Bildende Kunst:Räume voller Ohren und Erinnerungen

Bei der fünften Verleihung des Preises Seelen-Art werden im Kleinen Theater Haar 55 Künstler ausgezeichnet

Von Julian Seiferth, Haar

"Der liebe Gott muss einen Seelenabend haben", sagt Matthias Riedel-Rüppel am Dienstagabend. Der Leiter des Kleinen Theaters Haar steht bei der Verleihung des Kunstförderpreises Seelen-Art im Garten des Theaters und hat gerade die Veranstaltung eröffnet. Vor der Corona-Krise war die Preisverleihung im Frühling geplant, nun sitzen bei 25 Grad im Spätsommer knapp 50 Gäste sozial distanziert vor der Bühne. Im Theater selbst hängen und stehen auf zwei Stockwerken mehr als 100 Kunstwerke, die die Jury aus über 600 Einsendungen ausgewählt hat.

Seit 2010 lobt das Sozialpsychiatrische Zentrum der Bezirkskliniken den Preis alle zwei Jahre aus. Ausgezeichnet werden Künstler aus Oberbayern, die sich mit Themen rund um seelische Gesundheit auseinandersetzen. "Wir wollen niemanden ausgrenzen, auch im Kunstbereich nicht", sagt einer der Schirmherren, Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU). "Wir wollen Öffentlichkeit für diese Kunstwerke schaffen." Riedel-Rüppel, der am Wochenende einige Stunden allein im Theater verbracht hat, sagt, er sei überwältigt gewesen: "Ich habe vieles an Emotionen mitgemacht. Die Künstler teilen mit uns ihre Gefühle, Ängste und Sorgen. Das erfordert Mut."

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Susanne Weyands Skulptur trägt den Namen "Im Kreuzverhör".

(Foto: Angelika Bardehle)

Einer davon ist Jerome Rußmann, der den erstmals ausgerichteten Sonderpreis für Textilkunst gewinnt. Zwei selbstgemachte Puppen namens "Matroski" und "Matroski Relativ matt" sowie eine Holzskulptur namens "Spinne" hat der Münchner zur Ausstellung beigetragen - besonders den Puppen haftet etwas bewusst Entstelltes an, sie wirken wie die Requisiten eines Horrorfilms. Der Künstler selbst ist ein sehr ruhiger, leicht nervöser Mann, die Atmosphäre scheint ihn einzuschüchtern. "Meine Kunst in diesem Rahmen zu sehen, das ist ein besonderes Gefühl", sagt der 37-Jährige. Mit seiner Auszeichnung weiß Rußmann zunächst kaum umzugehen: "Ich muss den Preis zuerst auf mich wirken lassen." Sein Kunstverständnis sei recht unverbissen, die Kunst gebe ihm allerdings Aufschluss über sein eigenes seelisches Innenleben. "Den Preis Seelen-Art verfolge ich seit Jahren. Ihn jetzt zu gewinnen, gibt mir ein Gefühl von Stolz."

55 Künstler erhalten an diesem Abend Auszeichnungen, gesondert werden diejenigen mit den höchsten Punktzahlen geehrt. Das trifft in diesem Jahr auf zwei Künstler zu: Susanne Weyand und Peter Alexander Kott. Erstere hat der Ausstellung ihr wohl auffälligstes Werk geliefert, eine Holzkonstruktion von der Größe eines kleinen Zimmers, von der Decke hängen Stethoskope, und an diesen Ohren aus Glas. Die Skulptur trägt den Namen "Im Kreuzverhör". "Wir haben unwissentlich so viele Informationen in uns, die uns auch selbst überraschen", sagt die 47-jährige professionelle Künstlerin. "Die Ohren sind ein Sinnbild dafür, nicht nur anderen zuzuhören, sondern auch in sich hineinzuhören, mit sich ins Kreuzverhör zu gehen."

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Idyllische Preisverleihung: Gut 50 Besucher kamen am Dienstag ins Kleine Theater.

(Foto: Angelika Bardehle)

Es gebe keinen Künstler, der sich in seiner Kunst komplett freimachen könne von der eigenen Person, sagt Weyand. "Ich will trotzdem einen Bogen spannen, der viele Menschen treffen kann." Die Reaktionen seien entsprechend vielfältig. "Auf mich wirkt ,Im Kreuzverhör' leicht, wie ein Raum, den man betreten kann, in dem zugehört wird - oder eben abgehört. In dieser Interpretation ist es natürlich bedrohlich, dann ist es ein riesiger Abhörapparat." Über die Anerkennung freue sie sich sehr, besonders, weil "ich Kunst nicht in irgendwelchen Nischen sehen will, sondern ganz allgemein".

Deutlich persönlicher ist die Kunst des Mannes, mit dem sich Susanne Weyand den ersten Preis teilt. Peter Alexander Kott hat aus Ton- und Abfallpapier Erinnerungen seiner Kindheit nachgebaut, genauer gesagt Modelle einer Metzgerstube, eines Ess- und Musikzimmers sowie des Autos seines Vaters. "Es ist genau so geworden, wie ich es in Erinnerung hatte und wie ich es haben wollte", sagt der 64-Jährige. "Ich wollte zeigen, was man aus weggeworfenen Kartonagen machen kann."

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Jerome Rußmann stellt sein Werk "Spinne" aus.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die Räume hat Kott in Holzboxen mit Verzierungen im Jugendstil gebaut, den Mercedes freistehend. Erinnerungswert hat für ihn vor allem das Ess- und Musikzimmer, das dem im Ferienhaus seiner Eltern in Weßling nachempfunden ist. "Das Haus existiert heute leider nicht mehr. Es wurde im Krieg beschädigt und später abgerissen." In dem Modell des nachgebauten Wagens seines Vaters - ein Mercedes, Baujahr 1942 - hat Kott eine besondere Kleinigkeit eingebaut: einen schmutzigen Aschenbecher. "Wenn der Vater heimkam, habe ich den sauber gemacht und dafür 50 Pfennig bekommen", erinnert er sich. Zu Geld machen will er seine Kunstwerke dagegen nicht, "ich kann mich so schlecht trennen". Mit der Auszeichnung an diesem Abend habe er nicht gerechnet. "Der erste Platz von über 600, das heißt was. Dabei steht das Kleine Theater voller guter Kunst. Wahnsinn."

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