Begabtenförderung:Ganz schön schlau

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Etwa hundert Schüler bewerben sich jedes Jahr am Maria-Theresia-Gymnasium in München für die Hochbegabtenklasse. Weil nur etwa jeder fünfte genommen werden kann, wird zum kommenden Schuljahr in Unterhaching eine weitere eingerichtet

Von Iris Hilberth

Leonardo da Vinci soll einen Intelligenzquotienten von 220 gehabt haben, für Johann Wolfgang von Goethe werden 210 notiert, für Mozart 165 und Albert Einstein ist auf der Liste der schlauesten Köpfe mit 160 auch vorne dabei. Alles Werte, mit denen man klar eine Hochbegabung attestieren würde. Seriös sind solche Rankings aber nicht. "Im Nachhinein lässt sich das nicht feststellen", sagt Petra Barchfeld, Leiterin der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). 300 Kinder werden an ihrem Institut jährlich auf Hochbegabung getestet, etwa ein Drittel von ihnen zählt tatsächlich zu den 2,3 Prozent der Bevölkerung, deren IQ 130 und mehr beträgt. Für solche Schüler hat der Freistaat in den vergangenen 20 Jahren insgesamt acht Förderklassen an acht Gymnasien in ganz Bayern eingerichtet. Im kommenden Schuljahr kommt eine weitere 5. Klasse hinzu: am Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching (LMGU).

Der Grund ist laut Kultusministerium eine "anhaltend hohe Nachfrage" nach Aufnahme in eine Hochbegabtenklasse im Großraum München. Die bestehenden Standorte am Maria-Theresia-Gymnasium (MTG) in München und am Otto-Taube-Gymnasium in Gauting stoßen an ihre Grenzen. Etwa hundert Schüler bewerben sich jedes Jahr am MTG für einen Platz in der Hochbegabtenklasse, zwischen 20 und 25 können genommen werden. Zwar seien nicht alle Bewerber geeignet, "aber eine zweite Hochbegabtenklasse könnten wir schon brauchen, um bei manchen Kindern nicht nein sagen zu müssen", sagt Schulleiterin Birgit Reiter. Sie sei daher sehr dankbar, dass es künftig auch die Möglichkeit in Unterhaching gibt.

Die Wahl fiel auf das Lise-Meitner-Gymnasium, da es sowohl über eine sprachliche als auch eine naturwissenschaftlich-technologische Ausbildungsrichtung verfügt. Das Ministerium haben zudem "vielfältige Kooperationen und ein breites Zusatzangebot" in Unterhaching überzeugt. Bereits jetzt gibt es Angebote zur Förderung hochbegabter Schüler. Auch ist das LMGU mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowohl aus der Münchner Innenstadt als auch aus dem südöstlichen Landkreis München gut zu erreichen.

In Unterhaching freut man sich auf die neue Aufgabe. Begabtenförderung ist schon immer eine Herzensangelegenheit von Schulleiterin Brigitte Grams-Loibl gewesen, die selbst einige Jahre lang als Schulpsychologin für Hochbegabte in Stadt und Landkreis München zuständig war. Vor zehn Jahren rief sie am LMGU die Begabtenakademie für Schüler mit überdurchschnittlichen Leistungen ins Leben, für naturwissenschaftlich Interessierte gibt es die Mint-Akademie, Kreativ-Musische finden Zusatzangebote in Chören und Orchestern sowie Theatergruppen. Und für sportliche Talente ist das LMGU Stützpunkt für Fußball, Turnen und Klettern. Die Begabtenklasse ist demnach ein logischer weiterer Schritt.

Früh übt sich, wer ein kleiner Einstein werden will. Von dem Nobelpreisträger stammt die berühmte Formel E = mc², auf der die Relativitätstheorie beruht. (Foto: Imago)

"Das wird auf die ganze Schule ausstrahlen", ist Grams-Loibl überzeugt. Ihr ist wichtig, dass die gesamte Schule von der Hochbegabtenförderung profitiert. Denn sie weiß, dass das Thema auch Ängste hervorruft. Daher betont sie: Das Kontingent an Wahlunterricht werde sich dadurch für alle Schülerinnen und Schüler erhöhen. Das Geld dafür gibt es zusätzlich vom Kultusministerium. "Die Hochbegabtenklasse kostet die Schule auch keine Stunden, das wird nicht von den jetzigen Klassen abgezwackt. Wir bekommen das obendrauf", so die Schulleiterin.

