Neben der Liebe ist die Zeit vielleicht das größte aller Rätsel, das nie gelöst werden wird. Seit Jahrtausenden versuchen sich große Geister daran, Philosophen, Physiker, Dichter. Berühmt ist etwa Augustinus' Wort: "Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht." Newton, Einstein, Heidegger, Hawking folgten später und auch wenn sie dem Mysterium der Zeit näher rückten und zahlreiche Fragen genial beantworteten - sie bleibt ein Phänomen, das denkerisch nicht fassbar ist. Und die Kunst, zumal die bildende? Lässt sich Zeit visualisieren, lässt sie sich angemessen, spannend und raffiniert darstellen?
Wer durch den idyllischen Ismaninger Schlosspark spaziert, mag sich schon mal für einige Momente dem normalen Lauf der Dinge enthoben fühlen - gefühlte Eigenzeit schlägt quasi Weltzeit. Stattet man dann der Galerie im Schlosspavillon einen Besuch ab, eröffnet sich beim Eintritt in das vermutlich vom bayerischen Hofbaumeister François de Cuvilliés errichtete Bauwerk ein Anblick, der den Blick eventuell schon mal so lange fängt, dass der Augenblick Dauer bekommt: Die "Zeitmaschine" der Münchner Künstlerin Charly-Ann Cobdak steht da im Zentrum des historischen Pavillons, der Rokoko mit klassizistischen Elementen verbindet: als Herzstück und temporaler Knotenpunkt der Ausstellung "Zeitformen". Rund um sie sind im achteckigen Mittelsaal und in den beiden kleinen Flügeltrakten Objekte anderer zeitgenössischer Künstler zu sehen, die sich auf die ein oder andere Weise mit Vergehen, Erinnern, Entschleunigen, Zeit und Raum auseinandersetzen.
Kuratiert hat die Ausstellung Rudolf Maximilian Becker, Inhaber der Galerie Weltraum in München, und auch wenn der kleine Schlosspavillon nicht unbedingt ideal scheint für eine Gruppenausstellung mit Werken von 14 Künstlern, so ergibt sich hier eine gelungene Symbiose aus historisch dekorativer Architektur und aktuellen Exponaten. Die so fantastisch wie nostalgisch anmutende Zeitmaschine Cobdaks, bei der man nur das Pedal drücken muss, um zu sehen, wie sich Rädchen, Glühbirnen und Uhren drehen, wie sich Mechanik in poetische Bewegung verwandelt und dazu Musik spielt, ist der wohl auffälligste, aber nicht der einzige Blickfänger.
Da wäre etwa die Arbeit "Comte" von Sebastian Gumpinger im linken Flügel. Gewidmet dem wunderlichen Comte de Saint Germain, einem Hochstapler, Abenteurer und vermeintlichem Zeitreisenden des 18. Jahrhunderts, entwickelt seine Komposition ein eigenwillige Anziehungskraft: das Bild des Comte wurde von Gumpinger auf eine Stahlplatte gebracht und via Winkelschleifer verfremdet, sodass ein Kontrast zwischen mattem Schwarz und polierten Metal erzeugt wird. Im Spiel von Licht und Bewegung kommt dem zweidimensionale Gemälde eine dreidimensionale Ebene hinzu - ein ungeahnter optischer Effekt den Gumpinger, der die Untergründe seiner Arbeiten gerne rosten lässt, hier erzielt. Der Künstler lässt sich dabei nicht zuletzt von der antagonistischen Maxime inspirieren: "Zeit verschleißt, Zeit zerstört, und schafft dennoch Raum für Neues."
Daneben hängen eigenartig fragile Skulpturen von der Decke: "Die "Pointer Sisters" von Alix Stadtbäumer. Ein bis zwei Meter lange Zeiger aus dünnen Holz ausgeschnitten, die sich um sich selber drehen. Das Spannende: An dünne Fäden hängend, entwickeln sie ihr eigenes, ungetaktetes Tempo - der Schwerkraft und ihrer Größe geschuldet und auch dem Zufall. Wer sich also den Entschleunigungskurs an der VHS sparen will, der könnte sich hier auf dem einzigen, edel gepolsterten Stuhl im linken Flügel setzten und den Zeiger-Silhouetten beim langsamen Kreisen zusehen. Nach einer Weile könnte er dann freilich den Blick auf Silke Markefkas Bild "Lüster" richten, das daneben hängt. "Mit verglimmenden Licht und nur vorgeblichen Durchsichtigkeiten schaffe ich Balanceakte. Bilder, die weder in realistischer Abbildung noch abstraktem Konzept aufgehen", erklärt die Künstlerin.
Auch der rechte Flügel hat in dieser Ausstellung etwas zu bieten: etwa die Fotoarbeit "Light divided by waters" von Falk von Schönfels. Zu sehen ist ein blätterbedeckter Bach, der teils scharf ins Dunkle hineinfließt. Für seine Fotoserie "Obscurity newfound" hat sich der Künstler in mondlosen Nächten in Münchner Parks begeben. Da die Kulissen der Langzeitbelichtungen nur mit einer starken Taschenlampe ausgeleuchtet sind, war es ihm möglich Aspekte des Szenerie besonders zu betonen respektive zu vernachlässigen, sodass sich eine so realistische wie obskure Stimmung entfaltet. Stark in diesem Raum auch die skulpturalen Malereien von Martin Spengler, der vom Relief in die Dreidimensionalität übergeht oder die Gemälde von Felix Rehfeld.
Und auch wenn im Mittelsaal Cobdaks Zeitmaschine erst mal die Blicke auf sich zieht, gibt es hier noch andere Arbeiten zu entdecken, etwa Tanja Hirschfelds "Rokoko Geisha", die so bunt-geheimnisvoll wie verstörend wirkt oder Andreas Ohrenschalls Werk "Mumie des Augenblicks". Das Rätsel der Zeit wird in Ismaning nicht gelöst, aber die Formen, in denen sie hier auftaucht, sind allemal sehenswert und inspirierend.
Die Ausstellung "Zeitformen" in der Galerie im Schlosspavillon, dauert bis zum 9. September, geöffnet dienstags bis sonntags 14.30 bis 17 Uhr.