Belastete Straßennamen:Gespenster aus der Vergangenheit

Symbolische Entfernung der Hindenburg-Büste in Dietramszell, 2014

In Dietramszell montiert der Künstler Wolfram Kastner vor vier Jahren eine Büste des früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vom Salesianerinnen-Kloster ab - als Protestaktion gegen die Gemeinde, die sich nicht von dem "Ehrenbürger" disztanzieren will.

(Foto: Claus Schunk)

100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs und 80 Jahre nach den Juden-Pogromen wird in Feldkirchen über eine Umbenennung des Hindenburgplatzes diskutiert. Auch andernorts erinnern immer noch Straßennamen an umstrittene Personen der Nazi-Zeit. Warum?

Von Martin Mühlfenzl

Es ist kein besonders warmer Tag, dieser 12. Mai, eher zu kalt für die Jahreszeit. In Berlin verabschiedet die Reichsregierung an diesem Freitag ein Gesetz zum Schutz des Einzelhandels, in Danzig wird das Haus der freien deutschen Gewerkschaften von der Polizei besetzt und in Feldkirchen werden neue Straßenschilder angebracht: Aus der Münchner Straße wird die Adolf-Hitler-Straße, die Bahnhofstraße wird zur Franz-von-Epp-Straße, benannt nach dem glühenden Nationalsozialisten und Statthalter in Bayern, und das kleine Areal hinter dem Kriegerdenkmal wird zum Hindenburgplatz.

Alles Vorboten einer düsteren, kalten, mörderischen Zeit. Als diese am 8. Mai 1945 mit Inkrafttreten der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endet, tauschen die Feldkirchner sehr schnell die Schilder aus und hängen die mit den alten Straßennamen auf. Nur den kleinen Platz haben sie damals offenbar vergessen. Der heißt noch heute so, wie sie ihn im Mai 1933 getauft haben: Hindenburgplatz.

Gemeinderat muss Frist beachten

Noch zweieinhalb Monate haben die Feldkirchner Gemeinderäte Zeit, darüber zu entscheiden, ob das so bleiben soll. Ob dem einstigen Reichspräsidenten und Steigbügelhalter Adolf Hitlers sowie hoch dekorierten Generalfeldmarschall aus dem Ersten Weltkrieg, der vor hundert Jahren zu Ende ging, weiter die Ehre zuteil werden soll, Namensgeber eines Platzes zu sein - 73 Jahre nach Kriegsende und 80 Jahre nach der Reichspogromnacht.

Innerhalb dieser Frist muss der Gemeinderat den Antrag behandeln, der in der Bürgerversammlung vor zwei Wochen von der Mehrheit angenommen wurde: den Platz umzubenennen. Es ist bereits der dritte Anlauf in der jüngeren Vergangenheit der Gemeinde, den Namen Paul von Hindenburg aus der eigenen Geschichte zu tilgen.

Warum tut sich eine Gemeinde, die der Reichspräsident nie besuchte, so schwer damit? Oder anders gefragt: Warum halten manche Kommunen noch immer an Namensgebern für Straßen und Plätze fest, die in der jüngeren deutschen Geschichte zumindest eine äußerst umstrittene Rolle gespielt haben?

Für Bürgermeister Sander ist der Fall erledigt

Willy Messerschmitt ist so eine Figur. Ein Luftfahrtpionier zweifelsohne, aber auch NSDAP-Mitglied und Wehrwirtschaftsführer, der in den letzten Kriegsjahren zur Produktion von Kriegsgerät in Konzentrationslagern viele tausend Zwangsarbeiter beschäftigte. Die Hauptverkehrsader im Taufkirchner Technik- und Innovationspark ist nach wie vor nach Messerschmitt benannt - und das soll auch so bleiben, sagt der parteilose, von der CSU gestellte Bürgermeister Ullrich Sander.

Vor zwei Jahren ist die Straße, ehemals ein "Privatweg", der in den Neunzigerjahren angelegt wurde, von der Firma Airbus in den Besitz der Gemeinde übergegangen. Dies nahmen damals die Taufkirchner Grünen um Gabi Zaglauer zum Anlass, eine Umbenennung ins Spiel zu bringen - ohne Erfolg. Wohl auch aufgrund massiver Widerstände von Airbus; das Unternehmen will die bekannte Adresse behalten und drohte mit Konsequenzen. Rückblickend spricht Taufkirchens Bürgermeister davon, die Grünen hätten damals ein "Gezeter" veranstaltet. "Die Straße heißt seit eh und je so und so soll es auch bleiben", findet Sander. "Die Leute, die sie damals so genannt haben, haben sich etwas dabei gedacht und waren näher dran an der Vergangenheit." Für ihn ist der Fall abgeschlossen.