Auf Hochbegabtenförderung spezialisierte Lehrer wird es in Unterhaching nicht geben. Etwa 20 interessierte Lehrer des LMGU haben an Fortbildungstagen am Maria-Theresia-Gymnasium teilgenommen, dort ist das Kompetenzzentrum für Begabtenförderung in Oberbayern angesiedelt. "Wir haben in den Klassen des MTG hospitiert und es hat uns begeistert. Wir haben die Kinder dort als sehr wissbegierig und neugierig erlebt", berichtet Renate Eichberger, Kunstlehrerin in Unterhaching und zuständig für die Koordination der Hochbegabtenklasse.

Wollen hochbegabte Kinder gezielt fördern: Gymnasialdirektorin Brigitte Grams-Loibl (links) und die Lehrerin Renate Eichberger. (Foto: privat)

Das Konzept für das LMGU sieht vor, dass die Kinder in der 5. Klasse mit zwei Fremdsprachen beginnen: Englisch und Latein. Während in den Regelklassen in der 8. Klasse entweder der naturwissenschaftliche oder der sprachliche Zweig gewählt wird, fahren die Hochbegabten zweigleisig, lernen also eine weitere Fremdsprache und haben sämtliche naturwissenschaftlichen Fächer auf dem Stundenplan. Hinzu kommt ein Wahl- und Plusprogramm, das als "Enrichment" bezeichnet wird. Dazu zählen die Förderung von Kreativität und Sozialkompetenzen und individuelle Lernberatung. Die Klasse bleibt bis zur Oberstufe zusammen. Wie die Regelklassen absolvieren die Hochbegabten das neunjährige Gymnasium. "Wir wollen mit dieser Klasse den Kindern mit besonderer Begabung einen Schutzraum geben, in dem sie mit ihren Gedanken, Ideen und ungewöhnlichen Lösungswegen nicht belächelt werden", sagt Eichberger. Weil diese Kinder schneller Zusammenhänge begreifen, ist die Lerngeschwindigkeit höher.

Um in die Förderklasse aufgenommen zu werden, reicht es nicht, einen Nachweis über die Hochbegabung einzureichen. Die Bewerber werden Anfang Februar von der Schulpsychologin auf Hochbegabung getestet, im April folgt ein zweitägiger Testunterricht. Denn Hochbegabung bemisst sich nicht allein am Intelligenzquotienten. Armin Hackl und Gabriele Weigand, die am Deutschhaus-Gymnasium Würzburg die Begabtenförderung entwickelt haben, zählen zu einem überdurchschnittlichen Leistungsvermögen auch nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale wie Leistungswille, Interesse, Arbeitsdisziplin, Selbstvertrauen und Selbststeuerungsfähigkeit. Dazu kommen Fähigkeiten wie Mut, Energie, Sensibilität und Vision.

Das LMGU will sich daher bei der Auswahl der Schüler nicht allzu sehr an den IQ-Wert 130 klammern. "Dieser Wert ist numerisch, das finde ich schwierig", sagt Eichberger. Es gebe großartige Kinder mit einem IQ von 125 und andere mit 145, die sozial nicht händelbar seien. Man will die etwa 20 Plätze nicht nur an "absolute Hochleister" vergeben. "Wir werden kein Ranking erstellen", so die Schulleiterin.

Dass die Anzahl der Bewerber für Hochbegabtenklassen in den vergangenen Jahren gestiegen ist, führt Brigitte Grams-Loibl vor allem darauf zurück, "dass mehr darauf geschaut wird". Insbesondere die "stillen Mädchen" seien früher meist übersehen worden. Mehr Hochbegabte gibt es laut Petra Barchfeld von der LMU nicht, die Anzahl derer, die ihre Kinder testen lassen, dagegen schon. "Das sind ganz oft begabte Kinder, aber eben keine Hochbegabten." Wichtig sei auch, die Tests alle zehn Jahre zu überarbeiten. Denn die Menschen werden insgesamt intelligenter, man nennt das "Flynn-Effekt". Ein Kind, das in den Sechzigerjahren noch einen IQ von über 130 attestiert bekommen hätte, würde heute vermutlich darunter liegen.

Für Interessierte an der neuen Hochbegabten-Klasse veranstaltet das Lise-Meitner-Gymnasium Unterhaching am Montag, 22. Januar, einen Informationsabend. Beginn ist um 19 Uhr.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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