner." Mehrfach hätten sie mit Mitarbeitern des britischen Konsulats gesprochen, aber die hätten keine Informationen. Bernadette Faulkner hat seit dem Brexit mit ihrem Mann schon mehrere Briefe an Politiker in London geschrieben, um auf die Lage der Briten im Ausland aufmerksam zu machen. "Wenn nötig machen wir das jetzt bis März noch öfter", sagt die Hohenbrunnerin. Es sei "das Allerletzte", dass die britische Regierung ihre Bürger bei den Austrittsverhandlungen nicht geschützt hat, sagt Faulkner. "Da kommt man sich vor, wie ein Bauer auf dem Schachfeld." Die Mitarbeiterin im Landratsamt lobt Faulkner dagegen, sie sei "beeindruckt", wie schnell und freundlich sich die Frau um ihren Einbürgerungsantrag gekümmert habe.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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