Süddeutsche Zeitung

Berührendes Kunstwerk:Wenn die Worte fehlen

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Kim McMahon aus Pullach hat mit einem Aquarell der Trauer über die Opfer des Amoklaufs ein Symbol gegeben: das Münchner Kindl im Regen.

Von Anna Hordych, Pullach

In weniger als einer Viertelstunde hat sie ein Motiv gefunden, das ausdrückt, was Tausende empfinden: Als sie am Freitagabend die Schreckensnachricht von den Schüssen am Olympia-Einkaufszentrum vernimmt, fängt Kim McMahon aus Pullach an zu zeichnen. Sie sitzt vor dem Fernseher, sieht die Tagesschau und nimmt den Bleistift zur Hand, um das Gesehene, den "Schock" für sich zu übersetzen.

Heraus kommt eine Skizze des Münchner Kindls - in ungewohnter Pose, als Symbol der Trauer. Leicht zu erkennen an der schwarzen Kutte mit gelbem Innengewand, hockt das Maskottchen zusammengesunken am Boden. Regen prasselt auf die Figur, deren fahles Gesicht von einer weiten Kapuze weitgehend verdeckt wird.

"Es war zu schlimm, um passende Worte zu finden", sagt die 18- jährige Abiturientin, deren Zeichnung über das Wochenende mehr als hundert Mal in sozialen Online-Netzwerken geteilt wurde. "Bilder sprechen manchmal aus, was schwierig zu fassen ist."

Sie hat einen Nerv getroffen

Die tieftraurige Gestalt, die in den Händen eine schlaffe Blume mit herabhängender Blüte hält, hat einen Nerv getroffen. Nachdem Kim gegen 20 Uhr ihr Bild bei Facebook gepostet hatte, ereilten sie Kommentare und Nachrichten von völlig Fremden, die ihren eigenen Gefühlszustand in der Zeichnung ausgedrückt sahen. Eigentlich hatte Kim das Bild an ihre Freunde senden wollen, um ihnen ein liebes Zeichen zu schicken. "Hoffe allen geht es gut", schrieb sie in ihrem Beitrag zur Skizze. Als sie mitbekam, auf welch großen Anklang die Zeichnung stieß, freute sie sich. "Gleichzeitig wusste ich natürlich, dass es der falsche Anlass für große Freudensprünge ist."

Neu für Kim war das vage, ungute Gefühl, das sie beschlich, als sie ihre Zeichnung am Samstagmorgen "hier und dort entdeckte" und feststellte, dass Menschen, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, das trauernde Münchner Kindl als Profilbild verwendeten - ohne Hinweis, dass es sich um ihre Schöpfung handelte. Kurz entschlossen postete sie das Bild ein weiteres Mal - diesmal mit ihrem Namen darunter: "Ich habe gesehen, dass es andere übernehmen, und wollte einfach sichergehen, dass ich damit in Verbindung gebracht werde", sagt Kim.

Für die 18-Jährige ist es die erste Erfahrung mit einer breiten Öffentlichkeit; zwar teilt sie ihre Aquarellzeichnungen öfter einmal mit ihren Facebook-Freunden, aber bisher musste sie die Produkte nicht als von ihr stammend ausweisen. Klickt man sich online durch die Reihe ihrer Kunstwerke, folgen dort grobstrichige Tierskizzen auf detaillierte Landschaftsporträts, auch Gesichtsprofile zählen dazu. Sie sind fein und ausgereift, dann wieder comicähnlich. Es ist offenkundig eine große Menge, die Kim produziert.

Kim und ihre Zwillingsschwester malen beide gerne

Seit sie in diesem Frühsommer ihr Abitur am Dante-Gymnasium in München abgeschlossen hat, bleibt ihr mehr Zeit, um zu üben: "Ich bin momentan entweder in Zeichenkursen unterwegs oder daran, den Führerschein zu machen", erklärt Kim. Dabei ist die Pullacherin nie alleine, wenn sie sich zum Zeichnen aufmacht. Kim hat eine eineiige Zwillingsschwester: Maya, die ebenso gerne malt wie sie. "Seit die beiden zwölf Jahre alt sind, zeichnen sie, erfinden Charaktere", berichtet der Vater. Er selber schreibt Kinderbücher, ist Übersetzer und Drehbuchautor. Collin McMahon kennt den Drang, sich Figuren auszudenken. Er erinnert sich, wie seine Töchter schon vor fünf, sechs Jahren damit anfingen und gemeinsam Animationsfilme drehten. "Schnell haben sie begriffen, dass eine gute Zeichnung zu 99 Prozent aus harter Arbeit besteht", sagt McMahon. Und: "Ein bisschen Konkurrenz unter den Schwestern ist natürlich immer dabei."

Wenn Maya und Kim gemeinsam aufbrechen, stehen zwei Hotspots aus München zur Wahl: Entweder sie steuern den Tierpark in Hellabrunn oder den "Akthof" in Schwabing an - "eine offene Zeichenschule, in der man spontan Kurse besuchen kann", so Kim. Professionelle Aktmodelle erleichterten dort das zeitaufwendige Zeichnen von Porträts.

Doch die 18-Jährige beschränkt sich nicht auf München und das Umland, um an ihrem Stil zu feilen. Erst vorigen Montag kam sie von einem einwöchigen Trip aus Irland zurück - "da musste der Freund daneben sitzen, während sie zeichnet", erzählt Collin McMahon. Kim überlegt, den Spuren ihres amerikanischen Vaters zu folgen und später wie er in Kalifornien zu studieren. Denn einem Fach wie "Character Design" kann man nur in der Heimat von Walt Disney nachgehen. In den USA blicken Animationsfilm und Comic auf eine lange Tradition zurück.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2016
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