Die eine hilft zwei Wochen im Döner-Laden, der andere bei einem Pizza-Lieferdienst. Solche Berufspraktika finden Schüler leicht, und als Teenager macht man sie vielleicht auch ganz gerne. Doch bei der Suche nach dem Beruf fürs Leben taugen solche Ausflüge in die Wirtschaft wenig. Weil viele Achtklässler jedoch auf dem Weg in die Arbeitswelt alleine gelassen werden, seit der Freistaat das Förderprogramm für Berufseinstiegsbegleitungen an Mittelschulen gekürzt hat, bleibt es aktuell oft bei solchen Jobs. Der Landkreis München versucht deshalb nun, die Finanzierungslücke zu überbrücken. Schulsozialarbeiter springen ein und das Schulamt achtet darauf, welche Schüler besonders eine Hilfe zur Seite bekommen sollten.
Im Frühjahr hatte sich der Freistaat aus dem gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit finanzierten Programm zur Berufseinstiegsbegleitung offiziell verabschiedet. Der Landtag strich die Mittel aus dem Haushalt. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) kündigte zwar an, das Programm weiterzuführen und über sein Ministerium zu finanzieren; doch neue Schüler können voraussichtlich erst im März 2023 wieder aufgenommen werden. Viele Achtklässler an den 13 Mittelschulen und zwei Sonderpädagogischen Förderzentren im Landkreis München hängen seit Schulbeginn in der Luft.
Berufseinstiegsbegleiterin Vivian Tajtelbaum arbeitet mit Schülern der achten und neunten Jahrgangsstufe, die Schüler aus dem laufenden Programm hat sie weiter in ihrer Obhut. Aber es kamen im September keine nach. Normalerweise, sagt sie, würde sie seit drei Wochen mit den Neuen an deren "Leistungen arbeiten" und ihnen bei der Berufsfindung helfen. Das erste von ihr vermittelte und begleitete Praktikum stünde jetzt an, das zweite im Dezember - und zwar in geregelten Ausbildungsberufen. Das falle alles aus, sagt Tajtelbaum. Sie spricht daher von einem verlorenen halben Jahr. "Wir kommen aktuell nicht an die Achtklässler."
Die Grünen-Landtagsabgeordnete und Kreisrätin Claudia Köhler beklagt diesen Missstand seit Monaten. Zusammen mit SPD, FDP und ÖDP brachte ihre Fraktion im Kreistag einen Antrag ein, wonach der Landkreis München ein Brückenmodell finanzieren solle, um gleich zum Schulstart 2022/2023 loslegen zu können. Die Zeit drängte. Dennoch beließ es der Jugendhilfeausschuss am 6. Juli dabei abzuwarten. Man werde in der Größenordnung von 90 Schülern an 13 Mittelschulen und zwei Förderzentren einspringen, sollte der Freistaat als Projektträger ausfallen, hieß es vor den Sommerferien. 165 000 Euro werde das kosten, die Chancen dafür wollte man ausloten.
Doch die Zeit lief ab und das Schuljahr begann. Die Grünen hakten im September im Kreisausschuss nach und erneut diese Woche im Kreistag, wo Köhler darauf pochte, der Landkreis müsse zügig in die Bresche springen. Im Kreistag warb Köhler dafür, wenigstens "Werkstatt-Tage" anzubieten, an denen die potenziellen Auszubildenden in den Berufsalltag hineinschnuppern könnten. "Wir haben Lehrlingsmangel ohne Ende, da macht ein verspäteter Start überhaupt keinen Sinn", sagt die Grüne. Sie warnt davor, dass jene Pädagogen, die sich für die Begleitung der Auszubildenden bereiterklärt hätten, in sechs Monaten nicht mehr verfügbar sein könnten. "Das Personal orientiert sich anders und dann haben wir 2023 nicht genügend Leute." Viele sind laut Köhler jetzt schon abgesprungen, weil Achtklässler fehlen.
Doch für einen Schnellschuss, um Achtklässler im Herbst und Winter noch mit den regulären Berufseinstiegsbegleitern zusammenzubringen, ist es zu spät. Laut Martina Neubauer, Referatsleiterin Gesellschaftliches Engagement im Landratsamt, ist eine kurzfristige Ausschreibung für das Projekt schwer umsetzbar. Landrat Christoph Göbel (CSU) mahnte im Kreistag, sich ans Vergaberecht zu halten und nicht dem Freistaat ins Gehege zu kommen. Laut Landratsamt ist die Zeit bis zum voraussichtlichen Start im März 2023 auch nicht verloren. Die Sozialarbeiter an den Schulen nähmen die in Frage kommenden Schüler, etwa 110, genauer in den Blick. Darüber hinaus seien auch mit dem Schulamt Gespräche geplant, um zügig jene Jugendlichen zu akquirieren, die aufgrund ihrer Leistungen und weiterer Kriterien für die im März beginnende Maßnahme geeignet erschienen.
Betroffen sind nicht nur die Schüler, auch die Pädagogen leiden unter der Hängepartie
An den Schulen dürfte das mit gewisser Erleichterung aufgenommen werden. Eltern, Lehrer und Schüler der Mittelschule Unterschleißheim hatten im Frühjahr 2022, als der Freistaat komplett aus dem Förderprogramm aussteigen wollte, eine Petition gestartet, um das Angebot über Umwege am Leben zu erhalten. Die Unruhe an der Schule sei wegen der aktuellen Hängepartie groß, sagt Tajtelbaum. Belastend sei diese nicht zuletzt für das pädagogische Personal der Berufseinstiegsbegleitung, das zum einen gut eingeführt sei und viele Kontakte zu Unternehmen halte. Es droht abhanden zu kommen.
Denn die Pädagogen werden von unterschiedlichen Bildungsträgern gestellt, ihre Arbeitsverhältnisse sind projektbezogen, manche sind auch selbständig. Tajtelbaum, die selbst fest angestellt ist, bemängelt diese unsichere Situation. Auch ihr Arbeitgeber hat sie wegen der Finanzierungslücke aktuell zum Teil anderweitig eingeplant. Die Unsicherheit im System bemängelt auch die Grünen-Abgeordnete Köhler: Bisher existiere keine Haushaltsstelle und nur eine vage Zusage des Kultusministers auf Fortführung des Programms. "Ob das sicher ist, weiß man nicht gewiss."