Die Frage lautet: "Ist der Mensch der Ehren wert?"

Für Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München geht es bei der Benennung von Straßen nach Personen um eine zentrale Frage: "Ist der Mensch der Ehren wert?" Bei Hindenburg und Messerschmitt kommt er dabei zu einem eindeutigen Ergebnis: Nein. Am Beispiel Willy Messerschmitts erläutert der Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte seine Haltung: "Es hilft nicht zu sagen, Messerschmitt war doch ein toller Flugzeugkonstrukteur, der auf seinem Arbeitsgebiet Herausragendes geleistet hat. Eine Ehrung ist immer auch eine Gesamtwürdigung einer Person." Und dieser müssten sich auch Kommunen stellen, am besten mit historischer Expertise: "Und zwar nach allem, was wir heute wissen", sagt Zarusky.

Paul von Hindenburg, Willy Messerschmitt, der Raketeningenieur Wernher von Braun, der Psychiater Anton Adalbert Edler von Braunmühl, die Flugzeugbauer Ernst Heinkel und Rolf Engel, der Komponist Hans Pfitzner - die Namen all dieser höchst umstrittenen Personen der deutschen Geschichte finden sich bis heute auf Straßenschildern im Landkreis. In Putzbrunn, Taufkirchen, Garching, Hohenbrunn, Haar, Neubiberg, Feldkirchen. Obwohl sie entweder wie Hindenburg Hitler erst möglich gemacht haben, mit dem NS-Regime kollaborierten oder sympathisierten oder in dessen Namen gar Verbrechen verübten.

Feldkirchens Bürgermeister Werner van der Weck (SPD) hält es für einen "unseligen Zustand", dass es in seiner Gemeinde noch immer einen Hindenburgplatz gibt. Warum es dem Gemeinderat so schwer fällt, den Namen zu ändern? "Ich weiß es nicht. Ich hoffe nur, es rührt nicht bei manchem von der Gesinnung her. Das wäre eine Katastrophe", sagt van der Weck. Seit zehn Jahren werde die Diskussion geführt, ob der Name weg soll, jetzt ist für den Sozialdemokraten der richtige Moment. "In einer wieder braunen Zeit, in der die Nazis lauter werden, ist es das richtige Signal."

Informationsweg mit zehn Stelen

Auch in Bad Tölz gibt es noch eine Hindenburgstraße, sie ist eine der wichtigen Verkehrsadern der Kreisstadt. In einem langen Prozess, den der Neubiberger Historiker Hermann Rumschöttel begleitet hat, wurde dort ebenfalls über eine Umbenennung diskutiert. Am Ende dieses Prozesses blieb der Name bestehen, an der Straße wurde ein "Informationsweg" eingerichtet.

Zehn Stelen beleuchten seither das Leben und die Rolle Paul von Hindenburgs. "Glasklar, seine hochproblematische Rolle vor und nach 1933 wie auch seine vermeintlichen Leistungen im Ersten Weltkrieg", sagt Rumschöttel. Anders als sein Kollege Zarusky findet der Historiker aber nicht: Was belastet sei, muss weg. "Straßennamen sind wie auch das bauliche Erbe, etwa Kriegerdenkmäler, Teil der Geschichte, und man kann sie wie in Bad Tölz auch historisieren", so Rumschöttel.

In der Gemeinde Haar wird die Von-Braunmühl-Straße indes umbenannt, weil Recherchen in Archiven mögliche Verstrickungen des Arztes Anton Edler von Braunmühl in Patientenmorde in der Heil- und Pflegeanstalt Haar-Eglfing während der NS-Zeit aufzeigten. Er tauge nicht mehr zum Vorbild, sagt Bezirkstagspräsident Josef Mederer.

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In der Feldkirchner Bürgerversammlung spricht sich eine Mehrheit für die Umbenennung des Hindenburgplatzes aus. Nun muss sich der Gemeinderat innerhalb von drei Monaten zum dritten Mal in acht Jahren mit dem Thema befassen.

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