Blick hinter die Kulissen:Schokoladeneis aus dem Reaktor

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Am Forschungsreaktor der Technischen Universität ist zum ersten Mal ein Programm für Kinder angeboten worden. Das Foto zeigt den technischen Direktor Anton Kastenmüller bei einer Führung. (Foto: Robert Haas)

Beim Türöffner-Tag der "Sendung mit der Maus" besichtigen Kinder die Garchinger Forschungs-Neutronenquelle

Von Sophie Kobel, Garching

Ein Dutzend Kinder drückt die Nasen an das längliche Fenster aus Panzerglas, um den besten Blick auf das große türkise Wasserbecken zu haben. Darin schwimmt allerdings kein Eisbär oder Hai. Was die Kinder so fasziniert beobachten, sind die uranhaltigen Brennelemente in der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz an der Technischen Universität in Garching. Es ist der bundesweite Türöffner-Tag der "Sendung mit der Maus" und das erste Mal, dass an dem Forschungsreaktor der Universität ein Programm speziell für Kinder angeboten wird. Mit Erfolg. Die Augen der Sieben- bis Zehnjährigen werden groß, als sie im Foyer kleine weiße Laborkittel anziehen dürfen.

"Weiß denn jemand von euch, was ein Atom überhaupt ist?", fragt Christoph Herb, Master-Student der Physik, in die Runde. Ein braunhaariger Junge hebt die Hand: "Etwas ganz Kleines, das man gar nicht sehen kann." Herb nickt zufrieden und erklärt: "Ja, genau, und alles auf der Welt besteht aus Atomen. Das ist ziemlich gruselig, aber sogar wir bestehen aus ihnen. Wenn wir so ein Atom jetzt zerteilen würden, was passiert dann?" Der Junge runzelt die Stirn und sagt bestimmt: "Dann entsteht ein Mini-Atom." Herb lacht. Die Antwort stimme einigermaßen, sagt er: "Genauer gesagt entstehen freie Neutronen, Protonen und Elektronen. Das ist wie wenn ihr eine Sandburg baut und die dann kaputt macht. Da kommen auch viel winzig kleine Teilchen zum Vorschein", sagt Herb. "Für uns sind aber nur die Neutronen wichtig, mit denen führen wir Experimente durch. Und wo die Neutronen eingesammelt werden, das schauen wir uns jetzt an", sagt Herb und geht mit den Kindern in Richtung Aufzug.

Für die heutigen Führungen hat der Student sich freiwillig gemeldet. So jungen Menschen komplexe physikalische Vorgänge zu erklären, das falle ihm oft schwer, erzählt er. "Ich versuche es mit anschaulichen Vergleichen so gut wie möglich hinzukriegen."

Nachdem die vier zu passierenden Sicherheitstüren eingehend von den jungen Forschern begutachtet wurden, stehen die Kinder jetzt vor der Glasscheibe und blicken geradezu andächtig auf das schimmernde Reaktorbecken 17 Meter unter sich. Der Techniker Karl-Heinz Mayer erklärt, dass an dem Rohr im linken Becken ein Brennelement hängt, durch das die begehrten Neutronen eingesammelt werden können.

"So ein Forschungsreaktor, der muss immer überwacht werden. Jede Minute am Tag. Deshalb arbeiten immer drei sogenannte Reaktorfahrer gleichzeitig, und die besuchen wir jetzt", sagt Mayer und schleust die Kinder durch eine Drehtür in die Schaltwarte. Der kleine Raum hat keine Fenster und ist voll mit Bildschirmen und Computern. Einer der Techniker dort erklärt den Kindern, dass eine rote Lampe aufleuchten würde, wenn etwas mit den Brennstäben nicht stimmen sollte.

Tobias und Leon möchten wissen, ob es leicht sei, Reaktorfahrer zu werden. Die aufwendige Ausbildung, von der Mayer berichtet, schreckt sie allerdings weniger ab als der Schichtplan auf einem der Bildschirme. Mayer erklärt, dass jede dritte Schicht nachts gearbeitet werde und der Forschungsreaktor natürlich auch am Wochenende, in den Ferien und an Feiertagen überwacht werden müsse. "Sogar an Weihnachten?", fragt einer der beiden Jungen. Als Mayer bejaht, ist das Entsetzen groß. Da passt es gut in den Zeitplan, dass jetzt der Besuch in der Neutronenleiterhalle und anschließend Eisessen angesagt sind.

Bunte Rohre, blinkende Lichter, laute Maschinen. "Hier wird geforscht. Wir schauen zum Beispiel, wie man Medikamente wirksamer machen könnte. Oder wie eine Handyakku länger halten könnte. Das hier ist wie ein großer Spielplatz für Physiker", sagt Herb und lacht. Bei so vielen wilden Geräten kommen Fragen auf: "Wie viel kann der Kran da hinten heben?" "Was ist das braune Ding in der Mitte?" "Fliegen die Neutronen auch in der Luft rum oder nur in den Rohren?" "Wieso sind die Türen hier so dick?". Herb, Mayer und ihre Kollegen nehmen sich Zeit, alles anschaulich zu beantworten.

Und dann, endlich, geht es zum letzten Teil der Führung. Hier dürfen die Kinder dabei sein, wenn selbstgemachtes Schokoladen- und Waldfruchteis in Sekundenschnelle mithilfe von minus 196 Grad kaltem Stickstoff gekühlt wird. Das Tollste an der Führung, da sind sich Anna, Dominik, Leonhard, Felia, Leon und die anderen einig, ist aber etwas anderes: Sie dürfen die Laborbrillen behalten.

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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